Künstler des Monats September 2016 – Georg Hüter

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Georg Hüter und der Altarraum der Johanneskirche in Gießen

Georg Hüter ist ein Bildhauer, der vor allem mit Stein arbeitet. Aus Muschelkalk, Sand- oder Basaltlavastein erschafft er Skulpturen und Formen, welche nach näherer Betrachtung die Assoziation von Figuren hervorrufen. Je länger man sie betrachtet, desto stärker fesseln sie als steinernes Gegenüber den Blick. Ihr Ausdruck fasziniert und es scheint, als wollten sie mit der Betrachterin in Kontakt treten. Ohne einen Laut von sich zu geben sprechen sie etwas , das dazu anhält, einen Moment zu verweilen und die Stimmung aufzusaugen, die von ihren Erscheinungen ausgeht. In der Werkstatt des  Bildhauers entstehen auch Zeichnungen in schwarz-weiß mit Öl auf Kupferdruckpapier, die an japanische Tuschezeichnungen erinnern. Georg Hüter hat sich intensiv mit den körperbetonten Arbeiten von Inoue Yūichi auseinandergesetzt.

Im Mittelpunkt soll aber nun der neu gestaltete Altarbereich der Johanneskirche in Gießen stehen.  Im Zuge der Innenrenovierung wurde ein Künstlerwettbewerb dafür ausgeschrieben. Den Auftrag erhielt Georg Hüter. Altar, Kreuz, Kanzel und Lesepult wurden von dem Bildhauer angefertigt, der nach einer Steinbildhauerlehre ein Studium der Bildhauerei an der Städelschule in Frankfurt absolvierte.

Herzstück des Altarraumesist der neue Altar. Der Künstler hat den Stein des alten Altars aus Muschelkalk benutzt und umgedeutet. Mit Hammer und Meißel hat Hüter aus dem schweren Stein einen neuen Altar angefertigt. Die permanenten Bewegungen nach dem Herzrhythmus gehen in den fränkischen Muschelkalkstein über und verleihen ihm dadurch eine besondere Struktur und einen ganz individuellen Ausdruck. Obwohl der Altar mit 4 Tonnen sehr schwer ist, drückt er eine gewisse Leichtigkeit aus, vor allem durch die beiden nicht exakt aufeinander gestellten Steine und die leicht geschwungene Altarplatte. Diese ist an ihrer höchsten Stelle 1m hoch, 1m breit und 3,50m lang. Es gibt laut dem Künstler keine einzige rechtwinklige Stelle an dem Altar, alles ist verschoben und verdreht und wird dadurch nicht greifbar. Einzig und allein die unterste Fuge ist exakt. Hüter selbst begreift den Altar als eine religiöse Skulptur – und bezeichnet ihn metaphorisch als Boot.

Eine weitere Besonderheit des Altars ist, dass zwei Sakramente nun an einem Ort stattfinden: Abendmahl und Taufe. Denn ein Taufbecken ist in den Altartisch integriert, welches mit einem Bronzedeckel abgedeckt werden kann.

Das neue Kreuz aus Bronze ist 5, 50m hoch und 4,50m breit und ist ebenfalls in den Altartisch, etwas aus der Mitte verschoben, integriert. Es schimmert golden durch die Polierung und bei genauerer Betrachtung ist eine kaum wahrnehmbare Bewegung zu sehen. Beim ersten Blick in den Kirchenraum fällt das Kreuz kaum auf, trotz seiner Größe. Erst muss sich der Betrachter dem Altar nähern, um die Größe und Feinheit des Kreuzes aufnehmen zu können. Es wirkt zunächst unscheinbar – doch bei intensiverer Betrachtung gewinnt es an Bedeutung und Wirkung. Die Kanzel ist ebenfalls aus Bronze angefertigt und nicht mehr erhöht. Auch das Lesepult ist aus Bronze und kann weggestellt werden.

Insgesamt ist der Altarraum der Johanneskirche in Gießen kein abgeschlossener Bereich mehr und ragt in einem Halbrund mit drei Stufen in den Kirchenraum hinein. Diese Überlegung geht ebenfalls auf Georg Hüter zurück. Die Funktion des Altars als „Tisch des Herrn“ wird in der Johanneskirche wieder ins Zentrum gerückt. Auch können durch den erweiterten Altarraum erheblich mehr Menschen gemeinsam das Abendmahl feiern. Es ist eine unverkennbare Verbindung zwischen Spiritualität und Kunst entstanden und es gelingt Georg Hüter, ein Spannungsfeld zwischen Ästhetik und theologischer Betrachtungsweisen zu erzeugen – was zu kontroversen Dialogen führt, die in der Gemeinde produktiv genutzt werden können.

Text: Kristin Bald