Zwischen Assoziationen an konkrete Kunst und dem Aufscheinen des narrativen Potenzials von Materialien schafft Sara Förster Lichtbilder als Denkstücke. Im Blick auf die reduzierte Formsprache ihrer Arbeiten entsteht im Nachdenken über deren Entstehung eine Geschichte, die gemeinsam mit dem Raum und dem Material erzählt wird: Die Ausstellung LICHTBILD (März bis Juni 2022) rekurriert auf gotische Lichtführung und Farbräume ebenso wie Abdrücke und Experimentalaufbauten im Versuch der Dokumentation von Lichtspuren.
2021 war Sara Förster die 11. Stipendiatin der Bremischen Evangelischen Kirche, um 2022 die Ausstellung LICHTBILD in der Kulturkirche St. Stephani zu erarbeiten. Zu diesem Anlass beschäftigte sie sich erstmals mit dem Medium Glas. Die ausgebildete Fotografin schloss 2019 mit Diplom als Meisterschülerin der Freien Kunst an der Hochschule für Künste Bremen in der Klasse Intermediale Fotografie bei Prof. Rosa Barba ab. Seit 2013 stellt sie national und international ihr fotografisches und künstlerisches Werk in Gruppen- und Einzelausstellungen aus. Sie erkundet damit Abbildungs- und Formqualitäten künstlerisch kontrollierter Materialexperimente ausgehend von analogen Fotomaterialien.
Förster arbeitet mit dem Fotografischen im Sinne des Festhaltens von Licht. Dabei sind ihre lichtdokumentierenden Arbeiten abbildend und ungegenständlich. Farbstark und gleichzeitig subtil schreibt sie Werte in fotosensibles Papier ein. Das erzählerische Element erlangen solche Arbeiten durch die Nuancen in Helligkeit und Farbe, die Kontexte im Raum und in Beachtung der Entstehungsgeschichten. Im Gespräch mit der Künstlerin über ihre Ausstellung LICHTBILD entfalten sich solche Erzählungen, die in die Geschichte der Glaskunst, sakraler Lichtregie und Fotografie weisen.
GEGENWARTSKUNST IM GOTISCHEN RAUM
Im Raum von St. Stephani und in der Ausstellung LICHTBILD versammelt Förster Zeitschichten und Sinneseindrücke des Lichts: Architektonisch prägend ist die Lichtregie im gotischen Kirchenbau. Durch die Glaskunst von Erhard Mitzlaff ist auch die Moderne vertreten. Die Künstlerin suchte nach solchen Elementen für die intensive Auseinandersetzung mit den bestehenden Ästhetiken des Ausstellungsraums und seinen stilistischen Gleichzeitigkeiten.
Die in St. Stephani umgesetzten gotisierenden Architekturstile verbinden die Grundprinzipien der vertikalen Ausrichtung und der diaphanen Wand: Sie richten den Kirchenbau auf die Lichtführung hin aus. Die Pastorin der Kulturkirche Diemut Meyer, schreibt dazu im Ausstellungskatalog: „Die Gotik hat den Lichtgedanken zu Architektur werden lassen. Licht ist seinem Wesen nach transzendent und modelliert den Raum“ (Meyer 2022, 2). Das einfallende Tageslicht wird in theologischer Deutung durch die Kirchenfenster und ihre zugeschriebene Symbolik transformiert. Sonnenlicht wird zu ausseralltäglichem Licht, zu einer symbolischen “Weltverdoppelung”, die das Schöpfungslicht materialisiert und es gleichzeitig vom irdischen Dunkel trennt, wie es Thomas Erne ausführt: „[Das Licht] ist lokal gebunden an die mythische Geographie, die Ostung des Chores, und den Gefühlswert der Himmelsrichtungen, die sich am Lauf der Sonne orientieren, aber das natürliche Licht ist transformiert in ein Lichtbild, abgelöst von seiner natürlichen Quelle, das als Raumlicht aus sich heraus zu leuchten scheint.“ (Erne 2017, 132).
Sara Förster sah die Kirchenfenster in St. Stephani wie Diapositive, sagt sie im Gespräch über die Ausstellung. In den Augen der Fotografin bilden die Fenster Lichtführungen auf zweifache Weise. Durch sie wird das natürliche Sonnenlicht hindurch projiziert. Farben fallen in den Kirchenraum. Gleichzeitig entsteht im Glas eine leuchtende Fläche. Diese Fläche ist für die Fotografin und Künstlerin eines der spannenden Aspekte des Raumes, welches sie zur Grundlage ihrer künstlerischen Arbeit macht.
