LITURGY SPECIFIC ART: KUNST – RELIGION

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AUSSTELLUNGEN + PERFORMANCES: LITURGY SPECIFIC ART

Was passiert, wenn Gegenwartskunst nicht nur in sakralen Räumen ausgestellt wird, sondern diese zum Material für Interventionen macht? LITURGY SPECIFIC ART ist eine Performance- und Ausstellungsreihe des KBI. Sie erforscht das Zusammenspiel von Gegenwartskunst und Sinnstiftungen durch künstlerische und kuratorische Praxis. LSA ist ein ortsspezifisches Experiment mit immer neuen Gästen und Konzepten. Seit 2011 lädt das KBI zweimal jährlich Künstler*innen und Kollektive dazu ein, sich den Raum temporär anzueignen. Wird ein sakraler Ort zum Raum für Kunst und die Liturgie zu ihrem Gegenstand, entsteht eine Verbindung, die wir LITURGY SPECIFIC ART nennen. Ausstellungen, Installationen, Interventionen oder Performances werden mit den Künstler*innen, Liturg*innen und dem kuratorischen Team gemeinsam konzipiert. Die künstlerische und liturgische Aktion verläuft in LSA gemeinsam, nebeneinander oder gegeneinander. Sie bezieht sich in jeder Ausstellung auf neue Weise aufeinander und entwickelt Korrelationen und Verbindungen, Kontraste oder Spannungen. Neben Kunst und Liturgie kommen auch die Besucher*innen und der Kirchenraum  ins Spiel. 2022 fand das letzte Mal LSA mit den Schweizer Künstlern Reto und Markus Huber von huber.huber in der Marburger Universitätskirche statt.

HUBER.HUBER 2022 |  KYRA SPIEKER 2021 |  TIZIAN BALDINGER 2021 |  MARLENA KELLOGG + MARTIN WÖLLENSTEIN 2019 |  AXEL MALIK 2019 |  GABI ERNE + VALESKA SCHULZ 2019 |  KRISTINA GIRKE 2018 |  MICHAEL VOLKMER 2018 |  BENJAMIN ZUBER 2017 |  SEBASTIAN BIENIEK 2016 |   GABI ERNE 2016 |  VALESKA SCHULZ 2015   |   MARIE-LUISE FREY 2015  |  WOLFGANG KAISER 2014  |  DOROTHEA SEROR 2013 |  STEFAN BECKER-SCHMITZ 2013  ULRIKE FLAIG 2012  |  GABI ERNE 2012  |   THOMAS PUTZE 2011

IMAGINE  80 000 000 TRÄNEN huber.huber 1-4/2022

Würde für jeden Menschen auf der Flucht nur eine Träne geweint werden, wären das unvorstellbare 120 000 Liter! Reto Huber und Markus Huber
Reto und Markus Huber bringen eine drastische und fast unvorstellbare Konrektisierung mit nach Marburg: Die Vorstellung von 12 000 Liter Tränen. Januar bis April 2022 intervenieren die Schweizer huber.huber im Raum der Universitätskirche in Marburg. Dafür besuchen sie die Universität Marburg und sind zu Gast in Seminaren am KBI. Die Studierenden diskutieren mit den Künstlern und entwicklen gemeinsam ein Programm rund um die Idee von huber.huber. Erstmals integrieren sie auch performative Elemente in ein Projekt: Gefäße werden gesammelt, Studierende diskutieren über Politik und setzen sich mit kritischen rassistischen Kommentaren, Fluchterfahrung und Krieg auseinander. Angesichts aktueller politischer Entwicklungen im Frühling 2022 entsteht gemeinsam mit dem kuratorischen Team des KBI das Projekt IMAGINE! Ein großformatiges Banner lässt das Kreuz in der Universitätskirche schließlich hinter einem Schriftzug verschwinden: IMAGINE. Stell dir vor! Unzählige Gefäße sammeln Wasser mit 0,9 % Salz im Kirchenraum. Es ist der Salzgehalt von Tränen. Die gebrauchten Gefäße wurden für die Ausstellung in Marburg gesammelt: Keramikschüsseln, Metallbecher, Glasvasen, Flaschen. Sie stehen auf den Bänken, in den Gängen, auf dem Altar. Hunderte dieser Stillleben der Gegenwart tragen nun viele Liter und können doch nie die ganze Menge fassen. Sie müssen an der Menge und am Trauern scheitern. Sie versperren den Weg, stören die Ordnung und sind ständig in Gefahr zu zerbrechen.

