Architekturflash Dezember 2017 – BERGKAPELLEN WIRMBODEN UND SALGENREUTE

BERGKAPELLEN WIRMBODEN UND SALGENREUTE

Es scheint, dass die kleine Bauform der Kapelle den spirituellen Vorstellungen und Bedürfnissen heute sehr entgegenkommt. Es gibt eine Vielzahl von öffentlichen Bereichen, in denen Kapellenräume neu gestaltet werden: Krankenhäuser und Altenheime, Bahnhöfe und Flughäfen, Friedhöfe, Schulen und Universitäten, Strafvollzugsanstalten, Gedenkstätten, Ferienorte, Gartenschauen. Manchmal sind sie nur vorübergehend und an den Anlass gebunden und stehen dann in Verwandtschaft zu Pavillonbauten. Es gibt aber auch den Typus, der einen Ort erst markieren und ihm besondere Bedeutung verleihen soll. Je nachdem, muss die Bauform sich dem Zusammenhang anpassen, den formalen äußeren Gegebenheiten und den Nutzungsansprüchen der Menschen.

Zwei Kapellen im Bregenzerwald möchten wir vorstellen, die diesen Anforderungen gerecht werden. Beim Materialeinsatz und Formenrepertoire schöpfen sie aus der lokalen Bautradition, aus der sie vorbildliche neue Architektur gewinnen. Es ist ein Privileg, in einer intakten Umgebung mit grandioser Natur etwas bauen zu dürfen, was zwar relativ wenigen bauvorschriftlichen Reglementierungen unterliegt, aber es musste eine symbolische Bauform entwickelt werden, die trotz ihrer geringen Dimension Bedeutung transportiert, ohne überfrachtet zu wirken.

 

Abbildungen: Adolf Bereuter, Dornbirn

Kapelle Wirmboden

Die Kanisfluh ist ein Bergmassiv im zentralen Bregenzerwaldgebirge zwischen den Orten Mellau und Au. Die sagenumwobene Kanisfluh gilt als bekanntester Berg und Wahrzeichen des Bregenzerwalds. Im Februar 2012 wurde die Ansiedlung von Almhöfen in der Vorsäß Wirmboden von einer Lawine heimgesucht und auch die alte Kapelle zerstört. Die Gemeinschaft der Bauern dort war sich einig, dass wieder eine Kapelle errichtet werden sollte. Das war aber zunächst das einzige, worüber Einigkeit bestand. Die individuellen Vorstellungen zu einem gestalterischen Konsens zu führen, das gemeinsame Bauen zu koordinieren, beanspruchte eine lange Zeit, sodass schließlich umgerechnet für jeden Quadratmeter ein halbes Jahr ins Land ging. Die asketisch schlichte und charaktervolle Kapelle wurde von Innauer-Matt Architekten entworfen, aber von den handwerklich versierten Bauern der Vorsäß selbst errichtet.  Nach drei Jahren war der kleine Bau fertig und bildet nun die Mitte einer kleinen Herde von Gebäuden, die sich um das kleinste unter ihnen versammeln.

Die äußere Gestalt orientiert sich am überkommenen Kapellenbau der Bergregionen, sodass aus der Ferne nicht auffällt, dass es sich um einen Neubau handelt.  Erst beim Näherkommen machen diverse Details deutlich, wie hier mit den traditionellen regionalen Stilelementen gespielt wurde. Die Wände sind aus großporigem Stampfbeton, in den grober Kies und am Ort gesammelte Steinbrocken markant eingearbeitet wurden, als zitiere man hier die Felswände der Umgebung: ein Umgang mit Beton, der fast expressive Ausdruckskraft zeigt, aber keinesfalls an etwas anderes als zufällige Fügung denken lässt.  Eine robuste Schicht Holzschindeln decken das Satteldach, das statt einer Spitze am First abgeflacht ist, um durch einen Spalt Licht von oben einzufangen und damit die Himmelsstimmung von draußen nach drinnen weiterzugeben.

Man betritt die auf hohem Sockel aufgesetzte Kapelle durch eine einfache Holztür aus soliden Brettern. Der Eingang wird durch eine Art simplifiziertes Tympanon in Form eines hölzernen Würfelgitters  betont. Man gelangt in den kleinen Kapellenraum, der als Rückzugsort und Ruheort für die Ansässigen und  für Wanderer, zum Gebet und als Ort für Totengedenken tauglich ist. Er ist so klein, dass er wie eine zusätzliche Körperhülle wirken kann, ein schützender Panzer,  in dem man ganz nah bei sich selbst ist. Es gibt keinen Ausblick in die Landschaft. Licht dringt nur indirekt, auf verschwiegene Weise ein: durch den Lichtschlitz im Dach, durch die Ritzen neben der Tür, durch die opake blaue Verglasung an der Stirnseite –  Licht wird dort erst wirklich wahrgenommen, wo es nicht ungehindert einströmt. Es ist eine konzentrierte Atmosphäre, die in gekonnter Anspruchslosigkeit Achtung und Bescheidenheit vor der Eigenheit der Dinge zeigt, ein religiöses Ideal, das hier über die Ästhetik des Bauwerks transportiert wird.

