In einer Gruppe leuchtet zwanglos etwas Göttliches auf, wenn sie selbstvergessen spielt und miteinander etwas Neues schafft. Das war die Idee der Liturgy Specific Art in der Stiftskirche TÜBINGEN am Sonntag Misericordias Domini (23.4.2023) in der Reihe der Universitätsgottesdienste zum Thema “Ungehorsam”.
In der Bibel findet sich die schöpferische Qualität des Spiel in den Sprüchen Salomons (8, 22-31). Sophia, die Weisheit spielt wie ein Kind zu den Füßen Gottes. Sophia, die vor aller Zeit war, ist ein Bindeglied zwischen dem Himmel, der göttlichen Schöpferkraft, die Neues schafft, und der Erde, denn die Sophia ist ein Geschöpf wie wir.
Das Thema des „Ungehorsam“ kam zweimal im Gottesdienst vor und zwar in der Kunst. Zum einen im schöpferischen Spiel mit Tönen, angeleitet von Ingo Bredenbach: Hier gehorchte die Gemeinde keiner Vorgabe, keinem Notentext, sondern ihren Intuitionen und experimentierte mit der Stimme, ohne dass ein Ergebnis feststand. Das Beispiel, das zu einer solchen Improvisation anregt, ist die Schlusszene im Film “Wie im Himmel”. In dieser Szene verbindet sich ein Auditorium in einem freien Miteinander, ohne Dirigent, weil jeder sein eigener Dirigent ist.
Zum andern kam das Thema “Ungehorsam” in einer sozialen Plastik vor, die unter der Anleitung von Thomas Putze im Gottesdienst in einem experimentellen, offenen Prozess mit organischen Materialien, Ästen, Stöcken, Baumstümpfen und Rohren aus Metallschrott entstand. Schon der scharfe Klang der Metallrohre auf dem Steinboden war ein Sound des Ungehorsams, der die Kirche in eine Werkstatt verwandelt. Die wilde Form, die sich in einem kooperativen Miteinander entwickelte – jeder musste nach jemand suchen, der ein Gegenstück hatte, mit dem er sich verbinden konnte – verknüpfte das Hauptschiff mit der Kanzel und dem Altar. Himmlisch war dieQualität des spielerischen Miteinander aber nicht nur symbolisch, sondern auch effektiv. Die Gemeinde erlebte, welches schöpferische Potential ein kooperativer, offener Prozess freisetzt, denn sie schuf im Gottesdienst eine raumgreifende Skulptur, die den Raum der Kirche verwandelte und ein neues Raumgefühl erzeugte.
(Text + Predigt: Thomas Erne – Fotos: Katrin Burtschell)
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