Thomas Putze mit Durchzügler: 29. Mai- 30. Juli 2011
Thomas Putze, Bildhauer und Performer aus Stuttgart, ist ein Künstler mit einem Zauberstab. Was er findet, verwandelt sich unter seinen Händen in Kunst: Fundstücke, Holz, Metallreste. Er zaubert aus Schrott und rohen Pfählen mit der Motorsäge ein Panoptikum an Figuren, die verletzlich sind, skurril, witzig, anrührend, und deren Charme sich niemand entziehen kann. Thomas Putzes Kunst ist sinnlich, körperlich und kraftvoll. Und er kann provozieren, Sauställe 2006, Frauenknast 2007, die Elefantenrunde 2007 sind wilde Arbeiten, voller anarchischer Lust. Spektakulär sind auch seine Performances, die Kletteraktionen oder die Interventionen mit der Elektrogitarre.
Mit Thomas Putzes Performance „Durchzügler“ startete die Gottesdienstreihe der Liturgy Specific Art in der Marburger Universitätskirche im Mai 2011. Der Künstler hangelte sich im Stil des „free climbing“, von einer spieluhrähnlichen Barockmusik (Orgel und Violine) begleitet durch das Kirchenschiff, im Bemühen, den Boden nicht zu berühren. Die Gottesdienstbesucher verfolgten das teils akrobatische Geschehen von den Emporen aus.
Mir ging es darum, ein flüchtiges und offenes Bild mittels meines Körpers in den starken, fast martialisch anmutenden Kirchenraum zu bringen – ein Versuch, meinem Empfinden von Glauben eine Form zu geben, die dem Kirchenraum einerseits widerspricht, andererseits gerade von ihm als Bild geschärft und wirksam gemacht wird. Thomas Putze
Für diese Performance wurde Thomas Putze im Jahr 2012 der 1. Kunstpreis der Ev. Landeskirche Württembergs zugesprochen (s.u.).
Videos: Stefan Geil
THOMAS PUTZE GEWINNT KUNSTPREIS DER EV. KIRCHE IN WÜRTTEMBERG MIT SEINER PERFORMANCE “DURCHZÜGLER”
Der Stuttgarter Thomas Putze und die Hamburgerin Isabell Kamp werden ausgezeichnet
Stuttgart. Der Erste Kunstpreis der Evangelischen Landeskirche in Württemberg ist entschieden: Den mit 10.000 Euro dotierten Hauptpreis erhält der Stuttgarter Künstler Thomas Putze (geb .1968) für seine Performance „Durchzügler“. Das gab die Evangelische Landeskirche bei einer Pressekonferenz am Donnerstag, 6. September 2012, in Stuttgart bekannt. Der Förderpreis in Höhe von 3.000 Euro wird nach dem Willen der Jury an die in Hamburg lebende Künstlerin Isabell Kamp (geb. 1980) für ihre Installation „Nur gute Lügen dürfen bleiben“ verliehen.
Unter dem Motto „Bilder? Bilder!“ hatte die Evangelische Landeskirche in Württemberg erstmals einen Kunstpreis bundesweit ausgeschrieben. Mehr als 1.000 Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland haben sich beteiligt. Dabei kamen etwa 230 Einreichungen aus den östlichen Bundesländern und Berlin, so der Kunstbeauftragte der Landeskirche, Kirchenrat Reinhard Lambert Auer. „Ein Drittel der Teilnehmer sind 35 Jahre und jünger. Das ist die festgelegte Altersgrenze für den Förderpreis. Installationen machen neben Videokunst, Skulptur, Malerei sowie Licht- und Raumkunst einen Großteil der Arbeiten aus. Inhaltlich beschäftigen sich die Werke mit Kirche, Glauben und Religion oder nähern sich dem Thema mit Ideen zur Kirchenausstattung an – von Abendmahlsgeräten bis hin zu Textilien für den liturgischen Gebrauch.“
Eine Jury, der namhafte Persönlichkeiten aus Kirche und Kultur angehörten, hat aus den Bewerbungen Haupt- und Förderpreis sowie zwanzig weitere Werke ausgewählt. Diese werden in einem Katalog und einer Ausstellung präsentiert. Ab dem 6. Oktober anlässlich des Festaktes zum „Uracher Götzentag“ sind sie in der Stiftskirche St. Amandus in Bad Urach zu sehen. An diesem Tag findet auch die Preisverleihung durch den Landesbischof statt.
Das mit dem Hauptpreis ausgezeichnet Werk von Thomas Putze ist eine Performance, in der sich der Künstler während eines regulären Gottesdienstes von Musik begleitet durch das Kirchenschiff „hangelt“ – aufgeführt im Rahmen der Gottesdienstreihe “Liturgy Specific Art”in der Universitätskirche in Marburg. Die Gottesdienstbesucher konnten das Geschehen von der Empore aus beobachten. Der zehnminütigen Aktion schloss sich eine Predigt an. „Mir ging es darum, ein flüchtiges und offenes Bild mittels meines Körpers in den starken, fast martialisch anmutenden Kirchenraum zu bringen – ein Versuch, meinem Empfinden von Glauben eine Form zu geben, die dem Kirchenraum einerseits widerspricht, andererseits gerade von ihm als Bild geschärft und wirksam gemacht wird,“ so Thomas Putze.