Die Kapelle dient auch der Memoria. Erinnerungsbilder der Verstorbenen des Ortes haben geordnet und rhythmisiert und zwischen den weit heruntergezogenen Holzspanten ihren Platz. Es entsteht eine Atmosphäre von Ernst und Strenge zwischen den dunklen Grau- und Schwarzschattierungen der Wände und dem Boden mit den eingearbeiteten Flachsteinfindlingen. Ein Findlingsblock statt eines Tisches bietet Platz für Kerze und kleine Memorabilien. In einem so kleinen Raum musste über jedes Detail entschieden werden, ob und wo es seinen Platz bekommen kann, um die Ausstrahlung des Raumes nicht zu stören.

(2A Europe Architecture Award 2017)

Architekt: Innauer-Matt Architekten, Bezau    www.innauer-matt.com

Abbildungen: Adolf Bereuter, Dornbirn

Kapelle Salgenreute

Im Bregenzerwald findet sich neuerdings noch ein anderes Kleinod des Kapellenbaus. Der Architekt Bernardo Bader hat in der Gegend, die auch seine Heimat ist, schon viel für die regionale Baukultur getan. Er war beteiligt an einem Dorfprojekt in der Gemeinde Krumbach, das durch Inhalte und Bauästhetik die Lebensqualität und die Heimatverbundenheit stärken sollte, und vielleicht auch dazu beiträgt, die Abwanderung der jungen Leute zu verringern.

Eine private „Lourdes-Kapelle“ in Salgenreute war so baufällig geworden, dass sie 2014 abgerissen werden musste. Sie hatte eine exponierte Lage auf einem  Nagelfluh-Bergrücken und wurde von den Christen in  Zwing, Au und Salgenreute genutzt. Es war schon beim Abriss klar, dass ein Ersatzbau kommen sollte. Das Wie und Von Wem ergab sich organisch aus der intakten Dorfgemeinschaft, der auch der Architekt angehört. Bernardo Bader übernahm die unentgeltliche Projektplanung. Es gab Exkursionen zu anderen Kapellenbauten und öffentliche Diskussionsabende. Festgelegt war der Ort und dass die neue Kapelle sich in den Dimensionen an dem Vorgängerbau orientieren sollte. Der Abbruch der alten Kapelle und der Bau der neuen Kapelle wurde dann als ein dörfliches Gemeinschaftswerk bewerkstelligt, wo jeder beitrug, was er konnte, entweder in Form von Geld- und Materialspenden oder durch unentgeltliche Handwerksarbeiten.

Über eine Wiese läuft man auf die Kapelle zu, die wie ein schmuckes Kästchen von einem filigranen Schuppenkleid aus Holz überzogen ist. Sie wirkt durch das einheitliche Schindelkleid deutlich als autarker geometrischer Körper im Landschaftsraum, zumal ein Sockel den Bau noch auf ein Podest stellt wie eine Skulptur. Es gibt Fensteröffnungen am Eingangsbereich, der die ganze Front einnimmt und ein schmales Fenster, auf das hin die kleine Apsis zuläuft, die den Bau in einem spitzen Winkel abschließt. Die als Blickfang gestaltete Eingangstür aus Messing ist von zwei hohen Fenstern flankiert, die viel Helligkeit hineinlassen, wie überhaupt Leichtigkeit und Zierlichkeit den Raumeindruck bestimmen. Der Innenraum ist schlank und wirkt wegen der Raumproportionen relativ hoch, fast schwebend. Er ist charakterisiert von der Farbe, Struktur und Textur des hellen Tannenholzes, – Wand, Decke, Boden, Bänke sind  daraus gemacht, alles in dem 40 qm kleinen Raum ist harmonisch in sich geschlossen und wirkt heiter.  Einen Sonderbereich im Inneren bildet die Apsis. Definiert wird sie durch eine Stufe Erhöhung,  durch die Fensteröffnung nach draußen und dadurch, dass die Tannenholztäfelung hier weiß gefasst wurde. Eine Marienstatue ist so angeordnet, dass sie nicht die Mitte des Andachtsraums bildet, sondern den Blick frei lässt für den Fensterausschnitt, der nun quasi das zweite Andachtsbild ist. Was an der Kapelle in Wirmboden an schlichter Rauheit und  Gradlinigkeit beeindruckt, überzeugt bei der Kapelle in Salgenreute durch eine zierliche und  feine Formensprache.

Piranesi Award 2017, Bauherrenpreis Österreich 2017, The International Architecture Award 2017,best architects award 18

Architekt: Bernardo Bader, Dornbirn www.bernardobader.com

Text: Claudia Breinl

Publikation: Kapelle Salgenreute. Hg. Bernardo Bader Architekten. Mit Texten von Florian Aicher. Verlag Walther König 2016,  ISBN 978-3-96098-074-2