Designerin des Monats: Samira Vogl mit „Muh·thr“, einem modernen, wellenförmigen Schrank-Sarg

„Dinge machen tote Leute“

Samira Vogl studiert im 9. Semester Produktdesign an der Kasseler Kunsthochschule und hat in ihrem letzten Studiensemester im Rahmen eines freien Projektes „Muh·thr“, ein Schrankregal, das mit wenigen Handgriffen zum Sarg umgestaltet werden kann, entworfen. Ausgestellt wurde es zum Rundgang 2023. Samira bewegt sich in ihren Arbeiten zwischen Design und Kunst. Sie möchte sich nicht nur auf eine funktionale Gestaltgebung fokussieren, sondern ihr Design soll auch Statement und Aussage sein.

Als Besucherin ist mir Samira Vogls leuchtend blaue Arbeit mit geschwungenen Wellenlinien aufgefallen, da ich mit Särgen zumeist Varianten aus schwerem Holz mit metallenen Griffen und verschnörkelten Verzierungen – trist und konservativ, verbinde. Ihr Ausstellungsstück hingegen hat auf mich auffallend frisch gewirkt.

Das Projekt

Christina Bickel: Schön, dass Du, Samira Vogl, Dich zu einem Gespräch für unser Webzine bereit erklärt hast. Zunächst wäre es hilfreich, wenn Du uns erzählen könntest, wodurch sich Dein Projekt auszeichnet und wie Du auf die Idee gekommen bist ein Regal als Sarg zu entwerfen.

Samira Vogl: Am eindrücklichsten sind an dem Regal seine blaue Farbe und die Kurven. Beides sind Gestaltungselemente, die regulär an Regalen eher seltener zu finden sind. Vor allem aber kann das Regal in einen Sarg verwandelt und entsprechend genutzt werden, was eher ungewöhnlich ist. Thematisch geht es in meinem Projekt um Trauerkultur und Tod sowie um die Frage, wie Design dazu beitragen kann, diese Themen positiv zu beeinflussen. Ich habe mich bewusst mit den Themen Bestattung, Trauer und Abschied auseinandergesetzt und dafür die Trost-Ausstellung im Museum für Sepulkralkultur besucht. Dies führte mich zu der Erkenntnis, dass in unserer Gesellschaft das Thema Tod gemieden wird und oft Angst bereitet. Design kann uns hierbei helfen, Tod als Teil des Lebens zu begreifen, wenn wir den Tod entsprechend gestalten und ihm eine Form geben. Die Thematik wird dadurch greifbarer und weniger beängstigend. Die Idee hinter Muh·thr (mother) ist, dass uns das Regal über einen gewissen Zeitraum im Leben begleitet und Erinnerungen in Form von Fundstücken sammelt. Dabei handelt es sich um Objekte, an denen immer ein bisschen „Ich“ dran hängen bleibt. Muh·thr steht für die Auseinandersetzung mit der Vergänglichkeit in unserem gegenwärtigen Leben und schafft so gleichzeitig ein Bewusstsein für den unabdingbaren Tod. Ist der Zeitpunkt des Abschieds gekommen, kann das Regal, umgebaut zum Sarg, eine Verbindung zwischen eigener Biografie und dem Zustand, der über das Leben hinausgeht, sein. Der Umbau kann, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, gemeinsam mit wenigen Handgriffen erfolgen und ist Teil des gemeinsamen Trauerprozesses.

CB: Hast Du einen direkten Bezug zu dem Thema? Was bedeutet es für Dich, den Tod in die eigenen vier Wände hineinzulassen?

SV: Tod ist für mich schon immer ein schwieriges Thema gewesen. Ich habe früh meine eigene Mutter verloren und dahingehend eine große Mauer aufgebaut. Ich habe versucht für mich einen Weg zu finden, um mit dieser Thematik umzugehen. Dabei bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es im Leben nicht darum geht, dass wir irgendwann sterben müssen, sondern, dass es darum geht, das Leben zu füllen. Dabei spielen nicht primär die materiellen Dinge eine Rolle, sondern die Erinnerungen, die diese Materialitäten symbolisieren und die für jeden von uns persönlich von großer Bedeutung sind. Ich bin der Meinung, dass, wenn wir uns bewusstwerden, dass wir nur dieses eine Leben haben, ein bewussteres Leben führen können. Denn, sobald wir auf die Welt kommen, ist die größte Sicherheit in unserem Leben schon der Tod. Der Alterungsprozess fängt Mitte der Zwanziger an und lässt sich dann ja nur noch begrenzt aufhalten. Würde man also danach gehen, wäre der Tod meiner Meinung nach immer im Leben präsent. Das Regal verdeutlicht in seinem Design das Leben, das den Tod präsent hält.

