LITURGY SPECIFIC ART – STEFAN BECKER-SCHMITZ 2013

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AGGREGAT/CONGREGAT – THE GOLDEN TUBE

Liturgy Specific Art mit Stefan Becker-Schmitz: 26. Mai – 07.Juli 2013

      

LSA MIT STEFAN BECKER-SCHMITZ: AGREGAT-CONGREGAT THE GOLDEN TUBE

Für Stefan Becker-Schmitz verlief der Bezug zur Liturgie über die Raumatmosphäre und über die Maßstabsverrückung im Kirchenraum durch die Dimension seiner Objekte. Ein goldener Zylinder füllte auf halber Höhe machtvoll das ganze Kirchenschiff. Doch war seine golden schimmernde Körperlichkeit leicht und luftig: Rettungsfolie, mit Kirchenraum- und Atemluft gefüllt, die den Zylinder im Verlauf des Gottesdienstes immer weiter anschwellen ließen. Eine hermetische Form mit einer sinnlichen Oberfläche, die atmete, knisterte und sich sachte bewegte. Eine um den Altar sich windenden Schlauchform, ein riesiges Kissen und ein sich auf die Straße hinausblähender Wulst  waren luftgefüllte Nebendarsteller, die Stefan Becker-Schmitz anlässlich der „Nacht der Kunst“ der „Golden Tube“ zugesellt hatte.   LSA am 26. Mai 2013 Predigt: Prof. Dr. Thomas Erne Konzept: Stefan Becker-Schmitz Kurator: Sebastian Werner Fotos: Institut für Kirchenbau    Mehr über Stefan Becker-Schmitz im ‘Künstler des Monats November 2011’: Stefan Becker-Schmitz Homepage des Künstlers: www.beckerschmitz.com

Aus der Predigt am 26. Mai 2013 zum Aaronitischen Segen (4. Mose 6,24-26), Prof. Dr. Thomas Erne

Blickgeschichten

(…) 2. Blicke können ermutigen.

Blicke können Menschen beflügeln. Blicke können Menschen über sich hinauswachsen lassen. Der Blick Gottes, der am Ende jedes Gottesdienstes über mir leuchtet. Konzentriert, wohlwollend, zugewandt. Ein Blick, wie der meiner Mutter, die mich bei der Geburt anstrahlte. Das hoffe ich jedenfalls. Erinnern kann ich mich nicht. Aber ich spüre diesen Blick bis heute. Mamas unbestrittener Liebling. So etwas behält man fürs Leben:  „Jenes Eroberergefühl“,  so sagt Sigmund Freud,  „jene Zuversicht auf Erfolg, die nicht selten den Erfolg auch nach sich zieht“ (Ges. Werke XII, 26). Und wenn man diesen Blick nie hatte? Das Leuchten im Angesicht der Mutter? Das Strahlen in den Augen des Vaters? „Dann bekommt man es auch nicht nachgeliefert“, urteilt hart und unerbittlich Marlene Streeruwirtz, „es hilft nichts. Was man als Kind nicht bekommt. Das lässt sich nicht nachholen“ (Morire in Leviante).

Ich glaube, es gibt Ersatzblicke. Es gibt die anerkennenden Blicke der Großeltern, der Paten, es gibt die Blicke der Freunde, die liebevollen Blicke des Partners und der Partnerin, es gibt die anerkennenden Blicke von Lehren, Professorinnen, Kollegen, den freundlichen Blick der Postbotin, der Nachbarin, der Kommilitonen, einer Unbekannten mit Hund, der ich auf der Straße begegne.

Doch so viel ist richtig an Marlene Streeruwitz hartem Urteil: Wir alle leben von den wohlwollenden Blicken der Anderen. Es gilt das „Outside-Inside Principle“ (Merlin Donald). Man muss Anerkennung von anderen erfahren haben, um sich selber anerkennen zu können, um im Kontakt mit den eigenen Wünschen und Empfindungen zu leben. Die Wertschätzung, die ich mir selber gegenüber entwickle, entwickelt und erhält sich in den wertschätzenden Blicken anderer Menschen (vgl. A. Honneth, Verdinglichung 2005, 89).

3. Blicke können aber auch töten

Sie können das Selbstwertgefühl lähmen, sogar die Intelligenz. Plötzlich ist der Kopf wie blockiert. Nichts geht mehr  im Examen. In der mündlichen Prüfung. Die christologischen Formeln, die Theorien zur Kasualpraxis – wie weggeblasen. Der Prüfer blickt prüfend, spöttisch. Und der Kandidat blickt zu Boden und hat nur noch einen Wunsch: Nichts wie weg hier …

So muß sich Jakob vor seinem Vater gefühlt haben. Wie ein Examenskandidat, der alles falsch gemacht hat. Er steht vor ihm und aller Glanz ist aus seinen Augen verschwunden:  Jakob, der Betrüger.

Nun steht er da, den Blick auf den Boden gesenkt und hat nur noch einen Wunsch: Nichts wie weg hier. Wohin flieht ein Mensch, der die Anerkennung der Anderen verloren hat? Zu Gott? Und was erwartet ihn da? Es kann doch Gott nicht gefallen, was Jakob seinem Bruder angetan hat. Sieht nicht auch Gott  ablehnend auf Jakob?

