Neue Kirchen 20|20

Geschätzte Lesedauer 25 Minuten

Im Februar 2020 begrüßten Dr. Tobias Braune-Krickau (Praktische Theologie Göttingen) und Prof. Dr. Thomas Erne (KBI) unterstützt von Yonka Werner (KBI) und Maximilian Bode (Vikar und Fotograf) über 60 Gäste zum Studientag in Marburg. Das Zusammentreffen von Theolog*innen und Pfarrer*innen, Architekt*innen, Kultur- und Kunstwissenschaftler*innen, Künstler*innen und Student*innen versprach einen anregenden Austausch über Fragen nach den aktuellen baulichen und gesellschaftlichen Bildern von Kirche und Kirchen. Das Ergebnis ist dabei als ein erster Fixpunkt in einem Prozess des Erprobens und Erforschens im interdisziplinären Austausch zu verstehen, von denen einige Impulse hier zusammengeführt und dokumentiert werden.

I. Drei Bilder von Kirchen – Student*innen befragen Expert*innen

Student*innen des KBI stellen den Teilnehmer*innen des Studientags anhand von drei Kirchenneubauten das jeweilige Bild von Kirche im Spannungsfeld von Ausschreibung, Entwurf, Auswahl und Ergebnis vor.

Katholische Pfarrkirche St. Theodor, Köln-Vingst, Anna Ebel und Johannes Böckmann

Zur Kirche St. Theodor in der Galerie

„Bitte nehmen Sie sich die nächsten 10 Minuten Zeit, den Ausschreibungstext zu lesen und in Kleingruppen eine Kirche zu entwerfen.

Manchmal muss man als erstes an einem Tag eine Gruppe Architekt*innen, Künstler*innen, Dozenten*innen und Bauamtsleiter*innen erschrecken. Die Aufgabenstellung rief zunächst nervöses Gelächter hervor, denn Architekt*innen, das wussten wir, sind es gewohnt, Gebäude in langen Prozessen zu entwerfen, mit ihrem Entwurf eine Zeit zu leben, bevor sie ihre Ideen von anderen Architekt*innen unter die Lupe nehmen lassen. Unser erstes Ziel, die Gruppe mit unserem Einstieg auf einen kreativen Umgang mit der Tagung einzustimmen, konnten wir also kaum verfehlen.

Dabei sollten die gestandenen Architekt*innen, Künstler*innen, Dozent*innen und Bauamtsleiter*innen, vor denen wir zwei Studierende als Workshopleiter*innen – und nun selbst in der ungewohnten Dozent*innenrolle – standen, allerdings außerdem spielerisch mit den Methodenfragen der Tagung bekannt werden. Wir hatten Glück, dass die Teilnehmer*innen unseres Workshops sich nach dem anfänglichen Schock als sehr offen und kreativ in ihrem Umgang mit der Aufgabe erwiesen.
Die Ergebnisse wurden nach einander von der jeweiligen Gruppe vorgestellt. Dem Plenum stellten wir danach die analytische Frage: „Welches Bild von Kirche entsteht, wenn dieser Entwurf umgesetzt wird?“ Der Bildbegriff war dabei bewusst sehr offengelassen worden, sodass sich die Möglichkeit zur freien Assoziation und ein Gespräch darüber eröffnete. Zuletzt präsentierten wir einen weiteren Vorschlag: Grundriss und Bilder der Kirche, die tatsächlich in Köln-Vingst gebaut wurde. Das Ergebnis dieses letzten Schrittes war – wohl entgegen der Erwartung mancher Teilnehmer*innen – nicht die Qualität des Entwurfes, denn die Ideen hatten sich als fruchtbar erwiesen, sondern vor allem die Differenz im Bild der Kirche.


Wettbewerbsaufgabe:

 

Im Neubau der Kirche soll der Glockenturm erhalten bleiben. Östlich des baufälligen Kirchengebäudes befindet sich ein alter Tiefbunker, der seit den 70er Jahren zum Eigentum der Kirche gehört. Die Kirchengemeinde besitzt zudem eine Pfarrbücherei, ein Pfarrhaus, einen Pfarrsaal und ein Dienstwohnhaus.

Die neue Kirche soll 350 Personen in Kniebänken Platz bieten. Außerdem sollen in der Kirche ausreichend Freiflächen für Prozessionen und andere sakramentale Handlungen vorhanden sein. Eine Zentrierung auf das liturgische Geschehen ist erwünscht. Das 2. Vatikanische Konzil von 1962 spricht von der Kirche als ‚Volk Gottes‘. Dies soll auch im Zeichencharakter der Architektur des Raumes zum Ausdruck kommen.

Ein Kern der Gemeindearbeit ist die Nähe zu den Bewohnern des Stadtteils. Ein Angebot in den Kirchenkellerräumen mit Gemeindewerkstatt und Altkleiderkammer muss für diese in der neuen Kirche möglich sein.

In den letzten Jahren hat die Gemeinde verstärkt Interesse an Kunst und Literatur gezeigt, sodass freie Wandflächen für Bilder und eine Integration der Pfarrbibliothek gewünscht werden.

Die Bausumme sollte 7 Millionen Euro nicht übersteigen.

 

Tauschen Sie sich über Gestaltungsmöglichkeiten eines Neubaus aus und skizzieren Sie als Gruppe Ihre Ideen zu einem möglichen Grundriss und/oder Aufriss. Achten Sie besonders auf das gewünschte Bild einer Kirche als ‚Volk Gottes‘.

Katholisches Pfarramt St. Franziskus, Regensburg-Burgweinting, Juliane Becker und Yonka Werner

Zur Kirche St. Franziskus in der Galerie

Der bis dahin eigenständige Ort Burgweinting wurde 1977 an Regensburg eingemeindet. Durch den Anschluss an die Autobahn, sowie wachsende Wohn- und Industriegebiete stieg die Einwohnerzahl rasant an. Die bisherige Pfarrkirche St. Michael wurde zu klein und wurde den Gottesdienstbesuchern nicht mehr gerecht.

„Der Kirchenbesuch leidet unter der Enge des Gotteshauses. Viele Katholiken dieses Stadtteils ziehen es vor, […] auszuweichen, was nicht im Sinne einer Pfarrgemeinde ist.“ (Ferstl, Reidel, Zahner, S.30)

Die Diözese Regensburg und die Katholische Kirchenstiftung Burgweinting entschieden sich für einen Wettbewerb für einen Neubau, der 1997 ausgelobt wurde.

Im Folgenden werden die wichtigsten Punkte der Auslobung, sowie die der beigefügten Wünsche der Gemeinde vorgestellt. 

Die Aufgabe am Studientag war es, sich zu zweit über die ausliegenden Entwürfe zu besprechen und nach 10 Minuten ein Votum abzulegen, für welchen Entwurf man sich warum entscheiden würde.

Daraus und aus der Auflösung, welcher Entwurf es letztendlich geworden ist, sollte eine spannende Diskussion entstehen. Diese brachte vor allem die verschiedenen Herangehensweisen von Architekt*innen, Künstler*innen, Soziolog*innen, sowie Religions- und Kunstwissenschaftler*innen zum Ausdruck. Aber am häufigsten wurde die Divergenz zwischen dem Wunsch nach einem innovativen Bau des 21. Jahrhunderts und der konservativen Strenge der Auslobung kritisiert.

Ergebnis der ersten Runde war, dass eher traditionelle Grundrisse ausgewählt wurden und im Gespräch mit den Teilnehmer*innen wurde bejaht, dass die Zukunftsfähigkeit vielleicht in dem Rückgriff auf die Traditionen und der Arbeit mit der Tradition liegt.

In der zweiten Runde kam es zu keiner direkten Entscheidung, da kein Grundriss wirklich gefiel, bzw. den gestellten Anforderungen der Auslobung gerecht wurde, laut der Teilnehmenden.

In beiden Gruppen wurden die festinstallierten Bänke in St. Franziskus kritisiert. Diese seien zwar dem Schwung des Raumes angepasst, allerdings nicht beweglich. Dadurch könne eine Mehrnutzung des Raumes nicht gewährleistet werden. Stühle wären variabler.


