Architekturflash – Weißrussische Kirche des hl. Kyrill in London

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Die Weißrussische katholische Mission des Byzantinischen Rechts in London erteilte 2016 den Auftrag an das junge Architekturbüro Spheron Architects, eine Kirche zu entwerfen, die Elemente der byzantinischen Architektur aufgreifen und doch einzigartig sein sollte. Der Sakralbau sollte den Geist und die Identität der Weißrussen reflektieren. Seit der Gründung der Mission 1947 im Woodside Park stand der Gemeinde nur ein behelfsmäßiger Gebetsraum in ihrem Kulturzentrum Marian House zur Verfügung.

Der Wunsch der Gemeinde traf bei dem Begründer des aufstrebenden Architekturbüros Tszwai So auf fruchtbaren Boden. Denn sein Anspruch ist es, an erster Stelle den Narrativen der Auftraggeber im Architekturprojekt Ausdruck zu verleihen. Das Ergebnis der einfühlsamen Zusammenarbeit mit der Weißrussischen Gemeinde wurde 2018 auf dem World Architecture Festival in Amsterdam mit dem ersten Preis in der Kategorie Religion Completed Buildings gewürdigt und ist dieses Jahr für den Europäischen Mies van der Rohe Award für Architektur nominiert worden.

 

Als das Architekturbüro den Auftrag annahm, wusste So wenig über die Kultur und die traditionelle Bauweise der Weißrussen. Er ließ sich von Gesprächen, Büchern und Filmen inspirieren und reiste nach Weißrussland, um die Holzkirchen vor Ort zu studieren. Eine Reihe von Zeichnungen, Fotografien und Filmaufnahmen entstand, die die Grundlage für den Entwurf der Kirche bildete.

Er lernte, dass die weißrussische Bevölkerung über Jahrhunderte eine tiefe Beziehung zu Holz entwickelt hat. Das Material gehörte bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein zum zentralen Rohstoff, der sowohl im profanen wie auch im sakralen Bereich verwendet wurde: Nicht nur Einfamilienhäuser, sondern auch Gotteshäuser wurden aus Holz gebaut. Alltagsgegenstände wie Löffel, Bänke, Webstühle oder Wiegen wurden ebenso aus Holz gefertigt wie sakrale Ausstattungen, zu denen Heiligenskulpturen und Ikonen aus Holz gehörten.

Vier Birken wurden in den sechziger Jahren feierlich auf dem Grundstück der Weißrussischen katholischen Mission gepflanzt, um an Weißrussland zu erinnern.

Umringt von diesen Birken und dreizehn alten Linden steht heute die hölzerne Kirche, die ihren Namen nach dem heiligen Kyrill von Turau und allen heiligen Patronen des Weißrussischen Volkes erhielt. Ein markanter Zwiebelturm mit Sonnenkreuz über dem Eingangsbereich krönt das sonst schmucklose Gotteshaus. Die Kuppel beherbergt eine Glocke, die der Gemeinde von einem Belgischen Kloster gestiftet wurde. Ein Schrägdach mit Holzschindeln schließt die Kirche nach oben hin ab.

Die Fassade besteht aus senkrecht angelegten Holzbrettern, die an den Seiten wellenförmig angeordnet sind. Die Zwischenräume sind mit Milchglas hinterlegt, das natürliches Licht ins Kircheninnere hereinlässt und gleichzeitig den Eindruck einer fließenden Fassade verstärkt. Diese lebendige Verschränkung von traditionellen und zeitgenössischen architektonischen Elementen vermittelt Vertrautheit und Stabilität komplementär zu Bewegung und Transparenz.

Im Kircheninneren bestehen die Seitenwände aus waagerecht angeordneten Holzbrettern, die den Blick von außen versperren. Zusammen mit Lichtgaden in Bodenhöhe und unterhalb des Schrägdaches kreieren sie eine intime Atmosphäre, die die nach innen gewandte byzantinische liturgische Tradition wiederspiegele, heißt es auf der Webseite der Gemeinde.

Tszwai So fühlte sich stark vom Film “Komm und sieh” von Elem Germanowitsch Klimow inspiriert, der eine Filmszene zeigt, in der die Wehrmacht die Dorfbevölkerung in Holzkirchen einsperrte und sie anzündete. Nachts erstrahlt die Kirche durch eine gleichmäßige Innenbeleuchtung wie ein Signalfeuer, das an die Verbrechen der Nazis erinnern soll, bei denen tausende Weißrussen ums Leben kamen.

1986 ereignete sich ein weiteres Unglück, das die Weißrussische Bevölkerung stark traf. Nach der Nuklearkatastrophe in Tschernobyl fiel 70 % des radioaktiven Niederschlags auf Weißrussland nieder und kontaminierte weite Teile des Landes. Als Erinnerung an die Opfer des atomaren Unfalls sollte die Kapelle ein Gedenkort werden. Diese Idee würdigte sogar die Kongregation für die orientalischen Kirchen in Rom, indem sie die Kosten für den Sakralbau übernahm.

Um ein architektonisch überzeugendes Statement auf die bisher größte Umwelt-            katastrophe in der Geschichte zu geben, waren Material- und Energiefragen für die Spheron Architekten bei diesem Bauvorhaben von höchster Bedeutung. Die Kirche wurde aus FSC zertifiziertem schnell wachsendem Pinienholz aus dem Baskenland gebaut. Eine leichtgewichtige Holzbalkenstruktur aus nachhaltig angebauter Britischer Douglasfichte trägt die Kirche und schützt gleichzeitig die Wurzeln der ringsum stehenden Bäume.

Im Kirchenraum gibt es eine natürliche Belüftung durch den Glockenturm, während eine energiesparende Heizung unterhalb des Altars installiert wurde. Im Vergleich zum vorherigen behelfsmäßigen Gebetsraum wurde der Gasverbrauch um 100 % und der Stromverbrauch um 60 % reduziert.

 

Der Sakralraum, der bis zu vierzig Personen aufnehmen kann, wurde mit Holzbänken bestückt und mit einer traditionellen sakralen Ausstattung eingerichtet. Darunter befinden sich zwei Ikonen aus der Londoner Westminster Cathedral, die 1926 für eine griechisch-katholische Gebetswoche gemalt wurden.

 

 

Das neue Weißrussische spirituelle Zentrum in London ist heute ein Ort des Betens und Gedenkens, das Menschen weit über die Gemeindemitglieder hinaus anzieht.

 

Text: Dorothea von Kiedrowski
Bilder: Joakim Boren und Czalex (Lizenz)
Zeichnungen: Tszwai So
www.spheronarchitects.co.uk
www.belaruschurch.org.uk
www.joakimboren.com