Spielräume des Glaubens

Zur Bedeutung des Spiels für die Praktische Theologie von Thomas Erne

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1. Spiel in der Praktischen Theologie

1.1. Einleitende Bemerkung

“Denn um es endlich auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“[1] Es liegt nahe beim Thema „Spiel“ mit dem berühmten Zitat aus Schillers Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen zu beginnen. Allein der Hinweis auf Schiller führt nicht weit, wenn man nach der „Bedeutung des Spiels für die Praktische Theologie“ fragt. Schillers Versuch seinen „abgebrochenen Zusammenhang mit dem theologischen Erbe Schwabens und die Bestimmtheit seines Denkens durch die Aufklärung“[2] auf ästhetischem Wege, im Spiel der Imagination, zu versöhnen, entfaltet in der Theologie allenfalls eine subkutane Wirkung. Carl Immanuel Nitzsch[3] behandelt in seiner Praktischen Theologie unter dem Stichwort „Spiel“ nur das gespannte Verhältnis des christlichen Cultus zu den vergnüglichen Volksfesten. Auch bei anderen Autoren macht sich nicht Schillers Spielbegriff, sondern die platonischen Gegenüberstellung[4] von heiligem Ernst und kindlichem Spiel bemerkbar. So etwa bei Sören Kierkegaard[5], dessen Betonung des Ernstes der religiösen Existenz zur Kritik der Unverbindlichkeit des ästhetischen Spiels führt. Und in der Frömmigkeitsgeschichte ist nicht die Spielfreude der Sophia stilbildend, der Weisheit, die zu Füßen des Schöpfers mit den Möglichkeiten der Schöpfung spielt, sondern das Spiel als Laster, das den breiten Weg zur Hölle säumt.

1. 2. Zum Stand der Forschung

Um so mehr erstaunt, wie intensiv in der Praktischen Theologie gegen Ende des 20. Jahrhunderts der Spielbegriff rezipiert wird. Henning Schröer betont im Artikel „Ästhetik“ der TRE die Bedeutung des Spiels im Anschluss an Gadamers Hermeneutik und sieht das praktisch-theologische Interesse am Spiel im „Freiraum der Kunst“ begründet, die den „homo ludens kritisch gegen die Verabsolutierung des homo faber setzt“.[6]
Bedeutsam wird der Spielbegriff[7] für die Religionspädagogik[8]. „Spiel des Lebens“ ist die pädagogische Leitmetapher im Lexikon religionspädagogischer Grundbegriffe: „Das Kind spielt sich ins Leben hinein“. Die Religionspädagogik sinnt daher auf Förderung des Spiels, „sofern sie Religion als dessen Inbegriff versteht.“[9] Nach Dietrich Zilleßen kann die „Didaktik und Methodik des Religionsunterrichts sinnvolle Lernprozesse anregen, wenn sie dem Spiel des Lebens entsprechen.“[10]
In der Erwachsenenbildung werden mimetischer Prozesse „als eine Möglichkeit der Teilhabe an Wirkung und Inhalt der Heiligen Schrift“[11] aufgegriffen. Samuel Laeuchli[12] übersetzt im mimetischen Spiel mit biblische Figuren[13] die Texte der Bibel in den je eigenen leibhaften Nachvollzug. Psycho- und Bibliodrama aktualisieren nicht nur die genaue semantische Bedeutung biblischer Texte, sondern „Dinge, die durch die Geschichte zunächst verborgen sind“. Das mimetische Spiel erschließt einen Raum von Sinnvarianten, von „Strömungen, welche unter der Geschichte laufen“. In einer „radikalen Synchronizität“ mit den biblischen Texten soll in den Akteuren eine leibhafte, geistgewirkte „Bewegung ihres Glaubens“[14] angestoßen werden.
In der Seelsorge, die sich gegenwärtig „auf dem Weg zu einem Paradigma interaktiver Seelsorge“[15] befindet, spielt die „therapeutisch-korrigierende Dimension des Spiels“[16] eine Rolle, auf die Gerhard Marcel Martin aufmerksam gemacht hat. Wenn sich das Kind ins Leben hineinspielt, dann hat das „sehr weite Spektrum von Spiel zur Beförderung der Personen-, Selbst- und Gegenstandswahrnehmung bis zu Interaktionsspielen … einen diagnostischen Wert“ für die Genese des religiösen Bewusstseins. Im Spiel kann an „verschüttete oder nie voll zugelassene Wahrnehmungen“ angeknüpft werden. Die spielerische „Regression im Dienstes des Ich“ dient der kritischen Aufarbeitung und Begleitung der eigenen religiösen Sozialisation.
In der katholischen Tradition ist die Erinnerung an die Liturgie als einem heiligen Spiel präsent. Für Romano Guardini ist das innerste Wesen der Liturgie „vor Gott ein Spiel zu treiben, ein Werk der Kunst – nicht zu schaffen, sondern zu sein.“[17] Odo Casel sieht in der Liturgie ein „heiliges Spiel, das von Gott eingerichtet ist und in dem der einzelne ´in persona Christi agere`, also die Heilstat Christi spielend-handelnd nachvollziehen soll.“[18] In der modernen Liturgiewissenschaft, ich nenne stellvertretend A. Schilson, Karl-Heinz Bieritz, Ulrike Suhr[19], wird der Gottesdienst als Drama und der liturgischen Ort als Spielraum konzipiert. Michael Meyer-Blanck[20] redet von der „Inszenierung des Evangeliums“ im Gottesdienst und von der „liturgischen Präsenz“ der Prediger. Allen gemeinsam ist, dass sie Aspekte des Schauspiels in die Bemühungen um eine Erneuerung der Agende einfließen lassen. In der Homiletik sieht Wilfried Engemann[21] die Predigt als einen Spielraum, in dem zwei Spielebenen, die der Inszenierungspraxis Jesu und die der gegenwärtigen Hörer miteinander verschränkt werden, während G.M. Martin, H. Schröer, Karl-Heinz Bieritz[22], im Anschluss an Umberto Eco, die Frage nach der Predigt und dem Gottesdienst als einem „offenen Kunstwerk“ aufwerfen.