Zum Beitrag: 80 000 000 Tränen huber.huber

LOVE ME Tizian Baldinger 4-7/2021

Dieses ‘Ich liebe dich’, das ist eigentlich Fake! Tizian Baldinger
Tizian Baldinger begeht in LOVE ME die Schwellen strahlkräftiger Kunst, affirmativer Slogans und daseinserweitender Verheißungen: „FOLLOW ME MY CHILDREN INTO PARADISE. LEAVE YOUR EARTHLY SORROWS BEHIND. FIND THE TRUTH IN ART“. Der Berliner Künstler will in ein schillerndes Paradies entführen, in der unsere Schaulust ernst genommen wird: FLY WITH ME!  Zwischen sakraler Symmetrie am expressionistischen Kreuz und fluoreszierender Retroästhetik stellt er alte und neue Fragen nach Liebe: LOVE ME spielt mit Assoziationen an Wahrheit und Schein, Dunkel und Licht, Nostalgie und Utopie, Digital und Analog, Varianten der Liebe am Nächsten und sich Selbst. Warum ‘liebe mich!’ ehrlicher ist, als ‘ich liebe dich’, verrät Baldinger in der Onlineausstellung im Gespräch mit den Kuratorinnen Dorothea von Kiedrowksi, Yonka Werner und Celica Fitz.         

Zur Online-Ausstellung: LOVE ME

#PASSION Marlena Kellogg + Martin Wöllenstein 6-7/2019

Was wir brauchen, ist ein Prozess der Aneignung. Martin Wöllenstein
Gespräch und Dokumentation des LSA: Martin Wöllenstein und Marlena Kellogg sprechen über ihre Installation und Performance Passion.com und über Kommunikation und Identität zwischen Analog und Digital. Sie arbeiten mit Bambusstäben und Datenclouds.

UNENDLICHES ALPHABET Axel Malik 5-10/2019

Ich werde versuchen, in Dialog oder Resonanz mit Thomas zu treten der auf der Kanzel steht und seine Predigt hält – und werde auf Momente warten, die nach einem Zeichen verlangen. Axel Malik
Die Kunst des Verzichts führt bei Axel zu einem Zeichen. Einem Zeichen, das dem Augenblick in seiner Singularität Ausdruck verleiht. […] Das Ganze – all at once – drückt sich in ihnen aus. Thomas Erne
Künstlergespräch und Dokumentation des LSA: Axel Malik spricht mit Thomas Erne über das Unendliche Alphabet als Idee, Ausstellung, Installation und LSA in der Alten Universität in Marburg. Der LSA Unendliches Alphabet ist Teil der Reihe Schrift und Bild. Malik arbeitet mit schwarzer Farbe, Tablet PC und unserem (wiedererkennenden) Sehen.

ICH SCHREIBE Valeska Schulz + Gabi Erne 2/2019

Nehmt Euch ein Wort! Performer des LSA
Aus einem Tintenklecks ergießt sich die Fülle aller Worte. Katharina Scholl
Künstlerinnengespräch und Dokumentation des LSA: Gabi Erne und Valeska Schulz sprechen mit Katharina Scholl über den Rhythmus und das Begreifen von Buchstaben, Wortwerdung, die Performance und Installation ICH SCHREIBE und den LSA in der Reihe Schrift und Bild. Erne und Schulz arbeiten mit riesigen Buchstaben und unseren Unterschriften.

