Künstlerin des Monats – Angelika Weingardt

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„Credo quia absurdum“

“Ich glaube, weil es absurd ist…”, der Satz spricht sich gegen den Versuch aus, den religiösen Glauben mit den Mitteln der  Vernunft zu kritisieren. Ein Werk der Künstlerin Angelika Weingardt mit diesem Titel ist seit kurzem in der Unionskirche in Idstein fester Bestandteil des Kirchenraums: es handelt sich um Glasfenster, die nach einem Wettbewerb bei ihr in Auftrag gegeben wurden.

Wie bei all ihren mittlerweile zahlreichen Projekten, die für Kirchen oder kirchliche Räume entstanden sind, hat sich die Künstlerin inspirieren lassen von den visuellen und inhaltlichen Vorgaben des Ortes. In Idstein wurde im letzten Jahr ein doppeltes Jubiläum gefeiert. Denn im Jahr 1817, genau dreihundert Jahre nach Reformationsbeginn, hatten sich die calvinistisch-reformierten und die lutherischen Gemeinden im Herzogtum Nassau zusammengeschlossen. Es sollte in den neuen Fenstern sowohl die Reformation als auch das Jubiläum der Nassauischen Union thematisiert werden.

Von 1665 bis 1677 wurde die Stadtkirche durch Graf Johann  zur Predigt- und Hofkirche umgebaut. Seitdem  überziehen barocke Formen  und Figuren den Raum und geben ihm ein festliches, üppiges Gepräge. Das Hauptschiff ist mit großformatigen Ölgemälden aus der Rubensschule vollständig verkleidet. Es werden Geschichten in Bildern erzählt, Allegorien und und Symbole verwendet, Namen und Bibelstellen zitiert: eine ganze Welt von Frömmigkeit aus euphorischen Zeiten des Protestantismus ist hier lebendig und der höfische Repräsentationswille des Grafen Johann tat sein Übriges dazu.

In welcher Haltung könnte man heute dieser überbordenden Begeisterung begegnen? Angelika Weingardt hat aus dem  Bilderreichtum der historischen Ausstattung eine Pflanzensymbolik herausgegriffen: die Palme.  Sie zitiert sie als Schattenriss. Grautöne stufen sich ab von hell nach dunkel, ein Echo von scharfkantigen Formen, die wie eine Schablonenarbeit oder ein Scherenschnitt wirken. In der warmtonigen Farbigkeit der Malereien im Raum ein Kontrapunkt, der die Darstellung als Zitat deutlich werden läßt, das auf die Schriftgläubigkeit und das  lehrhafte Verständnis aller Bildlichkeit im Protestantismus hinweist. Auch die Ästhetik eines Schwarz-Weiß Films klingt an, – eine Antwort auf die barocken Szenen der Deckenmalereien, wo die biblischen Geschichten in leidenschaftlicher Bewegung und Dramatik wie ein Filmepos in Technicolor ablaufen. Der  kühle und klare Zugriff in Angelika Weingardts Darstellungsweise zeigt auch etwas von der intellektuellen Distanz, die heute  in  der  Kirche öfter anzutreffen ist als emotionale Ergriffenheit. Und was bedeutet nun die Drehung der Zwillingspalmen? Dass es eher ein Spiel mit einem Ornament als eine tief gründende Symbolik ist, mit der hier gearbeitet wird? Oder dass man sich nie mit nur einer Perspektive begnügen sollte?

Die Palme als christliches Symbol reicht lange zurück bis in die Zeiten des frühen Christentums, so dass sich unübersichtlich viele Bedeutungen um sie angesammelt haben. Prägnant ist sie als Symbol des Sieges, des Lebens, des Paradieses und der Märtyrer und Heiligen, die auf mittelalterlichen Altären oft Palmzweige mit sich tragen. Die Palme ist ein Baum, der selbst starken Stürmen standhält, biegsam, aber ungebrochen. Sinnbildlich steht die Palme für ungebrochene Glaubenstreue. Gleichzeitig wird durch die Umkehrung des Motivs deutlich, dass Reformation nie abgeschlossen ist. Die Palme ist bei Angelika Weingardts Entwurf aber auch Formzitat. Sie stellt die Verbindung zu den Schmuckelementen im barocken Kirchenraum her. Dort findet man Palmzweige als Strebeverzierung an den Emporen.

Hergestellt wurden die Glasfenster bei der Glasmalerei Peters in Paderborn. Es handelt sich um Malerei mit Schwarzlot auf mundgeblasenem Glas, das durch mehrere Brände ging und anschließend verbleit wurde. Sowohl die Sechseckverglasung als auch die Art des verwendeten Glases beziehen sich auf die übrigen Fenster im Kirchenschiff, die ohne Darstellungen sind.

Text: Claudia Breinl

www.angelikaweingardt.com

Alle Abbildungen: Julian Salamon

www.julian-salamon.de

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