1. 3.Theologiegeschichtlicher Index des Themas

An welchem Punkt der Entwicklung der Praktischen Theologie setzt eine solche Rezeption des Spiels[23] ein? Welchen theologiegeschichtlichen Index trägt das Interesse mit dem Spielbegriff die Imagination[24] in den praktisch-theologischen Handlungsfeldern zu rehabilitieren? Ein Interesse, das sich im Übrigen nicht auf die Praktische Theologie beschränkt[25].
Dazu eine Szene aus Tom Sawyer von Mark Twain[26]: An einem strahlenden Samstagmorgen sitzt Tom Sawyer vor Tante Pollys Haus. Der Sommer summt, der Fluss ruft, die Welt ist voller Verheißungen. Nur nicht für Tom. Diesmal hat seine Tante Polly triumphiert. Diesmal halfen keine Ausreden, keine Tricks.
Nur wenn der ganze Zaun gestrichen ist, kann Tom erlöst werden. Da naht der erste Freund auf dem Weg zum Fluss. Aber nicht irgendwie, sondern er kommt ins aufregende Spiel vertieft als Personifikation eines Mississipi-Schaufelraddampfers. „Ling-aling-ling! Stopher, sir! Chow-ch-chow-chow. Stop her. Down with the engines. Stand by that stage now. Ling-a-ling-a-ling.“ – „Tödlich langweilig?“ fragt der Freund. In diesem Augenblick hat Tom eine Eingebung. Konzentriert führt er den Pinsel in den Eimer, streicht langsam und hingebungsvoll an der ersten Zaunlatte. Der Freund fragt noch einmal: „Hat dich Tante Polly doch noch drangekriegt?“ Da erwacht Tom wie aus einem tiefen Schlaf: „Oh, ich habe dich überhaupt nicht bemerkt!“ – „Ich geh schwimmen, habe ich gesagt, aber du kannst ja wohl nicht mit. Du musst arbeiten.“ – „Arbeit, welche Arbeit?“ erwidert Tom. „Was? Ist das etwa keine Arbeit diesen endlose langen Zaun zu streichen?“ fragt der Freund. „Mag sein oder auch nicht. Ich weiß nur, dass die Aufgabe Tom Sawyer wie angegossen passt.“ – „Hör auf! Du willst mir doch nicht weiß machen, dass es dir gefällt.“ Der Pinsel streicht langsam und hingebungsvoll weiter. „Gefällt? Warum sollte es mir nicht gefallen. Schließlich hat ein Junge nicht jeden Tag die Gelegenheit einen ganzen Zaun zu streichen.“ Das wirft ein völlig neues Licht auf die Angelegenheit. Der Freund wird neugierig. „Lass mich mal“, bittet er Tom. „Tut leid, Ben. Ich will dich ja nicht beleidigen, aber es geht nicht!“ sagt Tom, „Die Verantwortung ist zu groß. Tante Polly lässt doch nicht jeden an ihren Zaun.“ Da ist der Freund gefangen. Er bittet. Er bettelt. Er ist bereit alle seine Schätze zu geben für das Vergnügen den Zaun zu streichen. Schließlich gibt ihm Tom den Pinsel weiter „with reluctance in his face, but alacrity in his heart“. Und nicht nur Ben. Eine ganze Stafette von Freunden gibt er den Pinsel weiter. Selig und beglückt sind sie alle über die Größe und Bedeutung der Aufgabe, die sie an diesem Morgen an Tante Pollys Zaun gemeistert haben. Währenddessen lagert sich Tom im paradiesischen Schatten eines nahegelegenen Baumes. Er verbringt eine „idle time“ mit den Schätze, die ihm seine Freunde dafür bezahlten, dass er sie am Zaun arbeiten ließ.
Nach meinem Eindruck ähnelt die Situation der Praktischen Theologie am Ausgang des 20. Jahrhunderts der Tom Sawyers. Aber nicht wie er unter dem Baum sitzt, sondern am Zaun. Denn, wie Karl-Heinrich Bieritz formuliert: „Der Himmel über der liturgischen Szene wird blass, verliert an Farbe“[27]. Was Bieritz mit diesem Bild aufgreift, ist die Routine und Konventionalität der gottesdienstlichen Formen. Es mangelt ihnen an Lebendigkeit, an Intensität und Präsenz[28]. Symptome, die sich nicht durch modische neue Farbanstriche kurieren lassen. Wohl aber durch Schritte „auf dem Weg zum gottesdienstlichen Erleben, die vorbreitet, gelernt werden können“[29]. Und zwar Schritte, die ein Prediger auch im imaginativen Spiel der modernen Gegentextwelten lernen könnte. Der „Mississipi-Dampfer“ steht heute im Kino[30], auf dem Theater, in der zeitgenössischen Kunst[31], in der Literatur und den öffentlichen Zeichenwelten der neuen Medien. Dort werden große Geschichten erzählt, so, dass sie die Menschen überraschen und verwandeln. Dort gelingt in selten Augenblicken, dass sogar die Geschichten, die eigentlich ins Repertoire der Theologen gehört, auf eine spannende, lebensnahe Weise zur Aufführung kommen.
In dieser Situation legt es sich nahe von Tom Sawyer zu lernen. Was ist denn die Eingebung, die es ihm möglich macht seine Freunde aus den aufregenden Spielen, mit denen sie beschäftigt sind, herauszulocken an den endlosen Zaun? Es ist die Einsicht, dass etwas, wenn es so bestimmt erscheint wie der Zaun – nichts als streichen, streichen, streichen – nur dann attraktiv wird, wenn an ihm etwas bisher Unentdecktes entdeckt wird: eine ungeheure Verantwortung, eine bedeutende Aufgabe, eine seltene Gelegenheit. Und dazumuss die Bestimmtheit des Zauns wieder unbestimmt, gleichsam konjunktivisch werden. Könnte nicht mehr und anderes dahinter sein als nur ein mechanischer Akt? „Unbestimmtheit“ so der Philosoph Hans Blumenberg, „ist vielleicht die letzte Chance einer Idee, Macht über die Geister zu behalten“[32]. Zwar liegt es nicht in Reichweite des christlichen Gottesdienstes „Macht über die Geister zu behalten“, aber die breite Rezeption des Spielbegriffs deutet doch darauf hin, dass die Praktische Theologie ihren Themen in der Moderne eine Chance verschafft, wenn es ihr gelingt, das scheinbar „unabänderlich Gleiche“[33] ihrer Ausdrucksformen, die vertrauten Ordnungen der Liturgie, die ehrwürdigen Texte der Predigt im Spielraum neuer und noch unentdeckter Möglichkeiten zu sehen.