FORMALE STRENGE IM LICHTSPIEL
Durch die Projektion zweier Glasmobiles werden die Kirchenwände selbst zur Fläche neuer Lichtspiele. Sara Förster nutzte Overheadprojektoren als Lichtquelle, und projizierte die Mobiles und deren Reflexionen von innen auf die Seitenwände. Die
bewegten Prozesse der Überlagerungen zeigen Einschlüsse und Schatten, kreieren immer neue Farbmischungen und Lichtreflexe. Farbige Lichter wandern nun über die fensterlosen Wandausschnitte und machen die Dreidimensionalität des
Glases sichtbar, die als leuchtende Fläche von Farbfenstern meist übersehen wird.
Für das Mobile hat Sara Förster bestehende Scheiben unterschiedlicher Struktur ausgesucht. Bezugspunkt sind ihr dabei auch die nicht gestalteten Fenster in St. Stephani. Nach dem zweiten Weltkrieg war Glas rar und nach Beschädigungen wurden manche Fenster mit Klarglas gefüllt, erforschte die Künstlerin in Vorbereitung der Ausstellung. Manches Glas wurde für Kirchenfenster wiederverwendet, beispielsweise aus Gewächshäusern, berichtet mir Sara Förster. Mit ihrem Blick auf Details sind ihr kleine Unebenheiten und Farbgebunden aufgefallen. Auch die Zeit verfärbte dieses Glas.
Neben den visuellen Details trägt auch der Klang des Glases zur Erkundung seiner fragilen Materialität bei. Die Konstruktion der Mobiles lässt die Gläser zusammenstoßen. So kommen sie mal als Glöckchen und mal in zerbrechlicher Spannung zum Klingen. Der Luftzug ist technisch, bewegt von der Gerätelüftung. Zur Vorbereitung hat Sara Förster Alexander Calders Mobiles genauso studiert wie die Fenster von Chartres.
Sie hat sich dafür entschieden, in ihrem Glasmobile in Anlehung an die Formen der Fotogramme nur eckige Formen zu verwenden: Rechtecke, Rauten, Trapeze. Sie nutzt hier materiale Eigenschaften der Dinge, um Form, Bewegung und Klang zu erzeugen. Zufällig ist dabei wenig. Vielmehr wird durch zahlreiche Experimente erprobt, welche Wirkungen auftreten. Förster provoziert damit das erzählende Potenzial von Dingen, die auf den ersten Blick keines haben: Technische Geräte, zur Übertragung gedacht, werden selbst Bedeutungsträger. Fensterglas wird nicht mehr übersehen, sondern gibt als Medium Struktur und Form vor.
Lichtbild, Sara Förster, Blick auf die Fenster von Erhard Mitzlaff, Kulturkirche St. Stephani
MODERNE BEZUGSPUNKTE IN DER ARBEIT VON SARA FÖRSTER
Ein Referenzpunkt für Farbigkeit und Anordnung von Försters Arbeiten sind die kristallinen Formen der Fenster von Erhard Mitzlaff. Der studierte Architekt war Teil der deutschen Friedensbewegung und setzte sich gegen den Nationalsozialismus ein. Er kam 1946 nach Bremen und gestaltete mehrere Kirchen, so 1967 auch die Glasfenster in St. Stephani (Platt, 2017). Es sind kantige Formen, die Mitzlaff im modernen Stil der Nachkriegszeit umsetzte. In der Moderne wandelt sich die Lichtregie im Kirchenraum genauso wie die Ikonografie. Sie bringt neue Motive ein oder wird ganz durch ungegenständliche Formen abgelöst. Nach Ralf Liptau entsteht in modernen Glasfenstern eine selbstleuchtende Fläche, die das Licht bindet. Er stellt sie damit in eine Traditionslinie mit diaphanen Aufbrüchen und gotischen Fenstern (Liptau 2017, 27). Die Arbeiten von Mitzlaff sind ein Beispiel für die Gleichzeitigkeit von Motivik und Suche nach neuen Formen. Diese visuelle Spannung zwischen Motiv und Abstraktion greift Förster auf. Das sechsteilige Fenstermosaiks in St. Stephani besteht aus mehreren tausend Glasstücken.
Aus über 2.000 Farben mundgeblasenen Fensterglases der Glashütte Lamberts sucht die Künstlerin in Zusammenarbeit mit den Glasstudios Derix Stücke unterschiedlicher Tönung und Struktur für die ortsbezogenen Arbeiten von LICHTBILD aus. Mit diesen Gläsern geht sie in eine Dunkelkammer. Sie experimentiert mit unterschiedlichen Abständen zu lichtsensiblem Papier, mit Überlagerungen der strukturgebender Scheiben und Mehrfachbelichtung. Durch die Scheiben lässt sie schließlich Licht eines Farbvergrößerers fallen: Cyan, Magenta, Yellow. Durch variierende Konstellationen mischt Förster die Farben für die Fotogramme aus diesem farbigen Licht. Auf diese Zusammenstellungen verweisen die Titel der Fotogramme, wie: M 60 Y 50.
