WERKSTATT WITTENBERG Sommerakademie + Ausstellung

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WERKSTATT WITTENBERG ist ein Projekt der Wüstenrot Stiftung und des EKD-Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps Universität Marburg im Rahmen des Reformationsjubiläums 2017 in Wittenberg, in Zusammenarbeit mit den Architekturfakultäten der Universitäten Dresden, Kaiserslautern und München.
 

BERICHT ÜBER DIE INTERDISZIPLINÄRE SOMMERAKADEMIE

Im Juni 2017 fand die mehrwöchige Sommerakademie und Ausstellung WERKSTATT WITTENBERG statt. In der Exerzierhalle und im Stadtzentrum in Wittenberg erforschten Student:innen der Kunst, Architektur und Theologie gemeinsam praktisch, theoretisch wie sich die Formen und Funktionen von Kirchengebäuden wandeln, um veränderten sozialen Ansprüchen gerecht zu werden. Sie erprobten in interdisziplinären Teams wie auratische Orte im Alltag in der Stadt gestaltet werden könnten.

WERKSTATT WITTENBERG: Podiumsdiskussionen und Vorträge in Kooperation mit der Wüstenrot Stiftung, 2017

VORBEREITUNG: SEMINARE IN DRESDEN, KAISERSLAUTERN, MÜNCHEN UND MARBURG

Im Sommersemester 2017 entwickelten die Architekturstudent:innen der Technischen Universitäten in Dresden, Kaiserslautern und München Projekte für Umwandlungen und Umbauten von Kirchengebäuden. Sie wurden betreut von Prof. Dr. Hannelore Deubzer, Bettina-Maria Mueller und Marie Bauer (TUM, Lehrstuhl für Raumgestaltung und Lichtgestaltung) Prof. Dr. Thomas Will und Franziska Herborn (TUD, Lehrstuhl für Denkmalpflege und Entwerfen) und Prof. Dr. Dirk Bayer, Daniel Berger und Team (TUK, Lehrstuhl für Methodik des Entwerfens und Entwerfen). Dabei entwickelten sie standortspezifische, unterschiedliche Ansätze, sich dieser Frage zu widmen: Manche waren eher an Fragen des Denkmalschutzes historischer Bauten orientiert, an Umbau und Innovation von kleineren Dorfkirchen der 1960er bis -70er Jahre oder an Veränderungen der Plätze und Baugefüge um prominente Kirchen im Stadtzentrum. Als Ausgangspunkt der studentischen Entwürfe dienten jeweils bestehende Kirchengebäude, welche von den Student:innen besucht und untersucht wurden: Die mehrfach umgenutzte Lukaskirche in Dresden, die Nachkriegskirchen im Ludwigshafener Stadtteil West und der Wollmersheimer Höhe (Landau) sowie St. Lukas an der Isar in München-Lehel. Alle Entwürfe vereinen die Auseinandersetzungen sowohl mit ortsspezifischen und städtebaulichen Grundlagen als auch die Frage nach angemessenen architektonischen Reaktionen auf soziale und stadträumliche Wandlungsprozesse.

WERKSTATT WITTENBERG: Entwurfspräsentation, Exerzierhalle, Wittenberg, 2017

VERGEMEINSCHAFTUNG AUF ZEIT: EXPERIMENTELLE ENTWICKLUNG VON MODELLEN

Zeitgleich diskutierten Student:innen der Theologie und Kunst und Kunstgeschichte am KBI in Marburg über aktuelle Formen der Vergemeinschaftung auf Zeit im Stadtraum: Was macht Aufenthaltsqualität in der Stadt aus? Welche Räume braucht es für Austausch und Kommunikation? Welche Potenziale gibt es in der Innenstadt von Wittenberg? Die Student:innen entwarfen erste Pläne für temporäre Interventionen für die Wittenberger Innenstadt. Das Seminar wurde vom Direktor des KBI Prof. Dr. Thomas Erne und der Kunsthistorikerin und Religionswissenschaftlerin Celica Fitz betreut. Diese unterschiedlichen modellhaften Entwürfe wurden in einem Prozess gegenseitigen Befragens und Austausches über räumliche, liturgische und bauliche Erfordernisse in der Exerzierhalle präsentiert und im vor Ort aufeinandertreffenden, interdisziplinären Team diskutiert.