2. Spielräume des Lebens

2.1. Schöpfung als Spielraum
Eine erste Annäherung an die Bedeutung des Spiels für die Praktische Theologie bietet das Stichwort Karl Barths von der „Schöpfung als Spielraum des Lebens“[34]. Nach Barth kommt in der Schöpfung zwar immer der Schöpfer zuerst, aber dann auch das Geschöpf in seinem „eigenen Weg und Lauf zum Zuge“[35]. Um aber zum Zuge und ins Spiel zu kommen, und zwar nicht in irgendetwas Fremdem, sondern im Eigenen, bedarf es gewisser Vorgaben. Kein Spiel kann beginnen ohne Rahmen, ohne eine Bühne, auf der nur dann gespielt werden kann, wenn mit ihr selbst nicht gespielt werden muss. Zwar ist im Spiel alles möglich, aber nur wenn nicht alles auf dem Spiel steht. In diesem Sinn leistet Schöpfung als Raum die elementare Abwehr eines namenlosen Chaos, in dem kein Spiel mehr möglich wäre[36].

2.2. Welt der Namen

Inbegriff dieser elementaren Abwehr ist der Paradiesgarten in der Schöpfungsgeschichte und zwar nicht als Ort der Arbeit, der Kultivierung der rohen Natur in Gen 2, 15, sondern als Ort, an dem alles seinen Namen hat, also das Paradies in Gen 2, 19-20: „Dann brachte er [Gott] sie [die Tiere] zu dem Menschen, um zu sehen, wie er jedes Einzelne nennen würde; denn so sollten sie heißen. Der Mensch gab dem Vieh, den wilden Tieren und den Vögeln ihre Namen.“
In diese Welt der Namen, der vertrauten Differenzen, werden wir hineingeboren. Sie ist Schöpfung in dem Sinn, dass wir für diese Welt elementarer Festlegungen, ohne die wir nicht leben könnten, nicht aufkommen können, und auch nicht aufkommen müssen. So wie die Sprache vor unserem Sprechen ist, so finden wir uns in einer Welt voller Regeln, Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen vor, die da sind, bevor wir sind. Sie helfen uns, dass wir uns im Leben orientieren. Und wir passen uns ihren Ordnungen an, nicht aufgrund bewusster Entscheidung, sondern aufgrund von Gewöhnung, aufgrund von mimetischen Prozessen, von learning by doing.