Aus der Ausschreibung des Kirchenneubaus

  • Pfarrzentrum mit Pfarrhaus, Pfarrheim und Pfarrkirche

        ◦ in räumlicher Nähe zur alten Kirche und dem Friedhof

        ◦ weitere Nutzung der alten Kirche als Werktags- und Friedhofskirche

  • gesonderter Wettbewerb für die künstlerische Ausstattung, Zusammenarbeit von Künstler:in und Architekt:in soll ermöglicht werden

  • Kirche mit 300 Sitzplätzen und 100 Stehplätzen, großräumig gestalteter Altarraum

  • Kirchturm, Standort und Gestaltung frei wählbar

  • Anspruch des Auslobers an den Neubau:

        ◦ „Der Kirchenbau wird der letzte im Bistumsgebiet sein, der in diesem Jahrzehnt ausgeschrieben wird. Deshalb sollte der Entwurf einen Ausdruck für eine zukunftsfähige Kirche finden.“

        ◦ „Wir erwarten einen Beitrag zur Kirchenbau-Diskussion des 21. Jahrhunderts.“

  • Wünsche und Anregungen der Pfarrgemeinde

        ◦ „Die den Innenraum umhüllenden Flächen sollen in ihrer Gestaltung Klarheit, Ruhe und Geborgenheit ausstrahlen.“

        ◦ „Besonderes Augenmerk ist der Lichtführung zu widmen, die die Feierlichkeit des Raumes steigern und den Altar als Mittelpunkt herausheben soll.“

        ◦ im Altarraum Platz für Altar, Ambo, Priestersitz und Taufstein

        ◦ eine nur leicht erhöhte „Altarinsel“

        ◦ „Der Altar als Wesensmitte des Raumes und der feiernden Gemeinde soll nicht zugleich mit dem geometrischen Raummittelpunkt identisch sein.“

        ◦ „Herkömmliche Knie- und Sitzbänke sollen um den Altar so aufgestellt werden, daß ein direktes Gegenüber vermieden wird.“

        ◦ Der Taufort sollte „seinen eigenen Stellenwert haben.“

        ◦ weitere Räumlichkeiten: Nische oder Seitenkapelle für die Marienverehrung, Beichtzimmer, Priester- und Ministrantensakristei, Platz für Orgel und Chor (nicht gegenüber der Gemeinde), überdachte Vorhalle, Mehrzweckraum, Toiletten

        ◦ Die Gebäude sollen einen Innenhof bilden, welcher „der Liturgie und dem Gemeindeleben“ dienen soll.

Katholische Kirche Christus, Hoffnung der Welt, Donaucity-Kirche, Wien Lisa Kubalatara Arachchige und Matthias Hübler

Zur Kirche Christus, Hoffnung der Welt in der Galerie

„Was Frankfurt am Main wesentlich in seiner Mitte, was Paris am Ende der Avenue des Champs-Elysees […] hat, hat Wien nun am Rande der Stadt, ein Wohn- und Arbeitszentrum […] appendixhaft an die Peripherie geheftet. Eine Massenansammlung, die keine Urbanität ausmacht, nicht zum Verweilen, nur zum Durcheilen einlädt.“

 

Mit diesem Zitat eröffneten wir unseren Beitrag zum Studientag 2020.
Die Kirche, die wir präsentierten „Christus Hoffnung der Welt“ befindet sich in Wien.
In den 1970er Jahren entstand die UNO City und in den 1990er Jahren  kam  es  zu  der  Planung und zur Entstehung der Donau City auf der Donauinsel der Stadt Wien. Diese Donau City wird durch Megabauten, z.B. dem Andromeda-Turm von Wilhelm Holzbauer, dem Bankgebäude von Paolo Piva, sowie der Eingangszone der TU Wien dominiert.
Die unmittelbaren Nachbarn des Sakralbaus sind nicht nur die gigantischen Bauten der UNO City,  sondern auch die U-Bahnterrasse (Trafik-Station) und Hauptverkehrsachse (Stadtautobahn). Neben diesen Megabauten wurde dann nach der Gestaltung eines seelsorglichen/ spirituellen Raumes gesucht, welcher:

 

1.Eine Verbindung zum sakralen/traditionellen Zentrum Wiens beinhaltet

2.Die (katholischen) Kirche am Puls der Welt der Moderne repräsentiert 

3.Und dabei die Typologie eines Zentralbaus erfüllt

 

Alle Teilnehmer*innen unseres Beitrags zum Studientag wurden dazu aufgefordert sich in Kleingruppen zusammen zu tun und in 20 Minuten ihre Gedanken und Ideen zu den Forderungen auf Papier zu bringen.

 

Bei der Entwurfsvorstellung stellte sich heraus, dass manche Gruppen die gleichen Vorstellungen hatten, andere jedoch abweichende.

Zwei Gruppen verwendeten einen Kirchturm als Darstellung für die Verbindung zum sakralen/spirituellen Zentrum Wiens. Licht und Wasser spielten eine große Rolle, um die Repräsentation der Kirche am Puls der Welt der Moderne darzustellen.
Das Wasser zeigte seine Relevanz in der Wahl des Standorts der Kirche, da dieser auf der Donau Insel liegt; das Licht wurde in den meisten Entwürfen durch große  Durchfensterung in den Kirchenraum gebracht.
Die aufgebrochenen Wände des Sakralbaus spielen eine wichtige Rolle, da sie eine Verbindung zu den Megabauten der Donaucity aufweisen. Bezüglich der Forderung die Typologie eines Zentralbaus zu erfüllen, entschied sich die Hälfte der Gruppen für einen runden Zentralbau (4/8). Obwohl die Gruppen sich bei der Ausarbeitung mancher Forderungen voneinander unterschieden, glichen die Entwürfe der jeweiligen Gruppe jedoch mindestens in einem Punkt den anderen Gruppen.

 

Bei der abschließenden Vorstellung des tatsächlich realisierten Sakralbaus von Heinz Tesar und der anknüpfenden Diskussion wurde deutlich, dass jede der Gruppen etwas an dem tatsächlich realisierten Sakralbau auszusetzen hatten. Sei es die Form, die Gestaltung (Fenster/Material) oder die Idee dahinter.

 

Gruppen Resümee: Uns ist aufgefallen, dass sich beide Runden stark voneinander unterschieden. Mit den Gruppen der ersten Runde hätten wir sehr viel länger diskutieren können und dementsprechend auch mehr Zeit benötigt. Bei der zweiten Runde waren wir vor Ende der Zeit fertig.

II. Impulsvorträge – Zum Verhältnis von Kirchenbau und Kirchenbild

Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert: Kunst- und Architekturwissenschaftliche Perspektiven

Prof. Dr. Christoph Sigrist: Kirchliche und Theologische Perspektiven

III. Workshops – 3 Kirchen, 3 Gruppen, 3 Fragen

  1. Welche Bilder, Vorstellungen, Visionen von Kirche haben im Entstehungsprozess eine Rolle gespielt?
  2. Welche Bedeutung hat die räumliche und soziale Umgebung des Kirchengebäudes/ Welche Bilder oder Eindrücke von Kirche vermittelt das Gebäude in die Öffentlichkeit?
  3. Wie stellt sich die Kirche im Gebrauch dar?/ Wie verhält sich die intendierte Wirkung zur Wahrnehmung der Besucher bzw. Nutzer?

Kirchengemeinde Köln Mauenheim-Weidenpesch
Pfarrerin Susanne Zimmermann
Architekt Joel Harris + Kurrle Architekten

1. Workshop: Kirchengemeinde Köln Mauenheim-Weidenpesch (Pfrn. S. Zimmermann/ Architekt Joel Harris)

Leitfragen:

  1. Welche Bilder, Vorstellungen, Visionen von Kirche haben im Entstehungsprozess eine Rolle gespielt?

Voraussetzungen:                                                                                                        

Entlastung von nicht zukunftsfähigen Immobilien aus den 50er und 60er Jahren, für die wir  verantwortlich sind: zwei Gemeindezentren mit Kirche, Kita und Wohnungen mit großem Sanierungsstau. 