WERKSTATT WITTENBERG: Stegreif, Diskussion am leerstehenden Ladenlokal in der Innenstadt, Wittenberg, 2017

EINBLICKE IN NEUBAUPROJEKTE UND GESPRÄCHE MIT EXPERT:INNEN

Die Besichtigung historischer Gebäude in Wittenberg und eine Führung von Prof. José Marquez (Architekturbüro Bruno Fioretti Marquez) durch das neue Predigerseminar und den Umbau an der Schlosskirche sowie die Preisträger-Ausstellung der Wüstenrot Stiftung zum Thema “Zukunft von Kirchengebäuden” bereicherten das Sommerakademie-Programm.

Drei Nachmittags-Workshops mit Architekten aus dem Bereich “Umbau von Kirchen” vertieften den Austausch um Vorträge über ihre gebauten und geplanten Projekte: Darunter Peter Brückner (Brückner & Brückner Architekten), Gido Hülsmann und Dirk Boländer (soan Architekten) und Ansgar Schulz (Schulz und Schulz Architekten). Podiumsdiskussionen mit Expert:innen der Architekturgeschichte und des Denkmalschutzes, moderiert von Dr. Stefan Krämer (Wüstenrot Stiftung) gaben Einblicke in Umnutzungen, Spiritualität und Raum sowie religiöse Transformationsprozesse.

WERKSTATT WITTENBERG: Ausstellung in der Exerzierhalle, Wittenberg, 2017

Die Architekten und die Gäste der Podiumsdiskussionen blieben jeweils über den Nachmittag in der Exerzierhalle: So war es eine besondere Freude und Herausforderung für die Architekturstudent:innen, ihre Entwurfspräsentationen auch vor diesen Expert:innen zu halten und sich das Feedback zu ihren Kirchenumbauten und Modellen aus der Praxis einzuholen.

Zum Abschluss der WERKSTATT WITTENBERG, fand eine Jurierung der studentischen Entwürfe durch Expert:innen statt. Die Preisverleihung stand unter der Schirmherrschaft der Wüstenrot Stiftung und Dr. Stefan Krämer. Dabei hatten jedoch neben der professionellen Jury auch die Student:innen selbst in eigenen Jurygruppen Mitsprache.

WERKSTATT WITTENBERG: Material aus dem Stegreif: Alltag und Aura, Wittenberg, 2017

ZUSAMMENARBEIT: EINE SPRACHE FINDEN + EIN MODELL UMSETZEN

Den Student:innen wurde  in der gemeinsamen Woche eine ortsspezifische Aufgabe gestellt, welche ebenso die angehenden Architekt:innen wie Geisteswissenschaftler:innen und Pfarrer:innen forderte: Im Rahmen des Stegreif-Projekts “Alltag und Aura – Orte der Andacht in der Stadt? Suche & Experiment” wurden im Stadtraum vier auratische Orte von Student*innen identifiziert und neu sichtbar gemacht: Zwei leerstehende Ladenräume, ein Schrebergarten am See und der Flur und Hofdurchgang eines Wohnhauses sollten zu Orten auratischer Transformation entwickelt werden. Die Kulturwissenschaftlerin Annette Plaz organisierte die Werkstatt vor Ort und ermöglichte es den Student*innen an den auratischen Orten in der Innenstadt arbeiten zu können. Die Ideenfindungen wurden vom Berliner Künstler Benjamin Zuber unterstützt, der die Teams während der Werkstatt begleitete.

