Abb. 1+2: Georg Hüter, Altarraumgestaltung in der Ev. Johanneskirche Gießen, Foto: Andreas Koschate, Frankfurt.
Abb.3+4: Georg Hüter, Altar in der Ev. Stiftskirche St. Severus, Gemünden/Westerwald, Foto: Andreas Koschate, Frankfurt.
Subtil und Massiv – Georg Hüters Altarraumgestaltungen
Die neuen Altäre in der Gießener Johanneskirche und in der Stiftskirche Gemünden/Westerwald wurden im Zuge umfassender Renovierungen 2016 von dem Bildhauer Georg Hüter geschaffen.
Für die Jnohanneskirche Gießen entstand aus dem Kalkstein des vorhandenen 60er-Jahre-Altars ein neuer Altar und ein sechs Meter hohes Kreuz aus bronzenen Rundstäben. Mit dem Altar bildet es eine bildhauerische und symbolische Einheit. Die Form deutet ein Boot mit Segel an. Bei der Assoziation mit Boot und Mast mag man an die Kunst der frühen Kirche denken. Das Symbol des Kreuzes wurde damals in anderen Formen kodiert, auch als Schiffsmast. Georg Hüter sieht selbst noch mehr in dem Kreuz, das er für Gießen schuf. Es erinnert ihn auch an eine Antenne. Er möchte damit ausdrücken, dass dieses Symbol ebenso wie der Ort, für den es gemacht ist, für die Verbindung zwischen Gott und Menschen steht – eine Verbindung, die für unsere Sinne ebenso wenig fassbar ist wie Funk- und Radiowellen, aber dennoch real.
Hüter hat in Gießen den kompletten Altarbereich zur Gemeinde hin in gerundeter Form ausgedehnt. An diese vergrößerte Treppenanlage ließ er seitlich eine Rampe für den stufenlosen Zugang anschließen. Der Altar müsse barrierefrei sein, sei er doch das Symbol für die Einladung Jesu an die Mühseligen und Beladenen, argumentierte der Künstler.
In der Stiftskirche St. Severin in Gemünden ist der Altar aus Metall. Massive Messingplatten formen ein geknicktes Band mit einer außergewöhnlich langen Mensa. Ein behauener Basaltstein bildet den Kern und hält den Altartisch im Gleichgewicht. In der Vierung der gotischen Hallenkirche steht der Altar an der hellsten Stelle im Raum. Wenn man in den Altarbereich eintritt, wird Hüters Messingaltar zum Mittelpunkt der Raumerfahrung. Nun entfaltet er seine ganze Pracht mit dem warmen Glanz des Metalls. In der Formgebung dachte Hüter an die Darstellungen des letzten Abendmahls, die spätestens nach Leonardos Fresko in Mailand eine ikonische Form in dem langen Tisch gefunden haben. Auch wenn niemand weiß, wie der Tisch aussah, an dem Jesus mit den Seinen das Passamahl feierte: Das vielzitierte Bild der langen Tafel löst unterschwellig ein Gefühl der Verbindung mit dem Ursprungsgeschehen aus.
Die symbolischen Deutungsmöglichkeiten und religiösen Hintergründe bringt der Künstler fast beiläufig in sein Werk ein. Wer will, kann in seinen Altarskulpturen einfach funktionale Lösungen sehen. So auch im Blick auf die Platzierung der Taufe. In Gemünden befindet sich die Jugendstil-Taufschale in einem gläsernen Schrein, der zur Altarmensa gehört. In Gießen ist die Taufe ebenfalls in den Altar integriert – als Aushöhlung, die von einer quadratischen Messingplatte abgedeckt wird. Funktional wird die Raumgestaltung in beiden Fällen von einem Element entlastet. Denn jede andere Lösung hätte im Blick auf die Nutzungsbedürfnisse der Gemeinden bedeutet, die Taufe mobil zu machen, ihr damit aber auch gegenüber dem Altar etwas an Bedeutung zu nehmen. So aber verbindet der Künstler die beiden Sakramente augenfällig miteinander und dass sie buchstäblich zusammengehören, macht er unübersehbar. In Gießen spielt die Platzierung der Taufe dazu noch mit einer biblischen Geschichte, die den Künstler beschäftigt hat, nämlich die Sturmstillung nach Mk 4,35-41: In einer beängstigenden Situation verkörpert der im Heck des Bootes schlafende Jesus ein angstfreies Gottvertrauen. In dieses Vertrauen hinein wird getauft, meint der Künstler und platziert den Ort der Taufe ans Heck des Altar-Bootes.
In beiden Kirchen musste Georg Hüter eine Lösung für den Ort der Predigt finden. In Gemünden wurde aus der Kanzel eine Brücke in die Gemeinde hinein. In Gießen konzipierte Hüter das Lesepult und die Predigtstelle aus Stahlstäben: leicht, mobil und optisch nicht in Konkurrenz zum Altar. Die Grenze zwischen Altarbereich und Gemeindebereich wird durchbrochen und die Wortverkündigung dynamisch in Szene gesetzt.
In der Reduktion liegt bei Hüter immer eine Liebe zum Detail und eine subtile Reichhaltigkeit. Auf dem Basaltstein in Gemünden, sozusagen dem Herz des Altares, bieten polierte und rauhe Flächen ein delikates Zusammenspiel. Wie schwarzes Glas die einen, wie Urgestein die anderen. Der Altar in Gießen vereint eine dynamische Linienführung mit dem Gefühl für Kraft und Gleichgewicht. Keine seiner Kanten ist rechtwinklig. So sind aus jedem beliebigen Blickwinkel immer mindestens drei Flächen gleichzeitig zu sehen. Der räumliche Eindruck bleibt jederzeit erhalten. Die Auflagefläche hat Hüter sogar ein Stück zur Gemeinde hin geneigt – wenig genug, dass nichts ins Kippen kommen kann, aber ausreichend dafür, dass man auch auf den Bänken unterhalb der Altarstufen sitzend auf die Mensa schauen kann.
Text: Markus Zink (gekürzte Fassung aus kunst und kirche, Heft 2 / 2017)