                                                                         Aufgabe des „Intelligenten Schrumpfens“ (“intelligent shrinking“), Aufbruch durch Umbau und Abbruch, Zukunftsfähigkeit einer Gemeinde, die in 10 Jahren nur noch eine reduzierte Pfarrstelle halten kann.

Unsere Wünsche/ Vorstellungen:

Anspruchsvolle Architektur, deshalb Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs, klare Aufgabenstellung: ein als Kirche erkennbares Gotteshaus, das vom Glauben erzählt, das religiösen Anspruch erhebt, Sichtbarkeit im Veedel, z.B. durch den Glockenturm, gleichzeitig ein Gemeindezentrum mit Funktionsräumen der Gemeinde, die zum Kirchraum dazu geschaltet werden können, also ein integrales Kirchenzentrum, in dem die Vorzüge einer Kirche, die Transzendenzerfahrungen ermöglicht und vom Glauben erzählt mit den geselligen und funktionalen Vorzügen des Gemeindehauses vereinigt.      Auch eine dreizügige Kindertagesstätte und 8 Wohnungen sollten den Neubau komplett machen. Die Wohnungen (3 große und 5 kleine Wohnungen) ermöglichen den Generationen-Mix. Gemeinsam nutzbare Freiflächen, Teilen von gemeinsamen Ressourcen ist notwendig und erwünscht.

Wünsche für den Kirchenraum/ Kirchenzentrum:        

Erfahrung von Sakralität („Wow-Effekt“) und Horizont- und Bewusstseinserweiterung, Bezug zum Himmel und zur Außenwelt, Licht und Transparenz, Gemeinschaftserfahrungen, Zusammenleben- und Arbeiten, Wiederverwendung von „Schätzen“ unserer alten Kirchengebäude.

Das Ergebnis aus dem Wettbewerb:                                

Das Integrale Kirchenzentrum Erlöserquartier ist als großer Baukörper mit Strahlkraft entworfen worden und nicht in einer mehrteiligen Bebauungsstruktur, damit er sich von der Wohnbebauung in der Nachbarschaft absetzen kann. Die Kirche bekommt so eine dominantere Darstellung. Es soll kein Wohngebäude mit integrierter Kirche, sondern eine Kirche mit Wohnungen gebaut werden.                                                          

Uns hat das Konzept des Architekten überzeugt: Kirche als zentraler Teil des Lebens im Zentrum. Alle anderen Lebensbereiche, wie Wohnungen und Kita sind auf die Kirche ausgerichtet und sind mit der Ausstrahlung der Kirche konfrontiert. In diesem integralen Kirchenzentrum kommt eine Vision vom Zusammenleben und – arbeiten verschiedener Generationen und Arbeitsbereiche von Kirche zum Ausdruck. Damit ist dieser Bau ein eindrückliches und einladendes Statement gegen die Vereinzelung im städtischen Raum und für ein einladendes und solidarisches Miteinander.

  1. Welche Bedeutung hat die räumliche und soziale Umgebung des Kirchengebäudes? Welche Bilder oder Eindrücke von Kirche vermittelt das Gebäude in die Öffentlichkeit?

Unser integrales Kirchenzentrum fügt sich bewusst in den Stadtteil ein, eine kleine Stadt in der Stadt, ein Veedel im Veedel, ein Quartier im Quartier, viele genossenschaftliche Wohnungen in der Nachbarschaft, ein Mehrgenerationenhaus gegenüber, es soll Strahlkraft auch als Ausdruck von Kirche aussagen, bewusst als Kirche erkennbar sein, kein Verzicht auf den Glockenturm, Dialogbereitschaft, Offenheit und Transparenz vermitteln, aber auch Schutzraum.

Die Wirkung und unsere Reaktionen:                                                                     

Die burgartige Form der Architektur hat bei uns Verschiedenes ausgelöst: Stabilität, Halt, Sicherheit und Geborgenheit, ein feste Burg ist unser Gott, das Bild von der inneren Burg (Teresa von Avila), das himmlische Jerusalem,  da ist etwas Geheimnisvolles, das es zu entdecken gilt.
Die sakrale und die profane Seite in einem Gebäude.

Auf der anderen Seite: Es soll eine gastfreundliche, einladende Burg sein, die anzieht, die hinweist auf das, was diese besondere Herberge zu bieten hat. Wir sehen darin ein Gästehaus Gottes als Lebensraum für Menschen, für Kerngemeinde und Nachbarn.                   

Die geistliche Idee:  Das Gästehaus Gottes (mit seinen vielen Tischen) und dem einen Tisch im Zentrum, an den alle eingeladen sind.  Ein Ort der Gottes-und Menschen-Begegnung und Stärkung und ein Rastplatz auf dem Lebensweg von Menschen- immer wieder, von Zeit zu Zeit, lebenslang.

Das Gästehaus soll mit Strahlkraft in den Stadtteil hinein wirken, die Stabilität und Sicherheit in unwägbaren Zeiten ausdrückt und gleichzeitig Halt und Traditionsbewusstsein mit moderner Zukunftsfähigkeit und einladender Orientierung verbindet.

Das Gästehaus Gottes ermöglicht Dialog auf allen Ebenen, mit Gott, mit Menschen und auch den Dialog mit moderner Kunst und lädt zu einer „Schule des Sehens“ ein, die neue Einsichten und Ausblicke ermöglicht. In der künstlerischen Ausgestaltung des Kirchenraumes wird vom Leben und Glauben der Gemeinde erzählt.

Schon in der Gestaltung des Vorplatzes, des Eingangsbereiches und der Außenfassade kommen dieser dialogische Charakter und die jesuanische Gastfreundschaft zum Ausdruck.

Der Vorplatz soll Neugier wecken, einladend wirken, zum Eingang, zum Tor der Verheißungen hinziehen, hinweisen auf die Verheißungen, die hinter der Eingangstür locken.

Bänke, die auf den Eingang hin angeordnet sind. Tische könnten ergänzt werden.

Eine Stele aus Glas weist als moderner Schaukasten auf das Leben und die Veranstaltungen des Kirchenzentrums hin.                              

Das Gästehaus Gottes verfügt über ein einladendes fünfteiliges verglastes Kirchenportal, ein „Tor der Verheißungen“. Es macht neugierig auf das, was hinter dem Tor bereitgehalten wird. Das in den fünfteiligen Eingangsbereich unter Verwendung der gleichen dichroitischen Gläser, die auch schon im großen Schöpfungsfenster mit Teilen der alten Kirchenfester eingearbeitet sind, eingelassene Bibelzitat aus dem Johannesevangelium lautet: „Was sucht ihr? Kommt und seht!“ (Joh 1, 38f)
Es weist hin auf die verschiedenen geistlichen Orte, die von den Verheißungen Gottes gestalterisch erzählen. Ziegelstein, Glas und Lichtreflexe im Eingangsbereich weisen darauf hin, dass das Leben und die Welt in diesem Haus Gottes in einem neuen Licht gesehen werden können. In der zweiten Glastür hinter dem Windfang ist die Antwort Jesu aus Johannes 1, 51 zu lesen: „Ihr werdet den Himmel offen sehen!“
Um die biblische Dimension dieser Aussagen zu unterstreichen, sind die zwei Sätze zusätzlich in den drei Kirchensprachen hebräisch, Griechisch und Latein und der Weltsprache Englisch abgebildet. Dies ist ein interkultureller Ansatz und im besten Sinne des Wortes weltoffen ökumenisch. Eine Kirchentür wird genutzt, um vom Glauben zu erzählen. Hierbei wird bewusst auf die Kraft des Wortes gesetzt. Die Kirchentür ist nicht bloß Öffnung in das Kirchengebäude, sondern der Eintritt in eine Welt, die von Gott erzählt.                                                                                          Mit der hebräischen Fassung (nach Franz Delitzsch, 1880) möchten wir an die jüdischen Wurzeln unseres Glaubens erinnern und an die Sprachen, in denen Jesus die biblischen Schriften gelesen hat.