So traumatisiert liegt Jakob bei seiner Flucht auf einem weiten,offenen Feld und träumt. Einen Traum, der uns seitdem beschäftigt. Denn in diesem Traum erneuert Gott den Segen, den er Jakobs Vater Isaak und seinem Großvater Abraham gab, gegenüber Jakob –  obwohl Jakob seinen Bruder um eben diesen Segen betrogen hat.  Gott lässt sein Angesicht leuchten über Jakob, dem Segensbetrüger, und schenkt dem verunsicherten und beschämten jungen Mann neuen Frieden. Was er verloren hat, den Glanz in den Augen des Vaters – im Angesicht Gottes findet er ihn wieder.

Und  wo bleibt der strafende Blick Gottes? Der Blick, der auch töten kann? In Jakobs Traum kommt dieser Blick nicht vor. Was Jakob falsch gemacht hat, wird nicht einfach weggewischt. Aber es wird zum Guten gewendet. Gott lässt sein Antlitz leuchten über Jakob als  Person, nicht über seinem Tun, seiner Erbschleicherei. So von Gott angesehen zu werden, so als Person mit ihren Widersprüchen anerkannt zu sein, istein Segen.

In diesem anerkennenden Blick Gottes wird Jakob Zugang finden zu sich selber. Er wird das Gefühl der Scham in sich spüren können und er wird zu Schuld, die er auf sich geladen hat, stehen lernen. Erlösung beginnt nicht mit dem Bekenntnis der Schuld, sondern mit der Annahme des Sünders. Nach vielen Jahren in der Fremde wird Jakob –  der von Gott wertschätzend angeblicktes Jakob –  heimkehren, sich vor seinem Bruder niederwerfen  und ihn um Vergebung zu bitten (vgl. Gen. 33).

4. Gott blickt uns an

Auch sie, liebe Gemeinde sind an diesem Morgen hier in der Universitätskirche  an einem Ort, an dem Gottes Angesicht über ihnen leuchtet.

Wie Jakob werden Sie von Gott liebevoll anblickt: „Gott lässt leuchten sein Antlitz über Ihnen und ist Ihnen gnädig. Gott erhebe sein Antlitz auf Sie und schenkt Ihnen seinen Frieden“.  Das ist der Segen, der ihnen am Ende des Gottesdienstes zugesprochen wird. Und so wertschätzend und wohlwollend angeblickt zu werden, das ist bereits ist die Wirklichkeit des Segen. Segen ist performativ. Er verwirklicht als Sprachhandlung, wovon er spricht.  Die Anerkennung im wertschätzenden Blick Gottes ist die Gnade und der Friede, die mich in meinen Alltag begleitet.

Nun wird Sie am Ende dieses Gottesdienstes niemand anders segnen als der Liturg. Ich werde den Segen sprechen. Ich werde sie ansehen. Aber ich werde dabei den Anspruch erheben, dass nicht ich es bin, der sie segnet, sondern Gott das Subjekt der Segenszusage ist.  Das Leuchten seines Angesichtes teilt sich Ihnen als eine bestimmte Qualifizierung meiner Blicke mit. Mein Blick ist nicht Gottes Blick, wenngleich er sie nur durch meinen Blick anblicken kann.

5. Alternative Blickgeschichte

Das hat eine lebenspraktische Pointe: Man lernt durch diese Unterscheidung als Segnender seinen Blick anders zu sehen. Man lernt sich im Blick auf einen anderen zurückzunehmen. Ein nicht verdinglichenden Blick, der den Anderen nicht zum Objekt meiner Wünsche oder Mittel meiner Zwecke machen. Der Segen ist der starting point einer alternativen Blickgeschichte. Sie alle sind an ihr beteiligt. Denn jeder kann den Anderen durch Blicke segnen. Blicke, die ihn als Person wertschätzen. So als würde Gottes Angesicht leuchten durch meinen Blick hindurch, durch die Blicke, die sie einander zuwerfen.

6. Golden Tube – Agregat/Congregat

Das ist meine Deutung, des Kunstwerks von Stefan Becker-Schmitz, das uns diesen Gottesdienst über begleitet hat.  In einer Gemeinschaft von Menschen, die sich in ihren Blicken segnet, wird der Geist Gottes, der die Liebe ist, beinahe mit Händen greifbar. Das Kunstwerk materialisiert diesen Geist der Gemeinde. Es ist ein Congregat, ein materialisierter Ausdruck desGeistes der Congregation, der Gemeinde, ihrer Haltung wechselseitiger Wertschätzung. Und es ist golden. Gold, die Farbe des höchsten Wertes, den mein Gegenüber in einem wertschätzenden Blick gewinnt.

Man kann den Weg auch umgekehrt gehen und das Kunstwerk, das über den Bänken schwebt nicht als Ausdruck und Resultat, sondern als Bedingung der wertschätzenden Blicke begreifen, die wir uns in den Bänken zuwerfen. Nur wenn sich die Anwesenden in ihrer wechselseitigen Wahrnehmung auf eine Bedingung beziehen, die außerhalb ihrer Verfügung ist, die als Möglichkeit über ihnen schwebt  – Gott, der sein Angesichts über ihnen leuchten lässt wie eine goldene Tube – werden ihre Blicke nicht narzisstisch verengt, wird das Gegenüber in meinem Blick nicht zum Ding oder Mittel, sondern ein Wert an sich… Text: Thomas Erne