PALIMPSEST Kristina Girke 11-12/2018

Ich male über die Brüche wie eine heilende Salbe, ein Ornament, etwas Schönes, was es wieder verbinden und verweben kann. Kristina Girke
So leben wir, wir schichten auch auf uns über die Zeit hinweg eine Schicht nach der anderen auf. […] Bilder des eigenen Lebens werden sedimentiert. Und manchmal gelingt es hindurch zu blicken und dann sieht man eine Kindheitserinnerung. Thomas Erne
Künstlerinnengespräch und Dokumentation des LSA: Kristina Girke im Gespräch mit Thomas Erne über den LSA PALIMPSEST in der Reihe Schrift und Bild und über Kindheit, Über- und Neuschreiben. Girke arbeitet mit Farbschichten, Überlagerungen und Erinnerungen. Zum LSA ist eine Ausstellung in der Galerie Schmalfuß entstanden.

LSA: PALIMPSEST

INTRUDER Michael Volkmer 1/2018

Der Text wird heute der Raum sein. […] Diese leibliche Orientierung in einem eschatologischen Koordinatensystem irritiert der schwarze Würfel. Er steht im Gitternetz von horizontaler und vertikaler Linie, von Endlichkeit und Ewigkeit exakt da, wo er sie verfehlt. Und damit ist der Eindringling genau in das Außerhalb des eschatologischen Raumkonzepts gesetzt, das durch die Ordnung definiert ist. Thomas Erne
Dokumentation der Rauminstallation und der Predigt von Thomas Erne zum LSA INTRUDER von Michael Volkmer in der Reihe Lichtzeichen. Volkmer arbeitet mit Raum, Form, Fundstücken und ausnahmsweise nicht nur mit der Farbe RAL 1015 (Hellelfenbein).

THERE AM I IN THE MIDST OF THEM Benjamin Zuber, LSA 1/2017 + VIDEO 6/2018

Vorschau auf das Video von Benjamin Zuber im Rahmen seiner Installation und Performance LSA THERE AM I IN THE MIDST OF THEM: Premiere und Aufführung des Videos war in der Nacht der Kunst in der Marburger Universitätskirche 2018. Benjamin Zuber arbeitet in den Nächten an seiner formal-ästhetischen und rituell-sportlichen Aneignung jeder Ecke der Universitätskirche.

LIEBST DU MICH? Sebastian Bieniek 4/2016

Liebst du mich? Sebastian Bieniek
Gute Frage. Besucher des LSA
Dokumentation der Performance und des LSA von Sebastian Bieniek mit der Predigt von Katharina Scholl über den liebenden Blick, groteskes Mitgefühl und mariniertes Fleisch. Bieniek arbeitet mit einer unerwarteten Frage, Nähe und unserer Spontanität.

HEIMAT Valeska Schulz 12/2015

Auf Schwellen kann man verweilen, aber nicht sich dauerhaft einrichten. Thomas Erne
Dokumentarfilm über den LSA und die Klang-Installation HEIMAT von Valeska Schulz und der Predigt von Thomas Erne. Schulz arbeitet mit Zeichnungen, Videos dem Klang von Stimme und Violoncello.

Manual. Der therapeutische Aspekt des Gerichtsgedankens Wolfang Kaiser 6/2014

Für jedes Ausstellungs- und Kunstprojekt was ich angehe wird erstmal ein Buch genommen; Wo ich Skizzen mache, Fotos einklebe um in den Fluss zu kommen damit die Geschichte anfängt. […] Die Objekte sind wie Kapitel. Über die Einzelobjekte wird der Versuch unternommen, eine Geschichte zu erzählen. Wolfgang Kaiser
Wolfgang Kaiser und Thomas Erne sprechen über die Installation, Videoarbeit und Performance des LSA Manual und den therapeutischen Aspekt des Gerichtsgedankens, Oleander, (Welt-)Gericht, Objekte des Schutzes und das subtile Erzählen von Geschichten. Kaiser arbeitet mit Cowboystiefeln, Schutzhandschuhen, Brandschutzsalbe und unseren Assoziationen an Dinge.

PEIN Dorothea Seror 11/2013

Eine ältere Dame hat mich beim Lied im Arm gehalten – wie ein Baby – und hat da über mir von Liebe geträllert. Sie hat mich so eng gehalten, dass meine Nase und mein Mund sehr bedeckt waren, von dem Fell. Ein bisschen zu viel Liebe kann fast erstickend sein. Dorothea Seror
Ohne dieses Fell war ein deutliches Schamgefühl zu sehen. Katharina Scholl
Künstlerinnengespräch und Dokumentation des LSA: Dorothea Seror, Katharina Scholl und Thomas Erne sprechen über den LSA und die Performance Pein, Nähe und Distanz, Liebe und Gewalt, Scham, Schutz und Fell im Chorraum. Seror arbeitet mit Kunstpelz und unseren Reaktionen auf körperliche Nähe.