2.3. Akkommodation oder Assimilation

Die Aufgabe eines bewussten Lebens – und damit beginnt erst das eigentliche Spiel – könnte man nun so beschreiben, dass wir uns eine eigene Welt schaffen müssen, obwohl schon eine Welt besteht – wir uns also nicht nur den vorhandenen Strukturen anpassen, sondern sie in einem kreativen Akt auch aneignen. Oder um eine Unterscheidung Piagets zu benutzen, die durch Gerhard Marcel Martin[37] Eingang in die praktisch-theologische Analyse des Spiels gefunden hat: Das Spiel beginnt damit, dass wir uns nicht nur den Schemata der vorgegebenen Weltvertrautheit akkommodieren, sondern diese assimilieren.
Akkommodation passt sich dem Vorhandenen an. Assimilation dagegen sucht das Vorhandene sich zueigen zu machen, indem sie das Vorhandene im Horizont seiner Möglichkeiten neu und anders sehen lernt. Denn nur im Horizont der Möglichkeiten besteht die Chance, dass das Gegebene mehr ist als eine Vorgabe und es zu meinem Eigenen werden kann, ich darin „auf meinem Weg und Lauf“, und nicht auf den Wegen, die andere vor mir gegangen sind, „zum Zuge komme“.
Dazu aber muss etwas von dem, was im Bild des Paradiesgartens ausgegrenzt wurde, etwas vom Chaos, vom Tohuwabohu – was soviel bedeutet wie: gähnender Abgrund, Finsternis, Leere im Sinn von Gestaltlosigkeit[38] – wieder zugelassen werden. Gleichsam als Kehr- und Schattenseite gehört zu Schöpfung als Spielraum das Chaos. Das ist übrigens nach Freud der Grund für ein untilgbares „Unbehagen in der Kultur“[39].
Der Weg ins Eigene führt nun aber über das Chaos. Die chaotische, ungestaltete Unbestimmtheit ist das schöpferische Medium des Spiels wie der Kunst. Die positive Bedeutung des Chaos, ein Wärmepol des Noch-Nicht-Gestalteten, betont ein Künstler wie Joseph Beuys[40]. Chaos ist die Negation des Vorhandenen, damit überhaupt etwas Neues entstehen kann. Aber es ist nicht das Tohuwabohu, nicht das Chaos der namenlosen Unbestimmtheit, das wieder zugelassen werden muss. Es würde in seiner schockartigen Wucht jede bewusste Lebensführung überfordern. Es ist die durch den Spielraum, durch die Bühne begrenzte und bestimmte Unbestimmtheit[41]. Indem manches auf dieser Bühne auf sich beruhen kann und darf, eröffnet sie die Freiheit, vieles spielerisch zu verändern und zu verwandeln.

2.4. Spielraum als Mitgegebenes, nicht Vorgegebenes

Welt als Schöpfung, als Spielraum des Lebens zu interpretieren, bedeutet nun nicht zwingend die Vorgabe der Schöpfung, im Sinn der von Gott gesetzten Grenzen menschlicher Freiheit, als eine feststehende Schöpfungsordnung zu verstehen. Denn das, was wir voraussetzen können und müssen, um überhaupt zu spielen, ist seinerseits bedingt und abhängig von dem, was im Spiel ist. Dass es Vorgaben des Spiels gibt, die nicht ihrerseits Gegenstand des Spielens werden können, besagt nur, dass es in jedem Spiel einen blinden Fleck gibt. Zwar ist im Spiel prinzipiell alles möglich, aber eben nicht alles auf einmal. Ich kann selbst den Spielraum und seine elementare Unterscheidung von Innen und Außen zum Gegenstand des Spiels machen und spielerisch die Grenzen von Innen und Außen auflösen. Aber selbst dann nehme ich etwas in Anspruch, das nicht im Spiel ist, sondern mein Spiel im Hintergrund begleitet, etwa, dass überhaupt etwas ist und vielmehr nicht Nichts. So wie in einem Gespräch nicht beliebig viele Rückfragen gestellt werden können, obschon im Prinzip alles hinterfragt werden kann, ist auch das Spiel begrenzt durch endliche Ressourcen, etwa durch die Ökonomie unseres Umgangs mit der Zeit.
In diesem Sinn ist Schöpfung als Spielraum des Lebens nicht ein unabänderlich Vorgegebenes, sondern ein beständig Mitgegebenes. Eine Art Rückendeckung des Spiels, die sich in Abhängigkeit von dem, was gerade im Spiel ist, verschiebt und verändert[42].