 

Zum Design

CB: Wie bist du auf das Design, auf die Farbe und Form gekommen? – Die Arbeit wirkt auf mich sehr ungewöhnlich, geradezu der Pop-Art entsprungen.

SV: Meine größte Inspirationsquelle für die Arbeit ist der Designer Ettore Sottsass sowie das gesamte italienische Radical design der 60er/70er Jahre. Die Vertreter dieser Strömung richteten ihre Haltung gegen den Konsum aus und sahen sich nicht nur als Dienstleister in einem kommerziellen Kontext, sondern setzten sich aktiv und kritisch mit gesellschaftlichen Themen auseinander. Alles Themen, die mich auch heute in meiner Denk- und Arbeitsweise bewegen. Der Ultrafragola Spiegel von Sottsass, der gegenwärtig häufiger zu sehen ist, hat mich außerdem auch zu den Kurven inspiriert. Dazu ist Blau eine Farbe, die uns durch den Himmel und das Wasser häufig auf unserem Planeten begegnet. Beide Elemente mag ich persönlich sehr und verstehe, dass Menschen sich davon angezogen fühlen – vielleicht gerade, weil es der direkte Bezug zur Unendlichkeit ist.

CB: Besitzen die Wellen eine besondere Symbolik?

SV: Wenn wir an Sargkultur denken, haben wir vermutlich alle einen ähnlichen Typus von Holzsarg vor Augen, ein eher geradliniges Design. Das Objekt sollte deshalb so gestaltet sein, dass es das Thema Tod einleitet, jedoch nicht ultra präsent macht, so dass es zu Ablehnung führen könnte.

Das Leben verläuft nicht geradlinig und nimmt für einen selbst und auch die Hinterbliebenen eine große Wendung, wenn der Zeitpunkt des Todes eintritt. Das Regal sollte deshalb umso mehr Lebensfreude versprühen – so kam ich zu den Kurven. Bei Betrachtung kann der:die Betrachter:in das Regal entdecken, sich mit seinen Blicken darin verlieren und es auf eigene Weise aneignen — je nach Ansichtspunkt kann durch Überlagerung der Kurven, der Abdruck einer Doppelhelix entdeckt werden. Spinnt man diesen Gedanken weiter, fungiert das Regal sozusagen als objektivierte DNA, die Informationen des Individuums speichert. Dies finde ich eine gute Überleitung zu den Gedanken meines Projektes, den Tod als Teil des Lebens zu begreifen und ihn aus diesem Grund nicht systematisch zu verdrängen.

CB: Wo wir gerade im Gespräch bei der Formgebung des Sarges sind: Wie bist du mit der traditionellen Formensprache der Särge umgegangen?

SV: Meist entstammen die Särge der Ästhetik des 19. Jahrhunderts. Traditionen haben oft eine große  Beharrungskraft, da sie über viele Jahre hinweg praktiziert werden. Nicht immer lässt sich eine Umgestaltung begründen, doch finde ich inmitten von Klimakrise, Krieg und Flucht ist diese Praxis aktueller denn je und die Formen, in denen wir dem Tod begegnen, können eine kreative Gestaltung vertragen.

CB: Mich erinnert das Design neben dem italienischen Antidesign, wohl aufgrund der Farbwahl, auch an Ikea – die Tasche an der Seite links unten mit Tuch und Seilen an die technischen Angaben zu einem Produkt und dessen Preis. Besitzt Deine Arbeit auch eine konsumkritische Komponente?

SV: Konsumkritik spielt auf jeden Fall mit in meinen Entwurf hinein. Es geht mir um das Wahrnehmen der eigenen Gegenstände und Besitztümer. Oft haben wir so viel, sodass wir gar keinen Bezug mehr zu unserem Inventar haben. Persönliche Dinge spiegeln immer die eigene Persönlichkeit wider, die sich durch materielle Gegenstände Ausdruck verleiht. Bei der Recherche ist mir aufgefallen, dass Onlinesärge eher begrenzt angeboten werden. Auch sehen die Schaufenster von Bestattungsunternehmen oft ziemlich trostlos aus. Ich habe mich gefragt, ob dies alles nur der Tradition geschuldet ist, oder wir systematisch dieses Kapitel aus unserem gelebten Leben verdrängen.

 

Reaktionen

CB: Ich denke, dass hinter der Verdrängungsthese viel Wahrheit steckt. Umso spannender finde ich es, zu erfahren, wie Ausstellungsbesucher:innen auf Deine Arbeit reagieren, die ja gerade nicht verdrängt, sondern den Tod in das Leben integriert. Welche Gefühle und Gespräche löst das Möbelstück aus?

