Mit Politischer Theologie verbinden wir Autoren des frühen 20. Jahrhunderts – Walter Benjamin und Carl Schmitt, später auch Jacob Taubes oder Eric Voegelin –, die mit sehr unterschiedlichen Intentionen das Nachleben struktureller Elemente jüdisch-christlicher Religion und des römischen Rechts im modernen Verständnis von Politik, Ökonomie und Ästhetik untersuchten. Karl Löwiths Weltgeschichte und Heilsgeschehen (1953) und Hans Blumenbergs Legitimität der Neuzeit (1966) lösten später eine Debatte zur modernen Säkularisierung aus, die in Jürgen Habermas’ Diagnose, wonach wir uns seit dem 11. September 2001 in einer „postsäkularen Gesellschaft“ befänden, ihr vorerst letztes Wort fand.
Doch war eine derart strikte Trennung zwischen theologischen Fragen und „bewußtmachender“ Kritik in jeder Hinsicht begründet? Was wären – anders gefragt – die Gegenargumente einer politischen Theologie, wenn sie zu Benjamins „rettender Kritik“ zurückkehren und sich auf dessen intime Vertrautheit mit der Gegenwartskunst seiner Zeit besinnen würde? Was würde dann der „profanen Erleuchtung“, von der Benjamin angesichts des Surrealismus der 1920er-Jahre sprach, heute entsprechen und wie wäre eine solche Erfahrung zu vergegenwärtigen?
Benjamins frühes Fragment Kapitalismus als Religion (1921) richtet sich gegen Beschreibungen einer trivialen ‚De‘- oder ‚Rechristianisierung‘. Viel umfassender sei der Kapitalismus als die extremste, wenn auch „parasitäre“ Ausprägung des Christentums, „eine reine Kultreligion“ und zudem der „erste Fall eines nicht entsühnenden, sondern verschuldenden Kultus“. Die Bewegung aus den Zwängen dieser Schuldgeschichte nennt Benjamin Profanierung. Ihre „Idee des Glücks“, derer sich jede Ordnung des Profanen allererst zu versichern habe, finden wir in der Liebe, in der Kindheit und als ein Ideal eben auch in der Kunst.
Seit der Moderne entwerfen die Avantgarden und Kunstreligionen politische Utopien für neue Lebensformen. Kunst „profaniert“, wenn sie die Gewalt normativer Ordnungen außer Kraft setzt, wenn sie neue Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten für kommende Gemeinschaften erfindet und ihr dies zugleich, anders als der Politik, auf spielerische Weise gelingt. Die Beiträge dieses Heftes, die auf verschiedene Weise die Profanierung der Künste in der Schuldgeschichte des Kapitalismus verorten, gehen selbst oft spielerisch mit der komplexen Vorgabe der politischen Theologie um – teils nachdenklich, oft leichtfüßig, mitunter auch in skeptischer Distanz zu Walter Benjamin, der für uns, gut ein Jahrhundert später – wenn auch mit einem Fragezeichen – ein Schleifstein theologisch-politischer Kunstkritik bleibt.
Toni Hildebrandt
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