2.5. Selbsttranszendenz und Sinnunerschöpflichkeit des Lebens

Aber warum müssen wir überhaupt spielen, in diesem Raum von Mitgegebenem, der einer Interpretation als Schöpfung zugänglich ist? Können wir nicht die Erfüllung der menschlichen Existenz darin sehen, dass wir uns nahtlos einpassen in die bewährten Ordnungen dieser Welt? Können wir uns nicht damit begnügen, die guten Gebote Gottes zu befolgen und in uns die allgemeinen Merkmale der menschlichen Gattung auszubilden? Warum überhaupt „das Eigene entfalten“[43] und nicht im Gegebenen aufgehen?
Das Motiv zum Spielen, es nicht bei der Akkommodation in vorgegebene Lebensformen zu belassen, hat mitdem zu tun, was Paul Tillich[44] „die Selbsttranszendenz des menschlichen Lebens“ bezeichnet hat. Der Grund für dieses Selbsttranszendenz liegt nach Tillich in der „Unerschöpflichkeit“[45] von Sinn, also darin, dass keine der Formen, in denen wir leben, den ganzen Sinn vollständig zur Darstellung bringen kann. Es gibt in allen Lebensformen der menschlichen Kultur „ein Reservoir des Rohen, Ungeformten, Unreifen“[46]. Einen unausgeschöpften Sinn, das Noch-Nicht-Gesagte im Gesagten, aus der sich der Antrieb zu spielen nährt. Gelänge es dieses Reservoir an ausstehenden Sinn zu erschöpfen, dann allerdings wäre das Spiel aus. Aber solange die Möglichkeiten über die Wirklichkeit hinausschießen, stehen alle Lebensformen in der Spannung von “schon jetzt” und “noch nicht”. Es sind feste Formen, in die wir hineinwachsen, und die wir brauchen, um uns im Leben zurecht zu finden. Und es sind feste Formen, mit denen wir zugleich beständig spielen, sie variieren, verwandeln und überschreiten müssen, um in ihnen nicht das Gefühl zu haben zu erstarren.

2.6. Spiel mit Lebensformen

Diese Doppeldeutigkeit – einerseits brauchen wir feste Formen um zu leben und andererseits müssen wir sie spielerisch variieren und überschreiten, um in ihnen lebendig zu bleiben – betrifft nun alle Rituale unseres Alltags, die Liturgien des Aufstehen und Ins-Bett-Gehen, die Formen des gemeinsamen Essen, die einspielten Routinen zwischen Paaren, die öffentlichen Umgangsformen der Höflichkeit. Diese Doppeldeutigkeit betrifft auch die hervorgehobenen religiösen Rituale, etwa die Liturgie des Gottesdienstes. Auch die Liturgie des Gottesdienst ist einerseits, wie Manfred Josuttis sagt, der „Weg in das Leben“[47], der durch die Wiederkehr fester Formen vor einem Übermaß an Neuem und Fremden schützt. Aber der Gottesdienst kann auch eine Sackgasse sein, in der das Leben erstarrt und seine kreativen Impulse versanden.
Für die Rituale des Alltags wie die des Sonntags kommt es deshalb darauf an mit ihnen auch zu spielen und das heißt, das Gegebene hinter sich zu lassen, um es aus den noch unentdeckten Möglichkeiten heraus neu zu erfinden. Dass es sich bei den Formen des christlichen Gottesdienstes um einen „Fortschritt im Selben“[48] handelt und das Ergebnis der spielerischen Verwandlung nicht notwendig zu liturgischen Experimenten führt, darf die Dramatik dieses Vorgangs nicht verdecken. Man muss bereit sein alles aufs Spiel zu setzen, um das Gegebene als das Eigene sagen zu können. So wie jeder Schauspieler sich ganz an seine vorgegebene Rolle entäußert und doch in ihr sich selbst werden soll, so dass kein Faust dem anderen gleicht und „jeder Hamlet ein neuer Hamlet ist[49], so muss der Liturg sich ganz in die Form des Gottesdienst hineinbegeben und sie zugleich inszenieren, als ob er sie in diesem Moment ganz als sein Eigenes erfindet. Gespielt wird so jeden Sonntag dasselbe Stück, aber wenn es gut gespielt wird, ist es jedes Mal anders – als ob der Liturg nicht weiß, wie es am Ende ausgehen wird.
Die Bewegung, die dabei im Spiel entsteht, ist die einer immanenten Transzendenz. Sie bricht nicht von einem Punkt ober- oder außerhalb in die Endlichkeit ein, noch bricht sie ohne weiteres in den erstarten Formen des Lebens einfach von selber auf[50]. Die transzendierende Bewegung des Spiels bedarf vielmehr einer gewissen Bereitschaft und Übung, sich auf riskante Prozesse der Veränderung und Verwandlung einzulassen, also sich zu entäußeren und darin das Eigene zu entdecken. Eine Haltung, die eine große innere Nähe zum Gebet hat.