Außenfassade:                                                                                                              Eine Kreuz-Darstellung an der „sakralen“ Außenwand am Kircheneingang und das urchristliche Symbol der Gastfreundschaft (Fünf Brote und zwei Fische Mk 6, 32-44) am „profanen“ Eingangsbereich zur Kindertagesstätte und zu den Wohnungen setzen Zeichen in der Außenfassade.

Das Symbol: Der Tisch als Symbol für Jesus als Gastgeber und für die gastfreundliche Gemeinde. Der Tisch ist ein elementarer Gegenstand unserer Alltagskultur. In der Tischgemeinschaft werden die besten Ideen und Resonanzen geboren. Tische sind Brückenmöbel, sie überspannen und definieren einen eigenen Raum im Raum. Hier kommen die feinen Unterschiede und sozialen Ordnungen zum Tragen.
Tisch und Altar können als nahe Verwandte gelten. Menschen an einem Tisch zu versammeln, das ist urchristliche Praxis und kann bis heute als Leitbild eines inklusiven und gerechten Miteinanders verstanden werden. Die Tischgemeinschaft verheißt: hier am Tisch werden die besten Ideen und Resonanzen geboren.

 

Das große Gastmahl und die Mahlpraxis Jesu besitzen eine utopische Dimension. Im Kleinen verweisen sie auf das Große, auf die gerechte Gemeinschaft der Verschiedenen und eine gerechte Weltordnung.
Der würfelförmige, gleichschenklige Tisch ist in alle Himmelsrichtungen offen; er ermöglicht Austausch, Beteiligung, Ideenentwicklung, Entscheidungsfindung, Stärkung. Er ist universell, führt zusammen, ermöglicht Begegnung mit dem Gastgeber und den Gästen. Als Abendmahlstisch steht er in der Mitte der feiernden Gemeinde und repräsentiert die Nähe und Vergebung stiftende Gemeinschaft mit Jesus Christus. Schon auf dem Vorplatz gibt es Hinweise auf diese Tischgemeinschaft, z.B. durch einen offenen Platz, Sitzgelegenheiten, die durch mitgebrachte Tische vervollständigt werden können.

Werkstattarbeit mit der Gemeinde: Neue Heimat für alte Schätze, bewusst Abschiednehmen und auf das Wesentliche fokussieren, Schreibwerkstatt.

Werkstattarbeit mit der Nachbarschaft: Was bedeutet Nachbarschaft? Wie wollen wir sie in diesem Erlöserquartier leben, Entwicklung eines Logo und Leitsatzes: Miteinander unterm Glockenturm- Nachbarschaft leben im Erlöserquartier, von „Duftmarken“, die wir schon vorher setzen wollen, mit der Kundschaftergeschichte 4. Mose 13, 1-14,8: Mose schickt Boten ins gelobte Land, die schon mal das neue Leben schmecken, riechen, schauen, erhören sollen. Sie bringen große Trauben mit zurück und erzählen von Beeindruckendem und Befürchtungen und von wunderbaren Sinneserfahrungen. So wie die Kundschafter haben wir fantasiert, wie das neue Land schmeckt (Waffelbacken), riecht (Blumen pflanzen), aussieht (Kunstaktion, Fotos von schönen Orten im Veedel)

  1. Rückmeldungen der Teilnehmenden des Workshops zur Fragestellung, welches Bild von Kirche hier erkennbar wird:

– eine moderne, urbane Form einer urchristlichen Hauskirche in erhabener Architektur

– ein Ev. Stadtkloster, das Spiritualität im säkularen Umfeld repräsentiert

– eine säkulare Kommunität fürs Stadtviertel

– steingewordene Vision vom Zusammenleben, -feiern und –beten einer christlichen Gemeinschaft

– Gemeinschaftsraum mit sakralem Flair für das Viertel

– Mehr-Generationen-Kirche

– Kirche als Modell-Nachbarschaft in der Nachbarschaft

– „Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein“ (Matth 5,14). Nicht nur sichtbar durch den Turm, sondern durch die kleine „Gemeinde-Stadt“ in der Stadt

– „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“ (Joh 14,2)

– mehr als ein Gemeindezentrum oder Mehrzweckbau

– Kirche steht im Zentrum, alle anderen Lebensbereiche liegen um dieses Zentrum herum

– Kirche als Gestaltungsort für das vielfältige Leben

Gedanken und Anregungen aus dem Workshop:

-das Zusammenleben und –arbeiten geschieht hier auf engem (zu engem?) Raum. Viele Flächen müssen gemeinsam genutzt werden, das erfordert Toleranz und Disziplin.

-problematisch wird das Beibehalten einer sakralen Fassade im Wohnblock, wenn da unterschiedlichste Menschen wohnen. Wie kann Gemeinde das mitgestalten? Bzw. vorher Richtlinien entwickeln und umsetzen.

-der Eingangsbereich dieser erhabenen Architektur sollte hochwertiger gestaltet werden. Er darf nicht an ein Kaufhaus mit seinen transparenten Schüco-Türen erinnern.

 

Kirchengemeinde Christuskirche am Stadtgarten, Köln
Pfarrer Christoph Rollbühler
Architekten ARGE Hollenbeck Architektur | MAIER Architekten
Klaus Hollenbeck und Walter Maier

2. Workshop: Christuskirche am Stadtgarten, Köln

Architekten: Arbeitsgemeinschaft Hollenbeck Architekten / MAIER ARCHITEKTEN

Christoph Rollbühler, Pfarrer

Dipl.-Ing Klaus Hollenbeck, Architekt

Dipl.-Ing. Walter Maier (entschuldigt), Architekt

 

Im Rahmen eines Workshops haben wir das Projekt Christuskirche Köln vorgestellt. Es waren circa zehn Teilnehmer*innen anwesend. Das Projekt Christuskirche Köln zeichnet sich einerseits durch die Gestaltung, andererseits durch ein innovatives Nutzungskonzept aus. Zwei Wohnriegel flankieren den bestehenden Turm und bilden die Außenwände für eine neue Kirche. Das Dach der neuen Kirche wird nur noch zwischen die Wohnregel gehängt. Es war Ziel der Architekten die unterschiedlichen Gebäudeteile zu einem Gesamtensemble zu verschmelzen. So ist der Eindruck eines kompletten Kirchenbaus entstanden. Die Wohnriegel sind skulptural verformt und laden in die neue Kirche ein.

 

Im Rahmen des Workshops haben wir den Fokus auf den Werdegang des Projektes gelegt. Wir haben darüber berichtet wen und was es braucht, um ein solches Projekt zu realisieren. Wir haben von den Widerständen und Sorgen der Menschen berichtet. Trotz unserer Überzeugung, zu 100 % das Richtige zu tun, haben wir im Verlauf des Projektes festgestellt, dass es bei einem so emotionalen Projekt auch Verlierer*innen gibt. Und aus einem Verlierer/ einer Verliererin macht man keinen Gewinner/ keine Gewinnerin. Insbesondere durch einen Abriss eines baufälligen Sakralbaus, wird oft der Ort schöner Erinnerungen zerstört. Die betroffenen Menschen sind emotional getroffen und stellen sich schnell gegen eine Neuerung.
Dies führt auch bei den Bauherren zu Irritationen und verzögert ein Bauvorhaben insbesondere in der Anfangsphase. Eine Gruppe ist oft nicht mutig und benötigt einen Initiator, jemanden der sich traut ein solches Projekt zu starten.

 

Die Workshop Teilnehmer*innen waren zunächst über die Gewichtung unseres Vortrages überrascht, dann aber sehr interessiert. Wir haben den Umgang mit den Bewohnern, Gemeindemitgliedern und Kritikern diskutiert. Wie geht man auf die Menschen zu? Wie kommuniziert man ein solches Projekt? Wie bindet man Menschen in einen solchen Prozess ein. Das Ergebnis unseres Gespräches kann man folgendermaßen zusammenfassen:

  1. wenn zwei Seiten ein Thema unterschiedlich sehen, können beide Recht haben. Dies sollten sich Planer und Nutzer immer wieder vor Augen führen.
  2. Eine Kirche zu bauen ist ein langer Prozess und dieser Prozess ist ebenso wichtig wie das Ergebnis.
  3. Ein transparenter Prozess und eine frühzeitige Einbindung der Bürger*innen sind für den Projektverlauf entscheidend.

