Künstler des Monats – Stefan Strumbel

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Stefan Strumbel und die Katholische Kirche in Goldscheuer

Goldscheuer ist ein überwiegend katholisches Dorf in der oberrheinischen Tiefebene mit 5000 Einwohnern in der Nähe von Kehl. Die katholische Kirchengemeinde baute 1963 eine eigene Kirche. Architekt ist Anton Pichl. Die Kirche, die auf den Namen Maria, Hilfe der Christen geweiht wurde, ist eine einschiffige Halle. Die Kirche hatte ursprünglich einen Hochaltar im leicht erhöhten Chor unter einer Kreuzigungsgruppe von Franz Spiegelhalter. Der Chor bekommt seitlich Licht von farbigen Fenstern, angeordnet in einem rautenförmigen Muster, das auch am freistehenden Turm zu sehen ist. Die Seitenwände sind in der Mitte nach außen geweitet und ebenfalls mit farbigen Fenstern belichtet. Durch diese Weitung vermittelt die Kirche ein großzügiges Raumgefühl, das man ihr von außen nicht zutraut.

Die Kirche wurde 2010 von der Diözese Freiburg angesichts der Entwicklung der Mitgliederzahlen, der Kosten der Gebäudeunterhaltung, vermutlich auch aufgrund der bescheidenen ästhetischen Reize zur Disposition gestellt.

 Der Pfarrer der Gemeinde, Thomas Braunstein, lernt den jungen Offenbacher Künstler Stefan Strumbel kennen und lädt ihn ein,  sich die leergeräumte Kirche anzusehen[1]. Es gelingt dem Pfarrer eine ungewöhnliche Allianz von Diözese, Pfarrgemeinderat, Bevölkerung und einem jungen Avantgarde-Künstler zu schmieden. Zwar hält sich Stefan Strumbel merklich zurück vergleicht man die Arbeit in Goldscheuer mit seinen sonstigen Werken, trotzdem mutet er der Kirchengemeinde zu,  ihren Kirchenraum, der geprägt ist von der konventionellen Bildtradition des 19. Jahrhunderts und der christlichen Kunst der Nachkriegszeit in einer radikal anderen Beleuchtung zu sehen.

Die Akzeptanz der Arbeit von Stefan Strumbel und dem Bildhauer Hubert Benz in Maria-Hilfe der Christen wird sicher dadurch gefördert, dass die Künstler die Qualität des Innenraums und seiner Ausstattung wieder neu zum Leuchten bringen. Man erkennt in Goldscheuer keinen Strumbel, sondern eine Kirche, die im Gesamteindruck stimmig und faszinierend ist. Die Handschrift des Künstlers, auch seine Provokation, stecken im Detail, zum Beispiel in der goldenen Fassung für die Fensternischen, die dem Kreuzweg von Rainer Dorwarth [Photo Erne] eine neue mystische Präsenz verleiht und in den ironischen Kommentaren zu den herzerfrischend kitschigen Figuren im Nazarener Stil. Der heiligen Elisabeth färbt Strumbel die Rosen pink und Maria bekommt ein pink gefärbtes Zepter in die Hand. Pink sind auch sämtlichen Kerzenhalter in der Kirche. Die Kreuzigungsgruppe rahmt Strumbel mit einem gotischen Spitzbogen, umgeben von einem rosaroten Strahlenkranz, unterlegt mit Led-Lampen, die Farbfelder in den liturgischen Farben erzeugen. Ein Lichtband am First der Decke zeigt die Fluchtlinie zum „Exit“, die in der Kirche vom Taufbecken (am Eingang) zur Kreuzigungsgruppe im Chor, der Erlösung in Tod und Auferstehung Christi verläuft. Erst wenn man die Kirche wieder verlässt, stößt man auf einen Strumbel, ein Graffiti wie ein Scherenschnitt, die sanftmütige Madonna mit der „Maschenkapp“, der traditionellen Kopfbedeckung in der Gegend, mit einem finster blickenden Jesuskind auf dem Arm.

Stefan Strumbels Neuinszenierung einer 1960er Jahre Kirche mit den ästhetischen Mittel des 21. Jahrhunderts wird wie ein Wunder gefeiert. Der Pfarrer Thomas Braunstein nannte den Künstler, der in Goldscheuer ohne Honorar arbeitete, ein „Geschenk des Himmels.“[2] Die Kirche wird seitdem international wahrgenommen. Sie erfreut sich eines nachhaltigen Interesses von auswärtigen Besuchern und ruht auf einer soliden Akzeptanz bei der eigenen Gemeinde. Goldscheuer ist einer der eher seltenen Fälle, wo ein Avantgarde-Künstler milieu- übergreifend verstanden wird, ohne Abstriche an seinem ästhetischen Anspruch zu machen.

Was ist nun das Wunder? Nicht die Einzelheiten, die man als Eingriffe auflisten könnte. Es ist die Grundstimmung, die Präsenz des Raumes. Ein Gesamteindruck, der sich einstellen kann, wenn Teil und Ganzes stimmig vermittelt sind. Blickt man auf die vielen Details ist alles endlich, blickt man aufs Ganze, dann wird die Erfahrung einer Unendlichkeit möglich. So vertreibt die Kunst die Tristesse aus der Kirche, lässt Glanz, ironische Brechung, Feierlichkeit, etwas Wildheit (das ungebärdigeJesuskind), Stilsicherheit, und Sinn für Kitsch in die Kirche einkehren. Die Kunst rettet die Kirche atmosphärisch  als ein sinnliches Ereignis der Unendlichkeit, das offen und zugänglich ist für nahezu jedermann. Der katholischen Gemeinde in Goldscheuer hat nun die Aufgabe,  die christlichen Implikationen des kunstvoll inszenierten Kirchenraums in ihren Gottesdiensten herauszuarbeiten.


[1] Vgl. Th. Braunstein, Katholische Kirche Maria-Hilfe der Christen Kehl-Goldscheuer, hg. v. Katholische Pfarrgemeinde St. Arbogast, Goldscheuer 2013