2.7. Das Zusammenspiel von Gesetz und Evangelium

Zwischen der immanenten Transzendenz einer Dialektik von „alt“ und „neu“, in der Lebensformen eingegangen und zugleich überschritten werden, und der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, in deren Horizont sich protestantische Bildung alltagspraktisch formiert, sehe ich gewisse Familienähnlichkeiten.
Gesetz wäre, bezogen auf elementare Lebensformen, der Hinweis auf den Sachverhalt, dass das Leben fester Formen bedarf. Jedes Überschreiten alter Lebensformen im Horizont neuer Möglichkeiten tendiert deshalb wieder zu konkreten Ausdrucksformen. Die Bewegung des Spiels mit einmal erreichten Sinnformen führt nicht zu einem Traditionsabbruch, sondern hat den Charakter eines „Traditionsaufbruchs“[51]. Gesetzlich wäre dagegen sowohl die Weigerung einem einmal erreichten Ausdruck des Glaubens zu überschreiten, wie auch die Weigerung sich erneut festzulegen. Ein Eskapismus der Transzendenz, der das Konkrete im eigenen Leben scheut.
Und Evangelium wäre hingegen der Hinweis auf die Bewegung ins Offene, die Freiheit sich spielerisch im Raum neuer Möglichkeiten zu bewegen und die alten Formen des Glaubens zu verwandeln, aber auch die Freiheit sich im Überschreiten wieder auf einen konkreten Ausdruck zu einzulassen[52].

3. Spiel mit Symbolen

3.1 Spiel mit religiösen Symbolen

Eine zweite, christologische Annäherung an das Thema Spiel für die Praktische Theologie bietet das Stichwort „Spiel mit Symbolen“ von Wolfhart Pannenberg. Während es im schöpfungstheologischen Teil um das Spiel mit Lebensformen und den Ritualen des Alltags wie des Sonntags ging, also um die Frage nach dem Spiel in der Liturgie, möchte ich im zweiten Teil der Frage nachgehen, ob es auch ein Spiel mit den religiösen Symbolen und Metaphern selber gibt und geben muss. Ein Spiel also am Ort der Predigtarbeit, und zwar nicht nur aus äußerlichen Gründen[53], weil für uns „der Himmel über der liturgischen Szene, aber auch über den biblischen Texten blass geworden ist“, sondern weil die innere Struktur des christlichen Gottesgedanken zum Spielen anleitet.

3.2 „Empty Space“

Im Neuen Testament wird uns erzählt, dass die offenbare Kenntlichkeit des Heils in der Person Jesu unseren Blicken wieder entzogen wird. Der Sohn als leibhafte Person geht – dies ist die Pointe der Himmelfahrtsszene – damit der (Sohn als) Geist kommt. Ich möchte diese christologische Figur von „Anwesenheit durch Entzug“[54] mit dem Konzept von „empty space“ vergleichen, das Peter Brook[55] für das Theater entwickelt hat.
Nach Brook muss, „damit ein Ereignis von bestimmter Qualität stattfinden kann, ein leerer Raum geschaffen werden. Ein leerer Raum erlaubt das Entstehen von etwas Neuem, denn alles, was mit Inhalt, Bedeutung und Ausdruck zusammenhängt, erwacht erst zum Leben, wenn es als unverbrauchte und neue Erfahrung geschieht.“[56] In diesem Sinn wird im Bild von der Himmelfahrt Christi das Leerwerden des christologischen Bedeutungsraums[57] geschildert. Ein Wieder-Unbestimmt-Werden der Bestimmtheit des Heils in Christus, das einen Spielraum der Variationen eröffnet, in dem erst das in Christus extra nos konstituierte Heil im Heiligen Geist in nobis wirken kann. Denn erst im Entzug der Kenntlichkeit, im Raum der Unbestimmtheit wird die Selbsttätigkeit des Menschen wacht und beginnt die Imagination zu arbeiten. Die Imagination ist „a muscle that enjoys playing games“[58], ein Muskel, der es liebt zu spielen, wenn man ihm dafür Raum gegeben. Die Imagination ist deshalb der natürliche Verbündete des Heiligen Geistes. Wird sie durch den Entzug eindeutiger Vorgaben auf die Suche geschickt, bekommt der Heilige Geist eine Chance das Heil zu bewirken, das sich nicht in der mechanischen Wiederholung vertrauter Formeln erschöpft, sondern in uns als neue Erfahrung geschieht.
Ohne diese Entleerung wüsste der christliche Glaube, der in der Tat nichts Anderes sagen will, als dass in Christus das Heil offenbar ist, dies nicht immer wieder anders zu sagen. Das Evangelium wäre, wie Peter Brook das zuspitzt, ein „deadly theatre“[59]. Es kann durchaus mit großem rhetorischen Aufwand inszeniert werden „We see this play done by good actors in what seems like the proper way – they look lively and colourful, there is music and everyone is all dressed up … Yet secretly we find it excruciatingly (!) boring.”[60] Kraftlos ist die Aufführung des Evangeliums, weil sie trotz des inszenatorischen Aufwands innerlich nicht vom Fleck kommt. Sie hat die Qualität mechanischer Wiederholungen. Ließe sich in diesen Sinn mechanischer Wiederholung das Heil in Christus auf Dauer stellen, würde es genügen jeden Sonntag die zentralen Texte des Neuen Testaments der Gemeinde vorzulesen.
Einen „mechanical actor“ beschreibt Brooks als einen Schauspieler, der nur getreu seine Vorgaben ausführt, den vorgeschrieben Texte, die Anweisungen des Regisseurs. „He hides in his mechanical shell because it gives him security.“[61] Das Streben nach Sicherheit im Gottesdienst bewahrt im Herzen der Religion nur tote Buchstaben, die Notate gelebter Religion, nicht aber ihre Lebendigkeit.

