Köln-Weidenpesch – ein neuer Typus Kirche?

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L: Erlöserkirche Köln-Weidenpesch, Harris und Kurrle 2022, Gesamtansicht mit Glockenturm, Wohnungen, Eingang zum Kindergarten (rechts), Fotos (c) Monika Nonnemacher/KB Köln
R: Erlöserkirche Köln-Weidenpesch, Harris und Kurrle 2022, Kirchenraum mit Prinzipalien und Fenster von Gabriele Wilperts

“Mut baut Zukunft” war das Thema des 30. Ev. Kirchbautages in Köln. Ein herausragendes Beispiel für diesen Mut ist die neue Erlöserkirche in Köln-Weidenpesch. Joel Harris von Harris und Kurrle Architekten hat sie mit der Gemeinde und ihrer Pfarrerin, Susanne Zimmermann gebaut.  Mutig war es zwei Kirchen aufzugeben, um eine neue Kirche zu bauen. Mutig ist aber auch das neue Konzept. Auf die Kirche baute Joel Harris drei Stockwerke mit Wohnungen und unter die Kirche im Gartengeschoss den Kindergarten. So entstand ein neuer Typus von Kirche, die Hauskirche 3.0. Was ist nun das Neue an diesem Modell?

Die Hauskirchen 1.0 waren die Wohnhäuser der ersten Christen. Die Räume des Alltags dienten als Versammlungsraum für den Gottesdienst. Es war derselbe Tisch, an dem gegessen und Abendmahl gefeiert wurde. Nachgewiesen wurde eine solche urchristliche Hauskirche allerdings bisher nur einmal, bei Ausgrabungen in Dura Europos, einer Stadt am Euphrat. Eduard Schweizer hat dann 1965 auf der legendären Tagung in Bad Boll zum modernen Kirchenbau dieses urchristliche Modell für das neue multifunktionale Gemeindezentrum, gewissermaßen die Hauskirche 2.0 in Anspruch genommen.

Die Idee dieser Hauskirche 2.0. war es einen Ort der Begegnung zu schaffen, der sich umstandslos in die neuen Wohnsiedlungen einfügt. Wie in der urchristlichen Hauskirche sollte es in den multifunktionalen Gemeindezentren keine Trennung zwischen Küche, Holzwerkstatt, Jugenddisco und Gottessdienstraum geben, keine Trennung von profan und sakral und deshalb auch keinen Turm, keine Glocken, keine Kanzel, keinen Altar:  »Vor allem scheint mir der Gottesdienstraum dadurch geprägt zu sein, dass die Gemeinde sich hier als Leib Christi im ganz konkreten Beieinandersein manifestieren kann. Darum sollten sich die Küche und die Wohnstube und die Räume für die Kinder sehr nahe um den Gottesdienstraum herum scharen und nicht grundsätzlich von ihm verschieden sein.« (Eduard Schweizer, Bad Boll 1965).  So kühn dieses Konzept auch gewesen sein mag, es ist gescheitert. Die Hauskirchen 2.0 waren atmosphärisch unterkühlt und religiös unkenntlich. Weder die christlichen Gemeinden noch die Öffentlichkeit fühlten sich in ihnen beheimatet.

Was ist nun anders in Köln-Weidenpesch? Ist dort tatsächlich ein neuer Typus von Kirche entstanden, eine Hauskirche 3.0 oder doch nur eine Addition von einzelnen Funktionen? Offensichtlich ist die Erlöserkirche kein multifunktionales Gemeindezentrum, sondern eine Kirche mit einem atmosphärisch fein entworfenen Andachtsraum, der eine beglückende Vielfalt an Perspektiven, Sitzordnungen, Lichteinfällen bietet, mit Prinzipalstücken, die zu schweben scheinen und einem wunderbaren Glasfenster, beides von Gabriele Wilperts. Öffentlich sichtbar und hörbar, vor allem für die neuen Mieter, ist die Kirche durch einen Turm mit Glocken und einen Kreuz, das eingewoben ist in die Fassade aus gelben Ziegeln. Zugleich ist die Kirche ein normales Wohnhaus, das keine Auflagen an die Konfession der Mieter macht. Und sie ist zugleich ein Kindergarten für das ganze Quartier. Nun könnte man meinen, dass in der Erlöserkirche diese verschiedenen Funktionen, Wohnen, Glauben, Erziehen und die verschiedenen Milieus, die säkulare Öffentlichkeit aus Eltern und Mietern und die christliche Gemeinde nur äußerlich addiert sind. Doch die äußerliche Hülle leistet mehr als eine bloße Addition. Wer in der Erlöserkirche zu seiner Wohnung will, kann umstandslos in die Kirche geraten und wer in die Kirche will in den Kindergarten und wer in den Kindergarten will zum Yogakurs etc.. Zumindest begegnet man sich auf im Treppenhaus, auf den Fluren, auf dem Vorplatz. Und deshalb entsteht in den informellen Zwischenräumen ein neuer Typus Kirche, also genau dort, wo unklar ist, ob es sich um eine Wohnung, Kindergarten oder Kirche handelt. Third Space nennt Homi K. Babha diese Zwischenräume, etwa das Treppenhaus, wo die Unterschiede von oben und unten, sakral und profan, säkular und religiös für einen Moment suspendiert sind und so etwas Neues entstehen kann. Man darf gespannt sein wie sich das Experiment der Zwischenräume in der Erlöserkirche in Köln-Weidenpesch entwickeln wird.

Thomas Erne

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