Gez. Dipl.-Ing. Klaus Hollenbeck und Christoph Rollbühler

Kirchengemeinde Köln Flittard-Stammheim (Immanuel-Kirche)
Pfarrer Thomas Fresia
Architekt Tom Geister (Büro Sauerbruch und Hutton)

3.Workshop: Kirchengemeinde Köln Flittard-Stammheim (Immanuel-Kirche)
Pfarrer Thomas Fresia, Architekt Tom Geister (Büro Sauerbruch Hutton)

Die Immanuel-Kirche in Köln-Stammheim –

Zur Immanuel-Kirche in der Galerie

Gemeinde und Gemeinschaft

TOM GEISTER, ARCHITEKT IM BÜRO SAUERBRUCH HUTTON, BERLIN

Die Kirche der Brückenschlag-Gemeinde in Köln-Flittard/Stammheim ist als Gebäude konzipiert worden, welches neben dem Gottesdienst auch viele andere Formen der Zusammenkunft beherbergen kann. Der Kirchenbau liegt etwas zurückgesetzt und der Kirchturm steht losgelöst vom Gebäude als weithin sichtbares, einladendes Zeichen an der Straße. Die Mitte des Grundstückes, auf dem sich ein Baumhain befindet, wurde freigehalten, um einen schwellenfreien Ort zum Treffen und Verweilen zwischen Turm, Kirchengebäude und Kapelle zu bieten. Hier sollten auch öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel ermöglicht werden, so dass die Aktivitäten der Gemeinde bis in die Nachbarschaft und den Ortsteil wirken können. Gleichzeitig ist dieser grüne Platz der Kreuzungspunkt fußläufiger Wege aus allen Himmelsrichtungen und führt auch weiter zum Friedhof im Norden.

In Abstimmung mit der Gemeinde wurde neben dem vielfältig nutzbaren Kirchenbau noch zusätzlich die freistehende Kapelle konzipiert, die unabhängig und dauerhaft zur Kontemplation zugänglich ist.

Bei der Planung der Kirche folgten wir zunächst dem Grundrissmotiv einer Basilika, welche wiederum in frühchristlicher Zeit als Motiv aus der Bautypologie der römischen Markthalle hervorgegangen ist. Der hohe Kirchenraum sollte also im weitesten Sinne als Ort der Zusammenkunft und des Austausches dienen können. Die zentrale Ausrichtung auf die farbige Screen mit der Orgel, die großzügigen Proportionen und die Lichtführung lassen den Ort sogleich als festlichen Raum für den Gottesdienst erkennen. Damit auch bei Weihnachts- oder Oster-Gottesdiensten die größere Gemeinde Platz finden kann, können der Vorraum, die Empore sowie die Seitenräume dem Zentralraum zugeschaltet werden. Dadurch entstehen vielfältige Raumbereiche, in denen man sich innerhalb des Gottesdienstes einfinden kann: Auf Plätzen, die sichtbar und inmitten des „Marktplatzes“ liegen, an Orten, die einen Überblick bieten und eher zurückgezogen auf der Empore liegen oder im Bereich des Vorraums wo man dem Geschehen „en passant“ beiwohnen kann. Diese räumliche Vielfalt erlaubt somit sehr „individuelle Zugänge“ zu den Gottesdiensten.

In den Querschiffen der Kirche sind weitere Funktionen untergebracht, wie eine Küche, verschiedene Gruppenräume für Kinder und Jugendliche, die Sakristei und WCs. Nach Süden hin verfügen Küche und ein Gruppenraum über einen kleinen Garten, so dass kleinere Veranstaltungen auch innen und außen stattfinden können. Das Haus sollte eine Vielzahl von Orten erhalten, die eine Gemeinde als Gemeinschaft zusammenführen: im großen wie im kleinen Rahmen, in kontemplativer wie in exponierter Atmosphäre, in spirituellen wie im alltäglichen Erlebnissen. Die Kirche als Haus der Gemeinde sollte dadurch eine Vielzahl von Zutritts-Möglichkeiten erhalten, für alle Generationen und kleine sowie große Gruppen.
Viele unterschiedlichste Gemeinschafts-Erlebnisse bilden somit das Leben der Gemeinde.

 

Die Immanuel-Kirche in Köln-Stammheim –
Multifunktionales Gebäude mit durchlässiger Spiritualität

THOMAS FRESIA, PFARRER IN DER EV. BRÜCKENSCHLAG-GEMEINDE KÖLN-FLITTARD/STAMMHEIM

„Ich habe große Freude an der Konzeption, der Planung und des Baus der Immanuel-Kirche gehabt, das Gebäude bespielen darf nun mein Nachfolger.“ So ähnlich soll sich Pfarrer Gerold Vorländer geäußert haben, bevor er in Frühjahr 2014, kurz nach der Einweihung der neuen Kirche, die Gemeinde wegen eines Stellenwechsels verlassen hat. Seit 2015 hat die Brückenschlag-Gemeinde nun ein Pfarrehepaar, das sich genau dieser Aufgabe verschrieben hat, die Immanuel-Kirche „zu bespielen“ – natürlich im traditionellen Gottesdienst am Sonntagmorgen. Aber zugleich ist es spannend und herausfordernd zugleich, zu erproben, „was alles geht“ in diesem besonderen Gebäude. Und drum herum, in der „Kirche vor der Kirche“, wie die große Grünfläche mit üppigem Baumbestand mit geschützter Atmosphäre und zugleich als Dorfmittelpunkt des Kölner Stadtteils Stammheim genannt wurde.

Die Immanuel-Kirche mit ihrem Gelände bildet einen Ort der Begegnung, der Zuflucht, der Geborgenheit und der Spiritualität. Ohne dabei aufdringlich zu wirken, vielmehr einladend, neugierig machend – so, wie die Gemeinde sich als Brückenbauerin zu den Menschen am Ort verstehen möchte.

Dazu gehört, die Multifunktionalität des Gebäudes für die vielen und vielfältigen gemeindeinternen Gruppen und Veranstaltungsformen dienstbar zu machen. Dazu gehört aber auch, sich den säkularen Institutionen und Vereinen vor Ort zu öffnen, Gastfreundschaft zu üben und so Menschen in Kontakt mit der Kirche als Gebäude und darüber oft genug auf mit der Kirche als einladende Gemeinschaft zu bringen.

Zum hier wohl beständigsten Format hat sich in den zurückliegenden sechs Jahren unsere Konzertreihe entwickelt, die längst auch über die Stadtgrenzen hinaus als kultureller Beitrag der Brückenschlag-Gemeinde gerne wahrgenommen wird. Die „Philharmonie in Köln-Stammheim“ wird von Besucher*innen und Künstler*innen gleichermaßen geschätzt. Trotz ihrer Raumhöhe werden Klänge mit wenig Hall bis in die hintere Ecke der Empore transportiert. So eignet sich der Kirchraum für Konzerte mit großer Orchester- und Chorbesetzung genauso wie für solistische Auftritte oder kleine kammermusikalische Ensembles. Neu im Programm sind Kleinkunstveranstaltungen – aktuell blicken wir auf eine Kabarettveranstaltung und einen Abend mit Irish Folk Rock zurück.

Durch die Bestuhlung ergeben sich Möglichkeiten unterschiedlicher Perspektiven – jedes Jahr in der Adventszeit verwandelt sich die Kirche in ein Kaffeehaus. Zum Seniorenadvent kommen rund 180 Gäste, die sich bei Kaffee und Kuchen mit Liedern und Texten auf die Vorweihnachtszeit einstimmen. In mittlerweile unregelmäßigen Abständen gibt es Abendgottesdienste mit besonderen inhaltlichen Schwerpunkten und liturgischen Freiheiten – manchmal mit Sonnenschirm und komplett ungeordneter Bestuhlung. Das einfache „Zuschalten“ der benachbarten Räume durch Rückbau der mobilen Trennwände macht es für die Gemeinde-Band attraktiv, sich mit wenig Aufwand an solchen besonderen Gottesdiensten zu beteiligen.

