Zwischen Farbenrausch und Kontemplation

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Erinnerungen und Erzählungen um die Farben Rothkos

Mark Rothkos (1903-1970) Colour Field Paintings gehören zu den eindrucksvollsten und bekanntesten Arbeiten des Abstrakten Expressionismus und lösen sofortige Erinnerungen an Farbrausch und fliegende Felder lasierter Nuancen aus. Wie blickt eine Kunstwissenschaftlerin heute auf diesen vielgesehenen Klassiker der Moderne?

Unsere Gastautorin Tanja von Gilsa ist Kunstwissenschaftlerin (BA) und Studentin der Kunstwissenschaft (MA) an der Kunsthochschule Kassel und gegenwärtig im Auslandsstudium an der Sorbonne in Paris. In ihrem Ausstellungsbericht schreibt sie über ihre Eindrücke, Erinnerungen an Farben und über die neuen musealen Erzählungen zum bekannten Farbfeldmaler. Die erste Retrospektive des gesamten Œuvres Rothkos in Frankreich seit 1999 wird vom 18. Oktober 2023 bis zum 02. April 2024 in der Fondation Louis Vuitton in Paris gezeigt. Abbildungen und Ausstellungsansichten finden Sie auf der Website der Fondation Louis Vuitton.

 

Eine persönliche Annäherung an die Farbfeldmalerei des abstrakten Expressionisten

von Tanja von Gilsa

Intensives Grün erregt meine Aufmerksamkeit und lenkt den Blick auf ein fast quadratisches Format, das in geometrischer Strenge die Farben des Bildes umrahmt. Ich bleibe stehen und versuche zu ergründen, aus welchem Grünton das Farbfeld nun tatsächlich besteht. Weiße Lasuren, die in der Mitte des Feldes unregelmäßig aufgetragen sind, lassen ein zartes Mai Grün erscheinen, das von einem kräftigeren Wiesengrün umgeben wird. Pinselstriche in einer rotbraunen Lasur versuchen beide Töne miteinander zu vereinen und hinterlassen einen erdigen Impuls. Unweigerlich bekomme ich Sehnsucht, mich in der Natur aufzuhalten und denke an den bevorstehenden Frühling an diesem trüben Februartag. Am unteren Rand der Farbfläche intensiviert sich der Farbton, bevor er zaghaft durch die Linie eines zarten Rosas abgesetzt wird. Diese trennt das Bild in zwei fast gleichgroße Felder. Ein weiterer Farbstreifen folgt: ein energetisches Gelb, das nicht ganz rein ist und noch Spuren des Grüns aufweist. Ein weiteres, größeres Farbfeld bildet den Abschluss der horizontalen Farbfolge. Hier scheinen alle Farben des Bildes, harmonisch zu einer undefinierbaren Farbe zu verschmelzen. Je länger mein Blick in die Bildebene eintaucht, umso stärker oszillieren die Farbfelder und eröffnen mir, der Betrachterin, ein sinnliches Seherlebnis, von dem ich mich nur schwer lösen kann.

Bild No. 14/ No. 10 (Yellow Greens) ist eines der 115 Werke des Künstlers Mark Rothko (1903–1970), die noch bis zum 02. April 2024 in der Fondation Louis Vuitton in Paris zu sehen sind (leider keine Abbildung möglich).

Das Bild ist 1953 entstanden und gehört zu dem Teil des Œuvres Rothkos, der mit zum Inbegriff des Abstrakten Expressionismus wurde. Die Abstrakten Expressionisten:innen,  die eine große Bandbreite an unterschiedlichen Künstlern:innen zusammenfasst, verband künstlerische Stile mehr oder weniger abstrakter Darstellung und eine große Ambition, die amerikanische Kunst aus ihrer konstatierten Provinzialität zu befreien. Sie öffneten der amerikanischen Kunst den Weg in die Moderne, so könnte die neue Werkschau Rothkos in Paris gelesen werden. Infolgedessen löste New York Paris als Avantgarde Metropole ab und wurde zum Zentrum für die innovative abstrakte Malerei.

Dass der Weg zur Abstraktion kein leichter war, zeigt die umfassende Retrospektive, die alle Werkphasen des Künstlers Mark Rothko umfassend präsentiert. Über eine expressionistische, dann surrealistische Phase reduzierte der Künstler seine Malerei von weiteren Konventionen. Rothko findet erst nach einem langen Findungsprozess mit Anfang fünfzig zur abstrakten Farbfeldmalerei.