Die für den Förderpreis ausgewählte Ausstellung „Nur gute Lügen dürfen bleiben“ von Isabell Kamp ist keine gewohnte Präsentation von Malerei. Vielmehr an den Wänden zum Teil großformatige Leinwände und Zeichnungen. Auf einer Kleiderstange hängen die Anzüge, die die Figuren auf den Bildern tragen. Isabell Kamp versteht ihre Figuren als Platzhalter und entwickelt ein eigenes System zur Darstellung von zwischenmenschlicher Kommunikation: „Die opulente und teilweise überzogen dramatische Darstellungsweise des Projekts ist sowohl ironisches Denkmal als auch Verbeugung vor den menschlichen Emotionen an sich, die sich nicht zwingend rational erklären lassen, einem jedem aber definitiv wichtiges Instrument des Instinktes sind. Die Installation versteht sich eingebettet in die Reihe menschlicher Fragenstellerei und als weitere Facettezum überdimensionalen Thema des Lebens an sich.“
Gefördert wird der Erste Kunstpreis der württembergischen Landeskirche von der Privatbank Sal. Oppenheim sowie der Wüstenrot Stiftung.
Mitglieder der Jury:
(Stimmberechtigt)
Petra von Olschowski, Rektorin Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
Dr. Gabriele Holthuis, Direktorin Ulmer Museum
Martina Geist, bildende Künstlerin, Beirat des Vereins für Kirche und Kunst
Nikolaus Koliusis, bildender Künstler
Christina Kreuzberg, Kuratorin Kunstsammlung Sal.Oppenheim
Philip Kurz, Geschäftsführer Wüstenrot Stiftung
Prälat i.R. Hans-Dieter Wille, Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Kirche und Kunst
Werner Stepanek, Stiftungsrat, Mitglied der Württembergischen Landessynode
KR Reinhard Lambert Auer, Kunstbeauftragter der württembergischen Landeskirche
(Beratend)
Dekan Otto Friedrich, Vorsitzender des Vereins für Kirche und Kunst
Bernhard Huber, bildender Künstler, stellv. Vorsitzender des Vereins für Kirche und Kunst
Pfr. Johannes Koch, stellv. Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Kirche und Kunst
Oliver Hoesch
Sprecher der Landeskirche
Evangelische Landeskirche in Württemberg
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Aus der Predigt am 29. Mai 2011, Universitätskirche Marburg
… Man könnte das eine religionstherapeutische Arbeit der Kunst an den Bildern von Gott nennen. Und so, religionstherapeutisch, sehe ich auch die Arbeit von Thomas Putze heute, hier im Gottesdienst in der Universitätskirche in Marburg.Auch ein Kirchenraum gibt ein bestimmtes Bild von Gott wieder. Die Atmosphäre ist feierlich und festlich, sie vergegenwärtigt einen Eindruck von Größe, Macht und Herrlichkeit Gottes, aber sie hat auch etwas von einer starren, hierarchischen Ordnung, die keinen Raum lässt für alternative Spielzüge. Die Arbeit von Thomas Putze empfinde ich als Arbeit an dieser Tendenz des Raumes Alternativen auszuschließen und die Gemeinde auf ein wahres und richtiges Bild von Gott festzulegen. Die immobilen Bilder von Gott, die Atmosphäre in Kirchenräume, die ein lebendiger Ausdruck gelebter Religion sind, können leicht zu ihrem Gefängnis werden – es denn die Räume werden mit Alternativen konfrontiert und die geschlossen Form wird immer wieder neu aufgebrochen.Die erste Idee von Thomas Putze, bevor er die Kirche gesehen hatte, war eine passionale, heftige, laute, gewaltsame Performance gewesen, ein dramatisch-starker Ausdruck. Als er dann die Kirche sah, war klar, dass der Kirchenraum etwas anders braucht, weil er diesen starken Ausdruckschon in sich trägt. Und so kam ihm die Idee die geschlossene Form des Raumes mit einer fragilen, leichten Bewegung auszubalancieren. Der machtvollen Glaubensgewißheit in diesem Raum ein Suchen und Tasten, immer auf Messers Schneide, zur Seite zu stellen. Die Performance „Durchzügler“ ist Arbeit des Künstlers an den verfestigten Bilder, die wir von Gott haben. Eine Bewegung, die bei keiner einmal erreichten Gewißheit, keinem festen Stand verharrt, sondern immer weiter balanciert, von dem einmal erreichten Bild zum nächsten Bild, das für diesen Augenblick des bestmöglichen Ausdruck Gottes bietet – und so weiter. Gott haben wir nur in Bildern, aber keine Bild erfasst die Sinnfülle, die wir mit Gott haben…
Thomas Erne