Kirche und Kultur werden generationenübergreifend miteinander in Verbindung gebracht: Die Ausstellung eines Stehaltars des Künstlers Sieger Köder hat die Verhältnisse umgedreht – der Stehaltar wurde im hinteren Teil des Kirchraums aufgebaut, die Stühle vorübergehend in dessen Richtung umgestellt. Noch in diesem Frühjahr präsentierte ein Kölner Theater in einem Kulturprojekt mit der Gemeinschaftsgrundschule vor Ort eine szenische Lesung, begleitet von einer Vernissage in den Fluren der „Seitenschiffe“ der Kirche.

Als Veranstaltungsraum fasst die Immanuel-Kirche in ihrem „Grund-Setting“ bis zu 250 Personen und ist auch damit einzigartig im Stadtteil.
Die Stadt Köln nutzte die Immanuel-Kirche für eine Informationsveranstaltung zu Flüchtlingsunterkünften, die in der Nachbarschaft gebaut wurden, und der Bürgerverein feierte auf der Grünfläche vor der Kirche im Herbst 2019 ihr großes Jubiläumsfest mit weit über 600 Besuchern. Hier versammelt sich auch regelmäßig die Gemeinde zu Gemeindefesten, Lesungen unter freiem Himmel oder einfach nur zum Ausruhen, Plaudern und Begegnen.

Ergänzt wird das Ensemble durch die Bonhoeffer-Kapelle, die in ihrer Schlichtheit zu einem Moment der Stille und des Gebets einlädt.

Die Immanuel-Kirche vermittelt den Eindruck von Erhabenheit und das Gefühl von Geborgenheit zugleich. Als Raum spricht sie bereits für sich. Als Ort der Versammlung und des Feierns unterstützt und trägt sie ein lebendiges, offenes und warmherziges Miteinander der Milieus und Generationen. Durch ihre prominente Lage im Stadtteil ist sie auch über die Gemeindegrenzen hinaus zu einem festen und geschätzten Bestandteil im Ortsbild geworden und erfüllt damit in einem guten Sinne auch eine gewisse missionarische Funktion – Kirche als Kirche am Ort und für die Menschen wahrnehmbar und erlebbar zu machen. Spiritualität anzubieten, die sich nicht aufdrängt, sondern Lust macht, Freiheit und Freundlichkeit vermittelt.

 


Ein ‘gotisches Bild’ im Bau der Immanuel-Kirche (Köln-Stammheim). Zum Workshop mit Thomas Fresia und Tom Geister

von Celica Fitz (KBI)

Den Kölner Vororten Flittard und Stammheim fehlte es an einer zentralen Verbindung, so Thomas Fresia Pfarrer der Ev. Brückenschlag-Gemeinde, die ebendiesen durch ihre Immanuel-Kirche zwischen den Ortsteilen zu schlagen versucht. Mit dem 2013 fertiggestellten Gebäudeensemble aus Kirchenbau mit Gemeindezentrum, Kapelle und Glockenturm von Sauerbruch Hutton mit dem Berliner Architekten Tom Geister wurde nicht nur ein präsenter Baukörper in den Vorort gesetzt. Der Vorplatz wurde darüberhinaus zum parkähnlichen Aufenthaltsort und Verbindungsweg zwischen den Stadtteilen entwickelt. Im gemeinsamen Workshop in Marburg stellten Geister und Fresia das Gebäudekonzept und die Erfahrungen in der Nutzung vor.

In Ansprüchen an einen zukunftsfähigen Kirchenbau hielt sich die Gemeinde zunächst zurück, vielmehr wurde bewusst nach der Assoziation des Temporären gesucht, so Fresia. Die Gemeinde wurde seit der Formulierung des Aufgabenkatalogs für die Ausschreibung involviert: Einladend wollten sie sein, und eine Kirche bauen lassen, die dies mitteilt. Gewünscht wurde ein ‚lichtiger‘ Bau der offen für verschiedene Nutzungen ist, der den musikalischen Schwerpunkt der Gemeinde unterstützt, sie mit dem Quartier verbindet und so als Schnittstelle fungiert. Es sollte aber auch eine ‚richtige Kirche‘ sein, erkennbar als spezifischer Sakralbau.

Zunächst als Betonbau geplant und im Wettbewerb gewählt, war es der Gemeinde ein Anliegen ein ‚einladenderes Material‘ für den Entwurf zu finden. So erlangte der Bau im weiteren Entwurfsprozess seine hölzerne Schalung. Dies erstaunt, denn es ist im heutigen Bau gerade die Materialsprache des Holzes, die den Innenraum durch Farbe, Form und Geruch von Fichtenholz und die Außenwirkung durch die diagonal ausgerichtete Holzschalung prägt. Der Aushandlungsprozess führte hier zur Konkretion des baulich verfassten Bildes der Kirche, die vielfach aufgrund ihrer architektonischen Qualität und nachhaltigen Materialwahl prämiert wurde und Einfluss auf ihre Gemeinde nahm. Die Brückenschlag-Gemeinde ist eine fusionierte Gemeinde. Nach Fresia formierte sie sich auch aufgrund des Bauprozesses. Dabei  wirkte das Wiederfinden von Spolien, wie die Bestuhlung und die Orgel der alten Kirche, im neuen Innenraum identitätsbildend.

Die Handschrift des Architekturbüros zeigt sich nicht zuletzt in der Gestaltung mit vielfarbigen Holzlamellen, welche die komplette Altarwand einnehmen. Kein Kreuz ist an dieser Wand zu sehen. Nur Altar, Ambo, Taufbecken und Pfarrerin oder Pfarrer zeichnen sich vor dem flirrenden Hintergrund ab. Eine semitransparente Liedtafel wurde später ergänzt. Der Blick sollte bewusst gelenkt werden: weg von der klassischen Fokussierung des Altars, hin zur ungegenständlichen Farb- und Formsprache der Altarwand, so Geister. Die Wand wird zu einem Bild. Dieses Bild kann überfordern. Wenn Fresia berichtet, manche Besucher*innen könnten dem Blick auf das Flirren nicht lange standhalten, keinen Fixpunkt in der riesigen Komposition aus Farben fokussieren, so verwies dies für die Workshopteilnehmer*innen in der Diskussion auch auf avantgardistische Kunsttheorien und religionsbezogene Darstellungsproblematiken.

Es sei ein „klassisches, gotisches Bild“, welches der Bau ausstrahle, so der Architekt Geister. Eine basilikale Bauform mit niedrigen Seitenschiffen und höherem Mittelschiff mit einer Portalseite aus Mattscheiben variiert gotische Formen, ohne zu historisieren. Die Fichtenholzstützen im Innenraum betonen die Vertikale. Sie greifen in Form und Material nicht nur die Bautradition auf, sie verweisen auch auf die Bäume am Platz.

Den Baumbestand als Raum anzuerkennen und damit das eigentliche Zentrum des Grundstücks freizulassen, sah das Konzept nach Geister vor, um den Charakter einer gewachsenen „Freiluft-Kirche“ zu betonen. Der eigentliche Kirchenbau nimmt sich daher zurück, steht versetzt am Rand des Grundstücks. Die Kirche steht bewusst am Rand und öffnet ihre Wege und den Park für Passant*innen, auch unabhängig vom Kirchenbesuch. Dies sei nicht nur ein Forminteresse gewesen, sondern sei nach Fresia auch metaphorisch zu verstehen.

Ein symbolisch unbesetzter Raum ist der zentrale Baumhain jedoch nicht: eine Freitreppe führt nun auf den leicht erhöhten Gartenplatz. Der Eintritt von Seiten der Bonhoefferstraße führt am hochragenden Glockenturm vorbei und der gerundete Weg geht am Eingang der Kirche entlang weiter. Eine charakteristische Adresse wird die Immanuel-Kirche damit gerade wegen ihrer Randposition, welche die Integration des Außenraums in das Baukonzept ermöglichte.