Sara Försters Technik ist die Lichtspur: Das Licht des Farbvergrößerers regelt die Farbe in diesem Experiment. Die Einschlüsse im Glas geben Formen. Der Prozess der Einwirkung des farbigen Lichts schreibt sich dabei komplementär ein: Wo mehr helles Licht auftrifft wird es dunkler. Aus Cyan wird Rot. Das Glas wird zum Negativ des Lichtbildes: Ein Fotogramm entsteht.
Die Fotogramme von Sara Förster verweisen mit ihrer Farbigkeit und Struktur zurück auf die Fenster von Mitzlaff und die Farbigkeiten des Kirchenraums. Sie dienen darüber hinaus als Orientierungspunkt für die Platzierung der Fotogramme im Raum. Vitrinen laufen entlang von Blickachsen und spiegeln so die Fenster. Mit solchen Details spielt die Künstlerin ihre Arbeiten in die Raumordnung der Kirche zurück.
Die Arbeiten von Förster sind eng an die Geschichte im Raum gebunden. Ausgehend von der Analyse der Lichtsituation in St. Stephani setzt die Künstlerin subtile Kommentare. LICHTBILD ist dabei keine mythische Geographie, keine Transformation des Sonnenlichts, das Botschaften beleuchtet. LICHTBILD zeigt technisches Licht, kontrollierte Spuren, Abdrücke und Experimente. Geworfen vom Schein des Projektors laufen diese Spuren wie Farbschatten über die Wände. In einer Kirche arbeitend schafft es Förster das Erzählerische des Raumes zu nutzen, um mit ihren Eingriffen Aufmerksamkeit auf die Wirkung des Übersehenen zu legen: Ein umgedrehter Projektor, Klarglas, Bruchstücke, Einschlüsse. In der Zusammenstellung erzeugen die Arbeiten ihre Inhalte in Relation zu verwendeten Dingen. Sie erzählen mit den Materialeigenschaften und nicht die großen Geschichten.
NACHLESEN
Erne, Thomas (2017): Mythisches Licht in den Kirchen der Nachkriegmoderne. In: Thomas Erne und Ralf Liptau: Licht. Material und Idee im Kirchenbau der Moderne, Kromsdorf: Jonas Verlag (KBI, 11), S. 129–139.
Liptau, Ralf (2017): Weg vom Fenster. Kirchenlicht als architektonische Frage in den 1960er Jahren. In: Thomas Erne und Ralf Liptau: Licht. Material und Idee im Kirchenbau der Moderne. Kromsdorf: Jonas Verlag (KBI, 11), S. 25–34.
Meyer, Dietmut (2022): Vorwort. In: LICHTBILD. Ausst. Kat. Sara Förster. Bremen.
Platt, Edwin (2017): Bibel aus Glas. Altstadt. „Erhart Mitzlaff – Künstler, Christ, Pazifist“ heißt die aktuelle Ausstellung in der Kulturkirche St. Stephani, in: Weser Kurier, 12.01.2017. www.weser-kurier.de/bremen/bibel-aus-glas-doc7e43liltq791bkvjh3q4. (Zugriff: 05/2022)
FOTOS Sara Förster
TEXT Celica Fitz
AUSSTELLUNG LICHTBILD (März bis Juni 2022, Kulturkirche St. Stephani) kuratiert von Dr. Frank Laukötter
KATALOG Lichtbild. Sara Förster (Ausst. Kat. Kulturkirche St. Stephani), Bremen 2022.
Dieser Text entstand auf Basis von Gesprächen mit Sara Förster (Künstlerin), Diemut Meyer (Pastorin, Kulturkirche St. Stephani), Bettina Pelz (Kuratorin für lichtbasierte Kunst und Mitreferierende über Sara Förster) und Celica Fitz (Kunsthistorikerin und Religionswissenschaftlerin) anlässlich eines Vortrags für die Kulturkirche St. Stephani in Bremen. Am 9. Juni 2022 war die Künstlerin Sara Förster über LICHTBILD in der Kulturkirche bei einem Vortrag im Gespräch mit Bettina Pelz und Celica Fitz. Ein Artikel über die Ausstellung wurde in der Zeitschrift kunst und kirche. Magazin für Kritik, Ästhetik, Religion (CARE 3/2022) veröffentlicht.
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