3.3. Variationen des Heils

Offenbar aber muss das, was in Christus in unüberbietbarere Deutlichkeit und Bestimmtheit als Heil erschienen ist, „unter variierenden Lebens- und Zeitumständen wiederholt“[62] werden. Dann ist es aber nicht die Crux, sondern die Chance des Glaubens, dass Christus bestimmt und unbestimmt zugleich ist, Vorgabe und empty space in einem. Deshalb kann in der christlichen Kirche nicht nur „wiedererzählt“ werden, was sie in ihrem Wesen konstituiert, sondern es kann „weitererzählt“[63] werden. Es kann nicht nur rezitiert, sondern es kann rezipiert, nicht nur identifiziert, sondern es kann variiert[64], und das heißt: es kann und es muss mit Bedeutungen gespielt werden. Solche Variationen sind nicht äußerliche Anwendungen eines feststehenden, unabänderlichen Kerns, der nur den gewandelten Zeitumständen angepasst wird. Sie sind Ausdruck eines Vermittlungsgeschehens, in dem der christliche Glaube sich ständig ändert und in dem Gottes selbst, sein Heiliger Geist am Werk ist.
Nicht zufällig wird deshalb derHeiligen Geist in der Tradition als Bewegung[65] geschildert. Man könnte genauer sagen, eine Spielbewegung, die „den jeweils erreichten Ausdruck einem Risiko aussetzt“[66]. Denn man kann das Gleiche nur dann immer wieder anders sagen, wenn man bereit ist, die gewonnene Bestimmtheit des Heils aufs Spiel zusetzen[67]. Also nur, wenn in der Auslegung der derselben Texte ein Raum der Unbestimmtheit zugelassen wird und nicht immer schon klar ist, was am Ende herauskommt, kann diesem Text eine Gegenwärtigkeit abgewonnen werden, die nicht auf Wiederholung des bereits etablierten Sinns hinausläuft. Es ist eine Bewegung, die in den offenen Raum, den Spielraum von Bedeutungsvarianten führt, die nicht schon von der bisherigen Textauslegung abgegolten sind. Und es ist eine Bewegung, die immer wieder zu diesen Texten zurückkehrt, weil sie in der kreativen Arbeit und der subjektiven Aneignung des vorgegebenen Heil in Christus die (pneumatologische) Erfahrung eines Sinnüberschusses macht, den sie nie ausschöpfen kann[68].

3.4. Homiletisches Spiel

In der homiletischen Literatur wird dieses Spiel mit den Möglichkeiten des Textes in dem Arbeitschritt untergebracht, der neben der Exegese und dem Abfassen der Predigt steht, der sogenannten Meditation[69]. Etwas schematisch geurteilt könnte man sagen: die Exegese ist Anwalt des Textes, die Predigt Anwalt der Gemeinde und die Meditation ist Anwalt des Predigers[70]. Nirgends sonst im Predigtgeschäft kommt seine Person so zum Vorschein, wird der Kontakt zu seiner Person, seinen Gefühlen, seiner Wahrnehmung, seiner Lebendigkeit, alles was in der Theatersprache der Subtext heißt, so zum Thema wie an diesem Punkt.
Die Meditation hat in der Predigtarbeit die Funktion des „empty space“. Sie führt den Prediger von seinen exegetischen Ergebnissen ins Offene eines imaginativen Schweifens und Suchens – so als wüsste er nichts. In der Meditation beginnt die Verwandlung der Person des Predigers, die Vergegenwärtigung seiner Variante für das Heil in Christus, die Rechtfertigung seiner Person, die in ihm den Text als eine neue unverbrauchte Erfahrung schafft. Weil aber die Meditation mit dem Risiko eines offenen Raums verbunden ist, der keine gerichteten Anschlüsse kennt nach Art der Regeln in einem “game“, die immer angeben wie das Spiel weitergeht, sondern einem tastenden, absichtslosen Vorwärtsschreiten gleicht, einem spielerischen Suchen und Probieren, also einem “play[71], kann der “empty space” in der Meditation auch einem “horror vacui” auslösen.
Die Risikobereitschaft des Predigers ist dann überfordert, die spielerische Bewegung wird frühzeitig abgebrochen. Man zieht sich auf praktische Zwecke, auf Anwendungen für den Hörer oder auf gesicherte dogmatische Erkenntnisse zurück. Vieles von der Leblosigkeit in den Gottesdiensten mag mit solchen „shortcuts“ zu tun haben. Abkürzungen, welche die Inkubationszeit des Heiligen Geistes in der Person des Predigers unterschätzen. Die Auslegung des Textes und die Liturgie mag dann noch so brillant gestaltet sein, wenn die Person des Predigers unentwickelt bleibt, teilt sich dies im Gottesdienst als ein „deadly play“ im Subtext mit.