Es ist der erste Kirchenbau von Sauerbruch Hutton. Tom Geister benennt dies für ihn und das Büro als „Königsdisziplin“. In dem Ziel, mithilfe eines Gebäudes eine Gemeinschaft zusammen zu bringen, würden alle Anforderungen an Architektur aufeinandertreffen.

 

IV. Symposium

Kirchenbau und Kirchenbild im 21. Jahrhundert

Zum Symposium: Kirchenbau und Kirchenbild

Podium:

Dr. Tobias Braune-Krickau (Praktische Theologie, Universität Göttingen)

Prof. Dr. Thomas Erne (KBI, Universität Marburg)

Thomas Fresia (Pfarrer) und Tom Geister (Sauerbruch Hutton) für die Immanuel-Kirche Stammheim/Flittard (Köln)

Joel Harris (Büro Harris + Kurrle Architekten) und Susanne Zimmermann (Pfarrerin) für die Kirchengemeinde Köln Mauenheim-Weidenpesch

Klaus Hollenbeck (ARGE Hollenbeck Architektur | MAIER ARCHITEKTEN) und Christoph Rollbühler (Pfarrer) und für die Kirchengemeinde Köln, Christuskirche am Stadtgarten

Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert (Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik, TU Berlin)

AUF DEM PODIUM: ARCHITEKTUR TRIFFT KIRCHE(N)

Zum gemeinsamen Abschluss und Zusammenführung der zahlreichen Themen trafen sich die Impulsgeber*innen des Studientags Kirchen 20:20 auf dem Podium. Sowohl die Architekten der Kirchen als auch deren Pfarrer*innen, die Architekturhistorikerin und die beiden Theologen,  waren sich schnell einig, dass der Studientag mindestens einen Aspekt deutlich aufzeigte: Die Bauaufgaben um neue, umgenutzte oder umgebaute Kirchengebäude sind als Prozesse vorzubereiten und zu gestalten, bevor die Bauherr*innen von ihnen überrascht werden. Wie dies auszugestalten sei, wurde diskutiert.

WIE ARCHITEKTEN ZU TRAUERBEGLEITERN WERDEN

Ein kirchlicher Architekturprozess sei um ein Vielfaches emotionaler als der Bau für eine Versicherungsgesellschaft, so Klaus Hollenbeck (ARGE Hollenbeck Architektur). Andere Bauherren würden sich freuen, wenn ein Neubau oder ein Umbau geplant wird. Bei einem Kirchenbau sei dies anders. Am Anfang steht meist ein trauriger Abschied von alten Gebäuden: „Wir nehmen den Menschen erst mal etwas, egal wie unangenehm die Kirche ist, sie bleibt ein Ort der Erinnerung.“

Dabei zeigte sich an den Beispielen der Christusgemeinde am Stadtgarten (Köln) von Pfarrer Christoph Rollbühler und der Gemeinde von Pfarrerin Susanne Zimmermann in Köln Mauenheim-Weidenpesch, dass mit dem Umbau oder Neubau einer Kirche auch ein ‚Trauerprozess‘ der Gemeinde im Verlust ihrer alten Gebäude zu gestalten ist. Es sei jedoch nicht davor zurück zu schrecken die Räume zu verkleinern, wenn sie damit nutzbarer werden, so Thomas Erne (Direktor KBI): In den kommenden Jahrzehnten sei mit einem starken Rückgang an Mitgliederzahlen in den katholischen und evangelischen Gemeinden zu rechnen. Es werde damit nötig über Kirchenverkäufe, Abrisse und Umnutzungen und sinnvolle Möglichkeiten der Neugestaltung in der Schrumpfung zu sprechen.

Für Zimmermanns Gemeinde war es die Quartiersarbeit an der Erinnerung, die zum Gelingen des Prozesses verhalf. Mithilfe des Konzepts der Wohnschule wurde geplant, wie das Zusammenleben gestaltet werden soll. Praktisch galt es in einer Übung die Geschichten und Erinnerungen an die alte Kirche zu benennen, an Dinge zu knüpfen und damit das Relevante zu bestimmen und einzugrenzen. Die praktische Übung zur konzentrierenden Schrumpfung nach Zimmermann eignet sich auch als Gedankenspiel: Welche Dinge würden Sie im Umzug von einem Haus in eine 1-Zimmer-Wohnung mitnehmen? Nennen Sie drei Dinge zum Wohnen und drei Dinge für die Seele.

Neues und Altes sowie Funktionen der Kirche und des Stadtlebens wurden im Umbau der Christuskirche Köln von Pfarrer Rollbühler durch Hollenbeck zusammengebracht: Neben dem historischen Kirchturm befinden sich nun Mietwohnungen, ein Gemeindegarten und eine Tiefgarage. Mit der Fertigstellung 2005 wurde auch der Dorothee-Sölle-Platz neben der Kirche umbenannt. Damit wurde nach Braune-Krickau nicht nur ein moderierter Planungs- und Bauprozess abgeschlossen, sondern dieser auch mit der Umbenennung des Platzes zu Ehren der Pfarrerin und Friedensaktivistin für die Öffentlichkeit zu einem Event gemacht.

Damit ein Kirchengebäude für eine Gemeinde ein gelungener Bau wird, müsse dieser gleichzeitig ein attraktiver Ort und ein Ort der Identifikation der Gemeinde sein, so die Architekturhistorikerin Kerstin Wittmann-Englert. Dies gelinge in Bauten, welche die Geschichte der Gemeinde, des Ortes und der Vorgängerbauten in das neue Gebäude mitnehmen. Die Frage sei, welche Formen gefunden werden können, um etwas vom Alten in das Neue zu übertragen. In Diskussion gerieten Erne und Wittmann-Englert darüber, welcher Anteil an Innovation und Überraschung oder Geschichtsbezug und Identitätsmarker in einem neuen Bau zum Gelingen beitragen.

PROZESSGESTALTUNGEN: WAS MACHT EINEN GUTEN PROZESS AUS?

In der Betonung der Prozessgestaltung fragte die Theologin Katharina Scholl, was eine gelungene Prozessgestaltung ausmache: Es gehe nicht darum die Wünsche der Gemeinde in eine Bauform zu übertragen. Ein Prozess erscheine ihr dann als gelungen, wenn sein Resultat mehr umfasst als sich die Gemeinde selbst hätte wünschen können.

Der Architekt Tom Geister betont: „mit dem Haus wird verbunden, was Kirche ist“. Das Bauen erkennt er damit als Teil der Gemeindebildung an.  Er unterstreicht die Verantwortung von Gemeinden, ihre Prozesse zu planen und sich dabei professionell begleiten zu lassen. Hollenbeck unterstützt die aktuelle Relevanz dieser Aufgabe: „Da kommt eine Welle auf Sie zu!“. Auch wenn es noch eine Weile dauern würde, so müssten Gemeinden diese Prozesse zeitnah beginnen. Wenn ein Umbau, Abriss oder Neubau erst nötig werde, müsse derart schnell gehandelt werden, dass eine gute Vorbereitung wichtig sei, „dann muss die Gemeinde im Boot sein“, so Hollenbeck. Ein solcher Prozess sei keine ungerichtete Kommunikation und auch das Ergebnis sei nicht gänzlich offen. Damit ein gelungener Bau resultiert, ist der Prozess selbst die Gestaltungsaufgabe, so Braune-Krickau. Das Planen und Bauen einer Kirche erzeuge nach Erne ein neues Bild von Kirche, da diese Reibungsprozesse, Konflikte und Trauerarbeit für die Gemeinden Identitätsfragen anregen – es findet Klärung statt.

WIEVIEL TRANSZENDENZGESTALTUNG STECKT IM KIRCHENBAUEN?

