Kolumne: Durch die Augen der Kunst – Ritual, Geschmack und Hefe

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Lisa Bartling, Challa (2022)

 

Vor Kurzem, am Martinstag, habe ich mir einen Stutenkerl gekauft, ein Hefemännchen, das in der Region, aus der ich stamme, traditionell um diesen Tag herum gebacken wird und auch anderswo und unter anderen Namen bekannt ist. Das Gebäck erinnerte mich daran, dass eine von mir geplante Backaktion noch ausstand, und zwar nach einem Rezept, das mir unerwartet ein Museumsbesuch beschert hatte.

Im September hatte ich zum ersten Mal das Jüdische Museum in Frankfurt besucht, das nicht nur thematisch spannend ist, indem es unterschiedlichste Facetten der Religion und vielfältigen Kultur von Jüdinnen und Juden in Geschichte und Gegenwart beleuchtet. Die Ausstellungen strotzen nur so vor kreativen und zeitgemäßen Ideen der Wissensvermittlung und setzen multimediale ebenso wie interaktive Elemente ein, zum Beispiel, wenn man vier virtuellen Rabbinern und einer Rabbinerin in einer Videoinstallation via Tablet Fragen der Gegenwart stellen kann.

Ein thematischer Abschnitt der Dauerausstellung faszinierte mich besonders: Tradition und Ritual. Hier kann die Sinnlichkeit jüdischer Zeremonialkultur erlebt werden, die mit Klang, Licht, Duft und Geschmack die spirituelle Dimension der rituellen Handlungen verstärkt. – Und eine dieser Traditionen ist das Backen der Challa, ein Hefegebäck, das vor allem für den Schabbat und die Feiertage zubereitet wird. Die zwei Challot (so der Plural), die für den Schabbat gebacken werden, erinnern daran, dass die Israeliten auf der Wanderung durch die Wüste nach dem Auszug aus Ägypten am sechsten Tag der Woche eine doppelte Portion Manna sammeln durften. Zur Zeit des Jerusalemer Tempels musste ein Teil des Brotteigs verpflichtend an die Priester abgegeben werden. Nach der Zerstörung des zweiten Tempels wurde stattdessen, und wird bis heute, ein kleines Stück Teig symbolisch abgetrennt und verbrannt.

Im Laufe der Zeit haben sich verschiedene Rezepte und Zubereitungsarten entwickelt. Im europäischen Raum wird der Teig oft zu Zöpfen geflochten und mit Mohn bestreut, während es in orientalischen Ländern andere Formen und Toppings gibt. Mittels Stoffsträngen kann man sich im Jüdischen Museum an verschiedenen Arten des Flechtens versuchen.

Praktischerweise ist es möglich, über die Museum To Go-Karte, die man beim Museumsbesuch bekommt, Exponate und Geschichten „einzusammeln“, die man Zuhause über die Museumswebsite noch einmal anschauen oder nachlesen möchte – ich habe mir natürlich ein Rezept für Challa mitgenommen.

Dann heize ich schon mal den Ofen an!




Durch die Augen der Kunst

Die Künstlerin und Kunsthistorikerin Lisa Bartling berichtet hier regelmäßig über die kleinen religionsästhetischen Phänomene, die ihr im täglichen Leben begegnen. Davon inspiriert entsteht jedes Mal auch eine künstlerische Arbeit, als Skizze, Illustration oder Fotografie.
 


Illustration: © Lisa Bartling