Künstlerin des Monats – Ulli Böhmelmann

Seit Juni 2018 schwebt ein kristalliner Schwarm in der Frankfurter KunstKulturKirche Allerheiligen über dem Altar. Die Künstlerin Ulli Böhmelmann hat einen zarten Ball, aus kleinsten Glaskristallkugeln bestehend, in die lichtdurchflutete Kuppel gespannt.

Die Installation hing bereits 2016 in der evangelischen Kirche Winningen an der Mosel. Dort reflektierte sie im Hauptschiff die besondere Lichtstimmung der Kirche und korrespondierte dort mit den halbkreisförmigen Bögen des Kirchenschiffs. Die 5000 geschliffenen 2 cm großen Glaskugeln bilden zusammen einen filigranen Glaskörper mit einem Durchmesser von 3 m.

In der Allerheiligen Kirche korrespondiert der Glasball auf besondere Weise mit der Glas- Beton-Kuppel der Kirche, die sich direkt über dem Altar befindet. Die zarten Glaskugeln wirken wie gefrorene Regentropfen, die es durch die löchrige Struktur der Kuppel ins Innere der Kirche geschafft haben. Versteht man die Kirche mit Augustinus als Leib Christi, ist der Schwarm aus dem Leib (Kirchenschiff der Winninger Kirche) ins Herz Christi (Altarbereich der Frankfurter Kirche) gewandert.

Das natürliche von oben hinein scheinende Licht wird in den Glaskristallen unzählige Male gebrochen. Verstärkt werden die Brechungen durch einen Strahler, der den Schwarm zusätzlich von unten beleuchtet. Diese Lichtinszenierung, die sich im Tageslauf ändert, schafft eine besondere, konzentrierte Atmosphäre in dem reduzierten Kirchenraum. Der Schwarm lädt dazu ein, sich im Kirchenraum neu zu erfahren, ihn zu durchschreiten, immer wieder neue Blickwinkel einzunehmen. Denn bei Bewegung scheint sich der Schwarm selbst zu bewegen. Dabei lösen sich alte geometrische Muster auf, neue entstehen.

Das Kircheninnere der 1953 erbauten Allerheiligen Kirche weist einen für das 20. Jh. typisch versachlichten Innenraum auf. Die Seitenwände sind durch 7 Wandpfeiler gegliedert. Dahinter befinden sich die Sakristei und die Werktagskapelle sowie die Emporen für die Orgel und den Chor. Eine Besonderheit ist der parabelförmige Grundriss, der den Hochaltar in seinem Brennpunkt beherbergt. Über dem Altar hängt normalerweise das Kreuz des Zeichners und Pfarrers Leo Peter, das für die Zeit der Ausstellung abgehängt wurde.

Was macht das mit dem Kirchenraum, wenn anstelle des Kreuzes ein Glaskristallball über dem Altar hängt? Dieser subversive und doch subtile Umgang mit dem Kirchenraum wirft Grundfragen auf, die der Kunsthistoriker und Galerist Dr. Friedrich W. Kasten in Bezug auf Böhmelmanns Werk folgendermaßen formulierte: “Was ist Raum und in welcher Position und damit auch Haltung zum Raum befinde ich mich als Betrachter…?” Bezogen auf sakrale Räume bekommen diese Fragen eine existenzielle Dimension, die Böhmelmann mit ihren Werken in die Kirchen trägt. Was ist kirchlicher Raum? Und in welcher Position und Haltung befinde ich mich in diesem sakralen Raum?

Einen besonderen Stellenwert in Ulli Böhmelmanns Werk Schwarm hat das Licht. Es wird zum immateriellen künstlerischen Material, das sich mit der zarten Materialität der Glaskristalle verbindet, um seine Ausdruckskraft zu entfalten. Symbolisch steht das Licht als religiöses Ursymbol für das Göttliche, das Gute und das Leben. Der Schwarm aus Glaskristallen über dem Altar kann stellvertretend für Christus als das “Licht der Welt” (Joh 8, 12) gelesen werden, der das göttliche Licht in seiner unzähligen Vielfalt reflektiert.

 

Die Ausstellung Schwarm von Ulli Böhmelmann ist noch bis zum 13.01.2019 in der KunstKulturKirche Allerheiligen in Frankfurt am Main zu sehen. Sie wird von einem Rahmenprogramm begleitet, das Predigten, Konzerte und Führungen umfasst, die von der Rauminstallation inspiriert sind.

Text: Dorothea von Kiedrowski

Bilder: Stephan Brendgen

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