The golden Tube – Aggregat/Congregat Stefan Becker-Schmitz 5/2013

Ich finde aufgeblähte Objekte sehr poetisch im Raum. Stefan Becker-Schmitz
Es ist ein schönes Bild, sich vorzustellen, dass ein Kunstwerk von Atem und Luftbewegung lebt. Thomas Erne
Künstlergespräch und Dokumentation: Stefan Becker-Schmitz im Gespräch mit Thomas Erne über die Installation The Golden Tube – Aggregat/Congregat in der Universitätskirche Marburg über Raum und Materialisierung, Atem und Luft, Leichtigkeit und Schwere. Becker-Schmitz arbeitet mit Rettungsdecken, Proportionen und Luftwirbeln.

Kulti Ulrike Flaig 11/2012

Dinge aus dem religiösen Alltag versuchen etwas zu bekräftigen und die Glaubenden in ihrem Weg auf der Suche zu begleiten und Dinge zu manifestieren. Ulrike Flaig
Eine Vielfalt an Stimmen hat mitgesprochen. Thomas Erne
Dokumentation des LSA und Gespräch mit der Künstlerin: Ulrike Flaig spricht mit Thomas Erne über die Wirkung von religiösen Dingen und darüber, was mit einem Kirchenraum passiert, wenn viele Traditionen mittels dieser Objekte am Ort des Altars zusammengebracht werden. Sie zeigt Aneignung und Umdeutung von Traditionen als Materialisierung individueller Sinnsuche. Dafür nutzt sie Museumsstücke, die sie aus der Religionskundlichen Sammlung ausgeliehen hat. Neben der Performance Kulti konzipierte Flaig eine Ausstellung im KBI mit Dingen individueller religiöser Bedeutung aus dem Besitz der Mitarbeitenden des KBI. Flaig arbeitet mit Gebetskette, Yogamatte und Marienfigur und gedachten Unvereinbarkeiten.

GEBEN + NEHMEN Gabi Erne 2/2012

“Hartes Brot und Götterspeise!” Gabi Erne
Dokumentation des LSA und Gespräch: Gabi und Thomas Erne sprechen über den Geschmack der Liturgie, das Mahl in der Kirche, das Gemüseschälen und Suppekochen auf dem Altar in der Universitätskirche Marburg und die erfreuliche Kontroverse. Der LSA entstand in der Reihe “Wie schmeckt die Liturgie?”. Gabi Erne hat mit der Performance Geben und Nehmen den Playing Arts Preis 2012 erhalten. Gabi Erne arbeitet mit Orangen, Kürbissen, Kochplatte und der Idee des Altars.

DURCHZÜGLER Thomas Putze 5/2011

Dokumentation der Performance Durchzügler von Thomas Putze: Auftakt der Reihe LSA bildete Thomas Putze, der sich den Kirchenraum kletternd aneignete und ihn so für viele weitere Kunstperformances öffnete. Die Performance Durchzügler wurde mit dem Kunstpreis der Ev. Kirche in Württemberg geehrt. Putze arbeitet mit dem Raum, seinem Körper unseren Handlungsgewohnheiten.

DOKU: LSA-FILME

ORT + TEAM

Die Reihe Liturgy Specific Art wird vom Team des KBI mit den Künstler*innen unter der wechsenden Leitung von kuratorischen Mitarbeiter*innen mit Prof. Dr. Thomas Erne organisiert. Die Veranstaltungen finden in der Universitätskirche und der Alten Universität Marburg sowie im Institut für Kirchenbau statt. LSA wird gemeinsam von den Künstler*innen und vom Team des KBI konzipiert und kuratiert. Ausstellungen im KBI begleiten die ortsspezifischen Interventionen. Die Reihe fand von 2011 bis 2022 mit mehr als 20 Künstler*innen statt.
Text: Celica Fitz