KAPELLE SAN BERNARDO
In einer kargen, extrem dünn besiedelten Landschaft zwischen Cordoba und Villa Maria in Argentinien, quasi inmitten des Nichts erscheint ein Monument, dessen Bestimmung sich nicht sofort erkennen läßt: Geheimnisvoll wie eine Grabanlage, markant wie ein Denkmal, von der Materialität eines Nutzbaus lockt es schon aus der Ferne als einzige Landmarke in der Einöde der umliegenden Pampa. Was man dann findet, ist die Kapelle San Bernardo des argentinischen Architekten Nicolás Campodónico. Inspirierende Vorgaben waren ein kleiner Hain mit schütteren Bäumen und ein verfallenes Landhaus. Aus dessen 100 Jahre alten Backsteinen errichtete der Architekt die Kapelle. Campodonico baut gern mit Backstein, wie seine Architekturbiografie zeigt und kann daher schon auf einige Erfahrung setzen, die man der Virtuosität der Auswahl und Verbauung der historischen Ziegel ablesen kann. Die aufwendige Arbeit nahm fünf Jahre in Anspruch.
Der Bau wirkt eigentümlich zeitlos, wie ein Archetyp religiösen Bauens. Praktische Erfordernisse einer Gemeindekirche spielten nämlich keine Rolle, da dies eine private Kapelle ist,- am ehesten vergleichbar mit einer Feldkapelle oder einer Wallfahrtskapelle. Es konnten alle gestalterischen Energien in die atmosphärische Wirkung und die symbolische Aussage fließen. Der Raum mißt nur 90 qm. Quader, Kreis und Halbkreis sind die geometrischen Formen, aus denen diese Architektur sich zusammensetzt. Das Gebäudeensemble besteht aus einem umfriedeten Innenhof und dem hermetischen Ziegelbau der Kapelle, der sich nur dem Licht großzügig öffnet. Dies erfährt man, wenn man den Raum durch eine unauffällige Seitentür betreten hat. Denn das kompakte und scheinbar so verschlossene Gebäude blickt im oberen Bereich nach Westen wie mit einemgroßen Auge in die Sonne. Das von oben einfallende Licht erzeugt ein vom Architekten kalkuliertes Schattenspiel: Die minutiös geplante Positionierung eines einzelnen vertikalen und horizontalen Holzbalkens im Bereich des Lichtauges lässt zu bestimmten Abendstunden ein immaterielles Kreuz entstehen, das in verschiedenen Stadien der Vervollkommnung die Rundung der Wand entlang wandert. Man fühlt sich an die Architekturen James Turrells erinnert, durch die das immaterielle Licht auf besondere Weise eingefangen wird. In dieser Kapelle ist es das Licht, das die christliche Botschaft punktuell, immateriell und flüchtig, aber nichtsdestotrotz umso eindrücklicher vergegenwärtigt.
Exkurs:
Backstein gehört zu den ältesten Baumaterialien. Prominente Beispiele sind die chinesische Mauer, das Ischtar Tor von Babylon, das im Pergamon Museum in Berlin zu sehen ist, die Konstantinsbasilika in Trier, ursprünglich kaiserlich-römische Audienzhalle aus dem 4. Jahrhundert. Wie bei Santa Sabina in Rom wurde für frühchristliche Kirchen Ziegelmauerwerk verwendet. Eine der ältesten Backsteinkirchenbauten nördlich der Alpen ist das Kloster Jerichow von 1150/60, das nach seinen Stilmerkmalen zu urteilen wahrscheinlich von Bauhandwerkern aus Oberitalien errichtet wurde. Backsteinbau galt als repräsentativer Baustil, der nördlich der Alpen im 12. Jahrhundert von Italien her übernommen wurde. Besondere architektonische Höhepunkte werden dann in der sogenannten „Backsteingotik“ in den Hansestädten Norddeutschlands und an der Ostsee erreicht. Im 19. Jahrhundert erlebt die Backsteingotik durch die Neugotik eine weitere Blütezeit. Bekanntes Beispiel ist die Friedrichwerdersche Kirche in Berlin von Schinkel. Wieder in Mode kommt der Ziegel in den 1920er Jahren. Es entstehen Industrie- und Gewerbebauten, Wohnanlagen und Villen, Kirchen. Besonderes Merkmal dieser als Backsteinexpressionismus bezeichneten Phase ist die ornamentale Gestaltung großer Wandflächen durch besondere Anordnung der Steine, reiches Farbenspiel durch gezielt eingesetzte Fehlbrände und die Integrierung plastischer Formen. Auch heute entstehen architektonisch hervorragende Gebäude mit dem Material, die Jährlich beim internationalen Fritz-Höger Preis für Backsteinarchitektur Revue passieren. Hier erfährt man viel sowohl über die bautechnischen Möglichkeiten des Materials als auch über die Modifikationsmöglichkeiten von Ziegeloberflächen. www.backstein.com/de/fritz-hoger-preis/fritz-hoger-preis-2017/
Das Grundelement des Backsteins ist Tonerde. Kalkhaltiger Ton ergibt eine gelbe Backsteinfarbe, eisenhaltiger Ton rot bis rotbraune Backsteine, Naturton unter anderem auch Weiß, Grau und Schwarz. Ton besitzt je nach geografischer Herkunft eine eigene Charakteristik in Bezug auf die Zusammensetzung der Mineralien und die Haltbarkeit. Zur Herstellung von Backsteinen wird der Ton mit etwas Wasser gemischt, um ihn leichter bearbeiten zu können. Anschließend gelangt die Masse in die sogenannte Ziegelpresse, wo sie in Formen gegossen wird. Nach dem Pressen werden die Rohlinge in einer Trockenkammer gelagert bevor sie bei 900 bis 1080 Grad (je nach gewünschtem Farbton) gebrannt werden.
Text: Claudia Breinl / Fotos: Nicolás Campodonico
Architekt: Nicolas Campodonico nicolascampodonico.com
Ort: La Playosa, Córdoba, Argentina, 2015