KYRA SPIEKER – KÜNSTLERIN DES MONATS

Fotos: Carl A. Abitz; VG Bild-Kunst 2015


Kyra Spieker und die Ausstellung „Im Dialog“ in der Evangelischen Kirche Badenhard

Badenhard ist ein seit 1528 evangelisch geprägtes Dorf am Ostrand des Hunsrücks, kurz bevor er zum romantischen Mittelrheintal hin abfällt. In der Reformationszeit gehörte der Ort zur Grafschaft Katzenelnbogen  und damit zu Kurhessen; heute liegt er auf dem Territorium der Evangelischen Kirchengemeinde Emmelshausen-Pfalzfeld. Die Jugendstilkirche, die im Jahre 1910 fertiggestellt wurde, stellt den Mittelpunkt des nur noch 170 Einwohner zählenden Ortes dar. Gebaut wurde sie nach Plänen des St. Goarer Architekten Georg Bernhard. Sie ist eine von zwei Jugendstilkirchen der Region und stellt damit eine architektonische Besonderheit dar.

Kommt man in das Innere der Kirche, so fallen sofort die „klassischen“ Jugendstilfenster mit ihren elliptischen Formen ins Auge. Unüblich für die damalige Zeit ist dagegen die Stellung von Altar und Kanzel nahe bei der Gemeinde. In preußischer Zeit wahrte man eher Distanz zwischen Altar und Gemeinde. Auf den ersten Blick störend wirkt der barocke Orgelprospekt, der aus dem Vorgängerkirchbau stammt. Gerade dieser ist jedoch für das historische Bewusstsein der Gemeinde wichtig, steht er doch für die Kontinuität gemeindlichen Lebens über die Jahrhunderte hinweg.

Im Rahmen des Themenjahres „Bibel und Bild“ wagte die Kirchengemeinde den Versuch, den Raum durch Installationen der Künstlerin Kyra Spieker neu wahrzunehmen. Unter dem Titel „Im Dialog“ machte sie unterschiedliche, extra für die Kirche geschaffene Exponate der Gemeinde undeinem interessierten Publikum zugänglich, die den Kirchraum und das darin stattfindende Gemeindeleben in ein neues Licht rückten.

Allen für dieses Projekt entwickelten Arbeiten liegt das Kreuzmotiv zu Grunde. Vertikale und Horizontale gehen eine Verbindung ein; dieses gilt als Symbol für das Irdische und das Himmlische, für den Opfertod Jesu einerseits und anderseits für die Verbundenheit der Menschen untereinander.  Außerdem finden sich in den Installationen immer wieder die elliptischen Formen aus den Kirchenfenstern. Auch diese stehen mit ihren beiden Brennpunkten für die Polarität der Welt und den Dialogcharakter aller Begegnungen.

Zentrales Exponat ist die Raumplastik auf der Empore mit dem Titel „Verbundenheit“. Als sich im Kreuzsymbol verbindendes Ellipsenpaar schwebt sie lichtdurchflutet im Raum und fängt dabei mit ihrer teils hochglänzenden Oberfläche Teile des Raums spiegelgleich ein. Die gekreuzten Ellipsen bestimmen auch das Altartuch mit dem Titel „Äquivalent“. Als Zeichnung auf zwei Ebenen aus Transparentpapier entwickelt sich eine Kreuzform auf grünem Grund, der liturgischen Farbe der Trinitatiszeit, in der die Ausstellung stattfindet. Der Altar ist mit Ausnahme des Altartuches und der Heiligen Schrift leer geräumt.

Unter dem Titel „Korrespondenz“ wurden Transparentpapiere mehrschichtig beschriftet, die Texte sind dadurch nicht lesbar; die Teilung der Schriftflächen in sich überschneidende Streifen verfremdet die Situation zusätzlich und betont die Eigenständigkeit der Interaktion. Die bestehenden Schriftzüge aus der Entstehungszeit der Kirche werden teilweise verdeckt und durch Texte mit reflektierender Haltung ergänzt. Diese Überdeckung geschieht einmal horizontal und ein anderes Mal vertikal – so zeigt sich auch in diesem Werk das zentrale Symbol des Kreuzes.

Im Rückblick auf die Ausstellung lässt sich tatsächlich sagen, dass sich die Polarität und der Dialogcharakter der Installationen auf die Besucher der Kirche und die Gemeinde übertragen hat: Nicht nur wurde der Raum von vielen durch bewusstes Weglassen (Altar) und Überdecken (Inschriften) neu in seiner Gestaltung wahrgenommen. Die Gespräche, Gottesdienste und sonstigen Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung vertieften auch den Austausch der Bewohner eines Ortes, der massiv vom Strukturwandel des ländlichen Raumes geprägt ist.

Text: Markus Risch

 „Mittels meiner Arbeit kann ich mich immer wieder meinem Hauptanliegen annähern: Raum anschaulich und erfahrbar zu machen. Der rechte Winkel, das Quadrat, der Würfel bilden das abstrakte Ausgangsvokabular um Raum ganz allgemein zu beschreiben. Ich erforsche die Strukturen dieser Grundformen und entdecke ihre Vielfalt durch Teilungen, Schichtungen und Drehungen. Die logische Vorgehensweise führt mich zu systematischen Variationen; mich und den Betrachter zu neuen Seherfahrungen und einer verfeinerten Raumwahrnehmung.“(Kyra Spieker)

Anmerkung der Redaktion:

Kyra Spieker

1957 geboren
1980-1983  Studium an der Fachschule für Keramikgestaltung, Höhr-Grenzhausen
seit 1984 eigenes Atelier
1990-1997  Lehrauftrag an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
1996-1999  Studium an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Fachbereich Bildende Kunst
1990 Mitglied der Académie Internationale de la Céramique, Genf

lebt und arbeitet in Höhr-Grenzhausen
www.kyraspieker.de

In den Arbeiten der Künstlerin  Kyra Spieker begegnet man geometrischen Grundformen, übersetzt in Materialien wie Keramik, Porzellan, Folie, Draht, Edelstahl. Glatte Oberflächen, rhythmische  Ordnungen, klare Formensprache. Die Nähe zur konkreten Kunst ist deutlich.  Max Bill schrieb 1947: „Das Ziel der Konkreten Kunst ist es, Gegenstände für den geistigen Gebrauch zu entwickeln, ähnlich wie der Mensch sich Gegenstände schafft für den materiellen Gebrauch.“

Interessant und verstörend, wie weit die Inhalte und  Atmosphären  dieser Kunst  und eines 19. Jahrhundert-Kirchenstils auseinander liegen.  Eine Kontroverse, die sich nicht aufheben läßt, die man einerseits als widerständig  wahrnehmen muss, andererseits als produktive Verunsicherung in vielerlei Hinsicht nutzen kann, wie es das Badenhardsche Modell zeigt.