Künstlerin des Monats – Rosina Kuhn

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2019 ist das Jahr der 58. Venedig Biennale. KünstlerInnen aus der ganzen Welt werden anreisen, um in den Länderpavillons auszustellen. Da lohnt es sich, auch einen Blick auf KünstlerInnen zu werfen, die in dieser außergewöhnlichen Stadt gelebt und gearbeitet haben und einzigartige Werke geschaffen haben. Die Künstlerin Rosina Kuhn hielt sich 2011 sechs Monate als Atelierstipendiatin im Palazzo Caselforte auf. Dort begann für die Schweizerin ein malerischer Dialog mit dem ebenfalls in Venedig – jedoch 300 Jahre zuvor – lebenden Künstler Giovanni Battista Tiepolo (1696-1770), dem bedeutendsten Maler Venedigs des Spätbarocks.

 

Doch warum wählte sie gerade Tiepolo, der dekorative Illusionen in Decken- und Wandfresken inszenierte? Tiepolo beeindruckte schon seine Zeitgenossen mit virtuos komponierten Bildräumen, in denen Allegorien und Mythologien mit dekorativen Elementen und einem imposanten Licht- und Farbenspiel erzählt werden.

Ein genauerer Blick zwischen die Figuren in Tiepolos Gemälden zeigt außerdem, dass die Abstraktion bereits in seinen Bildern angelegt ist. Die üppigen Wolken und Himmelszelte verschwimmen zu Farb- und Formwirbeln, die im Kontrast zu den architektonischen und figürlichen Elementen stehen.

Vermutlich ist es der eindrucksvolle Rhythmus der Bilder Tiepolos und die bereits vorhandene Abstraktion in seinen Bildern, die Rosina Kuhn faszinieren. Die Künstlerin greift beide Momente auf, um ihre ganz eigene Malerei in den Venezianischen Himmeln zum Ausdruck zu bringen.

 

Rosina Kuhn malte zunächst drei freie Variationen nach Tiepolos Deckengemälden aus der Kirche Santa Maria del Rosario (Rosario), aus der Scuola Grande dei Carmini (Carmina) und aus der Ca Rezzonico (Gloria). Weitere sechs Gemälde folgten, als sie in die Schweiz zurückkehrte.

Von Tiepolos figürlichen Motiven, den Madonnen, Heiligen, Engeln, Götterfiguren und anderen Akteuren sind in Rosina Kuhns Bildern nur noch abstrakte Farbspuren geblieben. Die klaren Konturen der Figuren sind verwischt. Auf diese Weise treten die barocken Inhalte zurück, damit die Malerei selbst in den Vordergrund treten kann.

So werden in dem Gemälde Rosario die Engel nur noch gestisch angedeutet. In Gloria hat die Künstlerin bewusst Figuren weggelassen. Einzig die großen Posaunenengel wurden in die Bildkomposition aufgenommen.

Durch die Auslassungen und Modifikationen der religiösen Figuren ist die geistliche Thematik jedoch nicht gänzlich aus den Bildern verschwunden. Vielmehr eröffnet Rosina Kuhn einen Blick auf den Himmel selbst, der seit jeher als Sitz himmlischer Wesen und der Transzendenz galt.

Die BetrachterInnen werde auf eine Reise durch rätselhafte Himmelslandschaften eingeladen. Das Auge sucht nach Orientierungspunkten, möchte bekannte Gegenstände wiedererkennen. Es darf sich aber auch wieder lösen und visuell in das Farbenmeer eintauchen.

 

 

Die Künstlerin lässt ein Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit in ihren Bildern entstehen. Sie arbeitet teils mit monochromen Farbflächen, die sich mit Spuren gestischer Pinselführung abwechseln. Blau, Weiß, Blaugrau, Rot, Gelb, Orange und schwarze Akzente bilden die Partitur ihrer vielstimmigen Kompositionen. Ihre Malweise ist stark von der Aquarelltechnik beeinflusst: Die Farbe wird stark verdünnt nass in nass in mehreren Schichten mit breiten Pinseln aufgetragen. Teilweise sind untere Farbschichten zu sehen, sogar die Leinwand schimmert stellenweise durch. Das flüssige Malmittel bildet in den unteren Bildrändern langgezogene Farbspuren. Sie holen die Betrachtenden aus den kuhnschen Traumwelten in die Realität zurück, indem sie auf diese Weise auf die Malerei selbst verweisen.

 

In Rosina Kuhns beachtlichem Werk aus fünf Jahrzehnten zeigte sich bisher eine intensive psychologisch, subjektive Auseinandersetzung mit der Porträt- und Landschaftsmalerei. Die Protagonisten ihrer Bilder waren allerdings keine mythologischen Figuren, sondern reale Personen aus ihrem Umfeld. Vor dem Hintergrund Kuhns langjähriger Beschäftigung mit figurativer Malerei erscheint der Zyklus der Venezianischen Himmel wie ein Befreiungsschlag. Rosina Kuhn komponiert eine Farbsymphonie voller Lebendigkeit und Spontanität, die an die Vorstellungskraft der BetrachterInnen appelliert.

 

Text: Dorothea von Kiedrowski

Fotos: Patrick Blank

www.rosinakuhn.kleio.com