Architekturflash September 2017 – JAKOBSKAPELLE FISCHBACHAU

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Der Architekt Michele De Lucchi ist nicht nur der Vater der  bekanntesten und meistverkauften Leuchte der Gegenwart, seit er 1986 das Modell Tolomeo für Artemide gestaltete. Zu Beginn der 80er Jahre war er schon Gründungsmitglied der Designgruppe Memphis mit Ettore Sottsass, Matteo Thun und Andrea Branzi, – einer Initialzündung für die Bedeutung, die die Designszene bis heute im Kunstbereich innehat.

Abbildungen: mit freundlicher Genehmigung durch das Archivio Michele De Lucchi

2012 hat De Lucchi eine Kapelle gebaut, die seine Designerfahrung, seine architektonischen und handwerklichen Fähigkeiten in sich vereint. Aus kleinen Holzmodellen, die er als Prototypen zum Thema „Haus“ aus Holzstücken heraussägte, erwuchsen die Skizzen und Ideen für ein nun realisiertes Gebäude. Denn ein privater Auftraggeber sah die Modelle und wünschte sich nach diesen Vorbildern eine Kapelle.

Im bayerischen Fischbachau steht nun der mit 15 qm zierliche Bau mitten auf einer Wiese. Ein leise ansteigendes Gelände, das den Blick auf die Voralpenlandschaft öffnet. In den verschiedenen Richtungen blickt man zu den Gipfeln der Alpenkette, nach Rosenheim und an besonders klaren Tagen bis zum Bayerischen Wald.

Als ein prägendes Material für den Bau wählte De Lucchi Nagelfluh-Blöcke. „Herrgottsbeton“ wird der Naturstein im Allgäu auch genannt, der hier für stabile Bauwerke schon immer genutzt wurde. Als weitere Materialien setzte De Lucchi Bronze für das bündige Satteldach  und das Wettervordach am Eingang und geöltes Eichenholz im Inneren ein. Für den Architekten sind diese Materialien wichtig, denn sie verändern sich mit der Zeit auf ästhetisch angenehme Weise, sie verfallen nicht zu Schäbigkeit und Unbrauchbarkeit wie es z.B. viele Plastikmaterialien tun.

Den Fassaden der Kapelle gibt ein umlaufender Sims auf Fensterhöhe ein 1:3 – Verhältnis. De Lucchi zitiert dies als ein Element aus der Renaissancearchitektur, das wichtig ist für das Verstehen der Proportionen eines Gebäudes.

Eine Besonderheit im Inneren ist, dass man zunächst einige Holzstufen emporsteigen muss, um den Andachtsbereich zu betreten. Von dieser erhöhten, gleichsam schwebenden Warte aus lässt sich durch ein großzügiges rundes Fenster ein vollkommener Ausschnitt der Landschaft sehen, eine kosmologische Perspektive, in der auch das Kreuz mit im Bild steht, zwischen eine Baumgruppe platziert. Die Andacht vor der Schöpfung ist das Hauptthema der Kapelle. „Es geht mir auch um eine neue Art von Religion, die sich auf die Natur einlässt“, so der Architekt. „Wir haben heute verstanden, dass wir die Natur bewahren müssen. Es liegt in unserer ethischen Verantwortung, sie zu respektieren, besser kennenzulernen und zu bewundern.“ Als Attribute im Raum gibt es nur eine Bank, ein Wasserbecken und ein ewiges Licht.

Lichtöffnungen in Simshöhe,  in schön gearbeitete Holzrahmen gekleidet, lassen im Inneren das Licht als Muster erscheinen. Die Rahmen korrespondieren mit dem  hölzernen Dachstuhl und dem Fußboden. Die großen, waagrecht, an den Stirnseiten senkrecht verbauten Nagelfluh-Quader tragen in sich die unterschiedlichsten Gesteinsbrocken in Farbe, Form und Struktur, was fast einen Mosaik-Charakter erzeugt, jedenfalls eine Zierde der Wandflächen ist.

Das Häuschen mit seiner urtypischen Form ermöglicht,  das Symbolische der Landschaft als Schöpfung Gottes zu interpretieren. Man kann den Ort  als ein Kunstwerk in einem über es selbst hinaus weisenden Sinn erleben. Eine steinerne Jakobsmuschel am Eingang zeigt, dass die konfessionsoffene  Kapelle eine Station des Jakobswegs nach Santiago de Compostela ist.

In mancher Hinsicht erinnert  dieses Gebäude an die Ideale der postmodernen Architekturbewegung. Ihre hohe Zeit hatte die sogenannte “Postmoderne” in den 80er Jahren. Aber natürlich ist es auch heute noch möglich, im Sinne dieser Bewegung zu bauen. Merkmale solcher Bauweise können sinnliche Qualitäten durch  sehr bewussten Materialeinsatz und Assoziationsreichtum in der Gebäudegestalt sein.

Exkurs: Die Postmoderne als Begriff  geht auf den Architekturtheoretiker Charles Jencks zurück. Er sieht Tradition, im Gegensatz zur Architekturmoderne, nicht als etwas zu Überwindendes, sondern alles an Architektur, was es je gab steht als Formenfundus zum architektonischen Gestalten zur Verfügung.  Auf diese Weise soll Architektur mit den Menschen in Kommunikation treten. „Die postmoderne Architektur ist doppelkodiert, zur Hälfte modern, zur Hälfte der Konvention verpflichtet, weil sie versucht, sowohl mit der Mehrzahl der Bevölkerung als auch mit einer beteiligten Minderheit, gewöhnlich Architekten, zu kommunizieren.“ (Ch. Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur, Stuttgart 1988, S. 6.)

Im besten Sinne geht es für die Postmoderne um eine demokratische, kommunikative Architektursprache, die eine humane Botschaft aussendet und deren Ästhetik nicht von der Funktion allein bestimmt sein soll, sondern auch einen geistigen Horizont und eine Atmosphäre transportiert. Zeichenhaftes und Symbole in dieser Architektur verweisen auf etwas im Sinn von Utopie oder Ideal,  das dem Denken und der Vorstellung eine kreative Richtung gibt.

Es scheint, dass diese Charakteristika eines postmodernen Architekturstils für religiöses  Bauen gut anwendbar wären. Trotzdem sind in der Hoch-Zeit der eigentlichen “Postmoderne” nur wenige Kirchenbauten entstanden. Architekten aus dieser Ursprungszeit sind z.B.  Michael Graves, Hans Hollein, Josef Paul Kleihues, Rob Krier, Charles Moore, Aldo Rossi, James Stirling, Robert Venturi.

Architekt: Michele De Lucchi (und Marcello Biffi) www.amdl.it

Text: Claudia Breinl