Lebhafte Farben in gleicher chromatischer Intensität und Leuchtkraft werden in horizontaler Folge aneinandergesetzt. Die Flächigkeit wird nochmalig betont durch das große Format der Leinwände. Rothkos Farbkombinationen erinnern an Matisses Farbenlehre und sind ein Zeugnis seines empfindsamen Talentes mit Farbe umzugehen. In feinen Lasuren aufgetragen erhalten die Farben ihre Tiefe ohne taktile Assoziationen zu evozieren. Flieder – Grün ­­­­­­– Orange. Rot – Türkis – Blau ­­– Rosa. Gelb – Rot – Orange. Rot – ­­­Rosa – Orange. Rot – Schwarz –Weiß – Orange. Braun – Gelb – Blau. Die Farbvielfalt der Bilder des Hauptwerkes des Künstlers, die das Herz der Ausstellung bilden, ist beeindruckend. Der großzügige White Cube der Fondation lässt den Bildern genug Raum ihre Wirkkraft zu entfalten. Die Hängung berücksichtigt die unterschiedlichen Farbspiele, sodass eine harmonische Gesamtwirkung und keine willkürliche Buntheit entstehen.

Foto: Blick in die Ausstellung mit den Bildern von links nach rechts: No. 13 (1958), No. 9/No. 5/No. 18 (1952), Green on Blue (1956) und Untitled (1955).

https://presse.fondationlouisvuitton.fr/mark-rothko-2023/

Rothko wurde als Kind einer jüdischen Familie als Marcus Rotkovich im heutigen Lettland geboren. Die zunehmenden Pogrome gegen die jüdische Gemeinschaft im Russischen Reich, bewegten Mark Rothkos Vater, seinen jüngsten Sohn auf eine Talmud Schule zu schicken. Mit zehn Jahren muss Rothko seine Geburtsstadt verlassen und immigrierte mit seiner Familie nach Amerika. Ihm fiel es schwer sich dem anglo-amerikanischen Bildungssystem anzupassen und später als Künstler sich dem etablierten Kunstbetrieb anzudienen.

Die inneren Kämpfe seines melancholischen Naturells kommen besonders in der Arbeitsweise seiner Seagram Murals zum Ausdruck. Immer wieder überarbeitete Rothko die Bildflächen, so dass auf den Leinwänden eine dicke Hautschicht entstanden ist, die fast wehrhaft erscheint, als müssten tiefer liegende Schichten beschützt werden.

Foto: Blick in den Ausstellungssaal mit den Seagram Murals. Von links nach rechts: Red on Maroon (1959), Black on Maroon (1959)

MARK ROTHKO – Fondation Louis Vuitton | Presse

Ursprünglich waren die Bilder für die Ausstattung eines Empfangsbereich und einer Kantine im neu errichten Skyscraper der Stadt New York, des Seagram Buildings, geschaffen worden. Es wurde jedoch ein Luxusrestaurant eröffnet. Rothko konnte die Vorstellung nicht ertragen, dass seine Bilder als exklusives Dekor für einen derart privilegierten Ort benutzt werden. Er lehnte den Auftrag ab, obwohl er bereits 30 Wandbilder dafür angefertigt hatte. Neun davon hat er kurz vor seinem Tod 1970 der Tate Gallery in London gestiftet, die diesem Werk heute einen eigenen Raum widmet. Es ist sensationell, dass gerade diese Bilder als komplettes Ensemble nun ebenfalls in Paris zu sehen sind. Sie repräsentieren einen Teil des Spätwerkes Rothkos und zeigen den beginnenden Wechsel zu einer immer dunkler werdenden Farbwahl des Künstlers.

Ein tiefes Rot, das in verschiedenen Variationen sich über ein Violett bis zum Schwarz auflöst und von helleren Lasurschichten durchbrochen wird, scheint Licht gleichzeitig zu absorbieren und zu emergieren. Traurigkeit und Wärme breiten sich beim Betrachten gleichzeitig aus. Trotz der abstrakten Gestaltung eröffnet sich zwischen dunkleren Farbbalken ein transzendenter Raum, der Betrachter:innen in die Tiefe der Farbschichten zieht. Nach der luftigen und pulsierenden Energie des Hauptwerkes, spiegeln diese Bilder eine introvertierte Mystik wider, die eine meditative Kraft in sich birgt. Rothko glaubte daran, dass seine Werke, wahre menschliche Gefühle zum Ausdruck bringen konnten. Er glaubte an die Spiritualität seiner Kunst.

(Das Beitragsbild wurde KI-generiert und illustriert den Stil Rothkos)

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