SV: Nicht jede Person kann oder will sich auf das Thema einlassen. Dies habe ich bei der Ausstellung gemerkt. Die Farbe und Form wurde gut angenommen. Diese fallen ja auch sofort auf, wenn man den Raum betritt. Die Thematik, die hinter dem Objekt steht, haben jedoch lediglich Personen angesprochen, die ein Gefühl dafür hatten. Sie empfanden meine Arbeit als anregend, andere wirkten nachdenklich.

CB: Zeigt sich deine Auffassung vom Tod im Design des Sarges? Auf mich als Ausstellungsbesucherin hat der Sarg leicht, beschwingt und heiter gewirkt.  Spielen deine eigenen Jenseitsvorstellungen in die Arbeit mit hinein?

SV: Bei meiner Recherche bin ich auf verschiedene Bestattungszeremonien gestoßen. Eine davon stammt aus Ghana und zwar gibt es dort den Brauch sich in kunstvoll, je nach Interesse oder Beruf gestalteten Särgen beerdigen zu lassen. So wird der Fischer in einem Fisch begraben und die Küchenhilfe in einer überdimensionalen Teekanne. Den Gedanken, dass, was eine Person ausgemacht hat, finde ich schön. Mit Humor lassen sich Grenzen überwinden – auch die der Trauer und des Todes. In unserer Gesellschaft hingegen ist zu spüren, dass das Individuum funktionieren muss und Trauern zeitlich begrenzt ist. In Deutschland kann man ganze zwei Tage „Trauerurlaub“ beanspruchen. Meiner Meinung nach zu wenig. Gerade in der Zeit danach lässt sich die eigene Vergänglichkeit und Endlichkeit im intensivsten wahrnehmen, was beängstigend sein kann. Umso mehr können kollektive Rituale eine Möglichkeit bieten, Übergänge zu gestalten und dem Thema Tod auf einer anderen Weise zu begegnen. Das Regal kann hierbei dazu anleiten, als Hinterbliebene sich der Person und ihrer Dinge bewusst zu werden und zusammen einen Abschied vorzubereiten. In unseren Gedanken sind die verlorenen Menschen noch aktiv vorhanden, was uns das Abschiednehmen so schwer macht. Dennoch ist auch Trost etwas Intimes, was jeder auf seine ganz eigne Weise spüren und verarbeiten möchte. Muh·thr sehe ich da viel eher als Einleitung des gesamten Trauerprozesses.

 

Nutzen

CB: Dient das Regal bereits als realer Parkplatz von gelebten Leben bzw. Erinnerungen in einer vorhandenen Wohnung? 

SV: Ich hatte es überlegt in meine Wohnung zu stellen, jedoch war dies fürs erste nicht machbar. Es steht statt dessen in der Uni an meinem Arbeitsplatz und bietet Platz für meine entstandenen und entstehenden Projekte. Am Ende meines Studiums nehme ich es mit all meinen Arbeiten mit.

CB: Hast du die Gegenstände für den Schrank als „Erinnerungsspeicher des Lebens“ spezifisch gewählt?

SV: Die Objekte wollte ich so neutral wie möglich halten, sie sollten keine Persönlichkeit besitzen oder zu jemanden dazugehören. Mir war wichtig, keine Person auszustellen, sondern den Gedanken auf das Regal zu lenken und nicht auf den Inhalt. Die Discokugel habe ich nur wegen ihrer Lichtbrechung gewählt, da sie über den Schrank hinaus bei Lichteinstrahlung reflektiert und somit mehr Raum schafft. Jedoch spiegelt die Discokugel die Person wider, die vor ihr steht. Auf diese Weise vergegenwärtigt sie der betrachtenden Person die Realität.

Ausblick

CB: Was wünscht du dir für die Zukunft als Designerin? Was soll deine Arbeit leisten?

SV: Ich wünsche mir für jeden Menschen einen „Schrank“, der mit seinen ganz eigenen und besonderen Erinnerungen gefüllt ist. Meine Arbeit als Designerin sehe ich darin, die Formen, in denen wir unser Leben ausdrücken, mit anspruchsvollen Design zu bereichern, zu einem kritischen Nachdenken anzuregen, aufzuklären und auf wichtige, wie auch oft tabuisierte Themen hinzuweisen

CB: Vielen herzlichen Dank für das Interview, liebe Samira, für Deine Fotos, die Du uns zur Verfügung gestellt hast und für Deine Offenheit, mit der Du meine Fragen zu Design und Tod, einem nicht ganz einfachen, oft tabuisierten Thema beantwortet hast!

 

Link zur Homepage von Samira Vogl:

https://www.samiravogl.com