Die theologische Dimension betonend, erfragte Jan Hermelink (Professor für Praktische Theologie Göttingen), wie die Architekten damit umgehen, dass christlicher Sakralbau, aus rezeptionsorientierter Sicht, darauf angelegt ist, eine Erfahrung von der Gegenwart Gottes wahrscheinlicher zu machen. Was religiös ist, sei für ihn als Architekten schwer zu sagen, so Joel Harris. Die Dialoge zeigen für ihn auf, ob sich der Entwurf für die Gemeinde in die richtige Richtung entwickelt. Hollenbeck unterstützt die Verlagerung der Beurteilung von religiöser Atmosphäre auf die Nutzer*innen. Er sagt, er würde sich in der Behauptung mit einem Bau eine Gotteserfahrung zu ermöglichen fast ‚blasphemisch‘ vorkommen. Allein eine solche Frage oder der Auftrag in einer Ausschreibung „bauen Sie einen Raum, in dem eine Gotteserfahrung möglich wird“ würde jedoch weit mehr Ideen provozieren, als konkrete bauliche Vorgaben.

Scholl hakt nach, in wie weit eine Transzendenzerfahrung überhaupt räumlich und baulich provoziert werden kann: Ist Transzendenz gestaltbar?

Wichtiger als einen Raum für Gott zu bauen ist, für Geister, eine Beförderung des Gemeinschaftserlebnisses durch die Gestaltung von Räumen. Für ihn sind alle Personen eine Gemeinde, die sich in der Kirche versammlen. Über Mitgliedschaften hinaus betrifft dies auch Tourist*innen und die Stadtöffentlichkeit. Mit der Gestaltung der Altarwand in Köln-Stammheim verfolgte Geister dieses Ziel: In der abstrakten Formsprache wird auf eine konkrete Konnotation oder ‚Symbolarchitektur‘ zugunsten von vielfachten Seherfahrungen verzichtet.

ZU GAST IN DER KIRCHE: WEITUNG DER ERFAHRUNG UND DER ZUGÄNGE?

Nach Harris sei es eine Qualität von Architektur verschiedenen Gästen unterschiedliche Erfahrungen des Raumes zu ermöglichen. Dabei wurde im Plenum betont, es sei nicht nur mit einer Kerngemeinde zu rechnen. Der Kirchenraum steht der Stadtgesellschaft offen. Nicht alle Gäste suchen in Kirchen, wie dem Zürcher Großmünster, nach einer religiösen Erfahrung, wirft Erne ein. Vielmehr sei es die Frage, in wie weit neue Kirchen sich auch für eine sog. postmoderne Spiritualität oder Raumerfahrungen außerhalb christlicher Vorstellungen baulich und konzeptuell öffnen sollten. ‚Schöne Räume werden aufgesucht‘, fasst Hollenbeck prägnant das religionsübergreifende Interesse an Kirchen zusammen. In einem spirituell-attraktiven Raum würden zusätzliche Nutzungen, wie beispielsweise Yoga-Sessions, denkbar.

SCHLUSSRUNDE: EIN FIXPUNKT IM PROZESS

Was nehmen die Architekten, die Pfarrer*innen, die Wissenschaftler*innen und Teilnehmer*innen des Studientags zu neuen Kirchen 20:20 mit? In der Schlussrunde wird deutlich, Kirchenbau wird von Architekten wie Joel Harris, Tom Geister und Klaus Hollenbeck als eine komplexe Bauaufgabe wahrgenommen. Neben dem Entwerfen von Erfahrungsräumen umfasst dies auch das Begleiten von Ideenentwicklungen zwischen Trauer- und Selbstfindungsprozessen von Gemeinden. Räumliche Reduktionen, Um- oder Neubauten seien mithilfe solcher begleiteter Prozesse für die Gemeinden nicht nur notwendigerweise zu leisten, so die Theolog*innen und Pfarrer*innen. Sie initiieren darüber hinaus Klärungsprozesse und bieten Möglichkeiten, die Gemeinde zu involvieren und für die neuen Gebäude zu interessieren.

Aktuelle gesellschaftliche Wandlungsprozesse fließen in die Konzeption und die Form von Sakralgebäuden ein. Es erscheint dem Architekten Harris städtebaulich dabei jedoch nicht sinnvoll, aufgrund der sinkenden Mitgliederzahlen ausschließlich kleine Kirchen zu bauen. Der Bau soll prägnant darauf verweisen, dass es sich um einen Sakralbau handelt. Notwendig sei es jedoch, dass die Gemeinden ihre Kirchen nicht als Abstellkammer sondern als interessanten Raum für sich und die Stadt ansehen, so Harris.

Mit Geisters Abschlussplädoyer gesprochen, müssten Kirchengebäude zu Destinationen werden. Gibt es Gründe sie zu besuchen (ob zu Veranstaltungen oder zur Besichtigung) entstehe das Gefühl etwas verpassen zu können. Sein Ziel im zeitgenössischen Kirchenbau sei es, ein Erlebnis zu bauen, das nur vor Ort da ist und nicht berichtbar ist.

Das Podium ist sich einig: In dem Gestaltungsprozess hin zu einem solchen Ergebnis sind Konflikte nötig. An ihnen konkretisieren sich mit den Baufragen auch Fragen nach dem Selbstbild und den Zielen der Gemeinde. „Der Prozess hört mit dem fertigen Bau nicht auf, er entwickelt sich weiter. Schmerz und Reibung gehören dazu. Die fertige Kirche ist in diesem Prozess nur ein Zwischenstopp“ (Erne). Der Aushandlungsprozess ist ein Ausdrucksprozess. Ortsspezifische Lösungen, die mit und für die Gemeinde konzipiert werden, scheinen nach den Diskussionen während des Studientags gefragter als ikonenhafte Architektur mit Außenwirkung, so Erne. Mit dem Befund “wenn Gemeinden Kirchen bauen, bauen sie damit auch Kirche” schließt Erne mit dem Podium auch den Studientag Kirchen 20:20.

Text: Celica Fitz

Reaktionen

Nehmen Sie auch den Beitrag von Kim de Wildt auf https://www.frh-europe.org/ über den Studientag zur Kenntnis! Hier geht es weiter zum Beitrag von Kim de Wildt

Danksagung

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Studientags vom 15.02.2020,

ganz herzlich möchten wir uns bei Ihnen für diesen spannenden, produktiven und ergebnisreichen Tag bedanken.

Aufgrund der vielen Rückmeldungen können wir von einem erfolgreichen Studientag zum „Bild von Kirche durch Kirchenneubauten seit dem Jahr 2000“ sprechen. Das verdanken wir Prof. Dr. Thomas Erne (KBI) und Dr. Tobias Braune-Krickau (Praktische Theologie Göttingen), die den Studientag ins Leben gerufen haben, sowie den Mitarbeiter*innen des Instituts, die Sie unter “An der Organisation Beteiligte” (siehe unten) namentlich finden können.
Besonderer Dank geht an alle Referent*innen, die teilweise weite Wege auf sich genommen haben um uns ihre Projekte, Sichtweisen und Arbeiten präsentieren zu können. Und das Wichtigste sind natürlich die Teilnehmer*innen, die den Tag mit konstruktiven Beiträgen, Fragen und Kritiken ins Rollen gebracht und abgerundet haben – Danke!

Außerdem danken wir „Frau Friedrich“, dem lokalen Café, das sich um unser leibliches Wohl gesorgt hat.

Wir hoffen, Sie haben den selben Eindruck wie wir und konnten etwas von dem Studientag des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart mitnehmen! Wir freuen uns, wenn sie sich auch weiterhin auf unserer Webseite über laufende Veranstaltungen und Projekte informieren und vielleicht auch wieder persönlich teilnehmen!

Herzlich, Ihr KBI

Fotos des Studientags von Max Bode

An der Organisation Beteiligte

Leitung Studientag:    

Prof. Dr. Thomas Erne

Dr. Tobias Braune-Krickau

Yonka Werner

Max Bode

Institut:

Ingrid Witzel

Claudia Breinl

Celica Fitz

Johannes Böckmann

Dorothea von Kiedrowski

Referenten:

Prof. Dr. Christoph Sigrist

Prof. Dr. Kerstin Wittmann-Englert

Pfarrerin Susanne Zimmermann

Architekt Joel Harris

Architekt Walter Maier

Pfarrer Christoph Rollbühler

Pfarrer Thomas Fresia

Architekt Tom Geister

Studierende:

Anna Ebel

Juliane Becker

Lisa Kubalatara Arachchige

Matthias Hübler