WERKSTATT WITTENBERG: Pause in der Kulturbotschaft, Wittenberg, 2017

In wenigen Tagen entwickelten sich Ideen an und für die Orte: Pläne wurden gemacht, diskutiert, verworfen, neukonzipiert und umgesetzt, manchmal in unterschiedlicher Reihenfolge.  Material, von Sprühdose über frittierte Ente und Plastikliegestuhl bis hin zur Nebelmaschine, wurde von benachbarten Läden in der Innenstadt geliehen oder erworben und in Installationen und Performances verarbeitet. In den wenigen Tagen vor Ort entstand ein Netz aus Kontakten. Vielmehr als das Resultat, war der Prozess das Ziel der Aufgabe: Es musste eine gemeinsame Sprache gefunden werden, eine Arbeitsweise im Team entwickelt werden und schließlich ein sichtbares Resultat entstehen, mit dem sich alle Teammitglieder ansatzweise identifizieren konnten. Dafür wurde lange bis in die Sommernächte debattiert und ein kreatives Potenzial entfesselt, das alle überraschte. Es wurde nach lokalen  Besonderheiten und persönlichen Geschichten der Bewohner:innen von Wittenberg gefragt und viel über die historische Entwicklung des Vereinswesens, der Brunnenanlagen und die politischen Dimensionen des Gärtners gelernt.

WERKSTATT WITTENBERG: Stegreif im Schrebergarten, Suche nach Naturansichten, Wittenberg, 2017

Am Ende der gemeinsamen Woche und des wittenbergspezifischen Stegreif stand eine öffentliche Präsentation der auratischen Orte und ihrer Neuaneignung in Form eines öffentlichen Spazierganges. Zu den Workshopteilnehmer:innen gesellten sich schnell Tourist:innen und einige der kennengelerten Wittenberger:innen, die ihre Stadt neu präsentiert bekamen: In einem Laden wurden die Spuren der ehemaligen Nutzung und des Zerfalls dokumentiert und der Leerstand im Zentrum so zum Blickfang, im Garten am Fluss wurde ein Sitzplatz mit idylischem Blick variantenreich in Szene gesetzt, im Hausflur und Treppenhaus wurden zwei Raum- und Klanginstallationen über Wege und Geräusche des Durchgangs präsentiert und ein leerstehender Laden mit Passant:innen umgestaltet, um gemeinsame Frühstücksmahle zu zelebrieren.

WERKSTATT WITTENBERG: Stegreif und Stadtspaziergang, Wittenberg, 2017

ZUSAMMEN GEDACHT

Die WERKSTATT WITTENBERG widmete sich einerseits den aktuellen Fragen und Umnutzungen von Kirchen und zukunftsfähigem Sakralbau, untersützt durch zahlreiche Beiträge über innovative Bauprojekte von Architekt*innen und Reflexionen von Wissenschaftler*innen. Andererseits war es das Anliegen des interdisziplinären Lehr- und Lernmodells, mit den Student*innen als zukünftigen Nutzer*innen und Gestalter*innen eine gleichberechtigte Ideenentwicklung hin zu einem Entwurf oder einer gemeinsamen Performance zu erproben.

WERKSTATT WITTENBERG = TEAMWORK

Allen Teilnehmer*innen, Organisator:innen, Referent:innen, Unterstützer:innen und Gästen sei an dieser Stelle nochmals herzlich für Ihr Engagement und Ihre Beiträge, Kritiken, Modelle, Lehre und das gemeinsame Lernen in der WERKSTATT WITTENBERG und der darauffolgenden weiteren Auseinandersetztung mit den entstandenen Thesen gedankt.

WERKSTATT WITTENBERG: Eindrücke auf Facebook: facebook.com/AlltagundAura/

Zum Abstract der Werkstatt Wittenberg.

PUBLIKATION: WERKSTATT WITTENBERG

WERKSTATT WITTENBERG. Labor zum Kirchenbau der Zukunft (KBI 12)

Danke für die Bereitstellung der Fotos: Annette Plaz, Dirk Bayer, Bettina-Maria Mueller, Marie Bauer.