3. 4. Homiletische Bildung im Horizont von Spiel und Imagination

Die Wiederentdeckung des Spiel und der Imagination – wie können sich künftige Prediger und Liturgen in diesem Horizont für ihre Aufgabe bilden?
Zum einen: Das Spiel mit Bedeutungsvarianten, mit dem verdeckten Sinnüberschuss im anwesenden Textsinn entlässt nicht aus der genauen Textkenntnis. Man muss den bestimmten Sinn kennen, den ein Text in der christlichen Tradition gewonnen hat, um die eigene Variante als mögliche Variante dieses Textsinns zu erkennen. Imagination von Varianten setzt also die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung, das Kenntnis der Bekenntnisschriften und das Studium der Predigtheorie voraus. Vor diesem Hintergrund führt dann der Weg der Predigtarbeit allerdings in einen „empty space“, einen Zwischenraum der „Entautomatisierung von Wahrnehmung“[72]. Eine Art zweiter Naivität, in der die Einbildungskraft umherschweift auf der Suche nach dem bestmöglichen Ausdruck des Textes in einer fortschreitenden Gegenwart – scheinbar ziellos, so als wüsste sie nichts. Lernen lässt sich dabei ein gewisse Irritationsbereitschaft und Frustrationstoleranz, sowie der bewusste Verzicht auf Surrogate aus zweiter Hand. Kompetenzen lassen sich entwickeln für das imaginative Spiel mit den unentdeckten Möglichkeiten des Textes, für die Fähigkeit zu einer „Relecture im Konjunktiv“, in der die blinden Flecken, die Lücken und Brüchen im bereits etablierten Textsinn aufgespürt werden[73]. Für diese Wahrnehmungsschule ist es hilfreich Widerstrebendes aufzugreifen, den „Muskel der Einbildungskraft“ zu trainieren im fremden Blick auf die kulturellen Gegenwelten[74], „weshalb ein Prediger auch bisweilen ins Kino gehen sollte.“
Die Predigt selbst ist dagegen kein Spiel. Sie vermeidet den Konjunktiv und ist der beste und bestimmteste Ausdruck des Textes unter veränderten Zeitumständen, den ein Prediger finden konnte. Aber indem die Predigt eine bestimmte Variante des Textsinns darstellt, eröffnet sie zugleich einen Spielraum[75] möglicher eigener Variantenbildung für die Zuhörer[76]. Eine Predigt, die alles erschöpfend sagen will, sagt niemand etwas. Eine Predigt, die auch ihrer Form nach als eine bestimmte Variante des Textsinns erscheint (indem sie etwa das kollektive „Wir“ vermeidet), stimuliert die imaginative Selbsttätigkeit der Zuhörer, den besten und bestimmtesten Ausdruck des Textsinns für sich und seine eigene Gegenwart zu finden. Aber auch im Zusammenspiel von wissenschaftlicher Methode und künstlerischer Spielfreude wird die Reichweite der Predigt begrenzt bleiben. Nicht alle Faktoren, die dazu führen, dass eine Predigt gelingt, liegen im Ermessen des Predigers.
Und schließlich: Die Wiederentdeckung des Spiels der Imagination für die christliche Praxis wäre zu guter Letzt auch eine Referenz an Friedrich Schiller und eine späte Erfüllung seiner Sehnsucht, den „abgebrochenen Zusammenhang mit dem theologischen Erbe Schwabens und die Bestimmtheit seines Denkens durch die Aufklärung“[77] zu versöhnen.


[1]    Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, in: Sämtliche Werke Bd. 12, hrsg. v. A. Ludwig, Leipzig, 5-86, 44 (Fünfzehnter Brief). Diese Briefe wurde an den Herzog von Schleswig-Holstein gerichtet; nachdem die erste Fassung verloren ging, veröffentlichte Schiller eine zweite 1795 in den Horen.

[2]    G. Rohrmoser, Art. Ästhetik II, TRE 1, 1977, 557

[3]    Vgl. Carl Immanuel Nitsch, Praktische Theologie Bd 1, Bonn 1847, 343-351.

[4]    Vgl. W. Janke, Artikel Spiel I, TRE 31, 673. Zu den philosophischen Hintergründen vgl. außerdem A. Corbineau-Hoffmann Art Spiel, HWP 9, 1995, 1383-1390.

[5]    Kritik des ästhetischen Spiels angesichts eines radikalen religiösen Ernstes beschreibt für Kierkegaard den Weg ins Christentum, nicht aber das Leben der Erlösten. Es könnte als Kehrseite des Sprungs ins christologische Paradox gerade im Humor das Kennzeichen christlicher Freiheit liegen, vgl. dazu M. Theunissen, Der Begriff Ernst bei Sören Kierkegaard, Freiburg 1982; zur Frage des Humors, vgl. H. Deuser, Die Frage nach dem Glück in Kierkegaards Stadienlehre, in: P. Engelhardt (Hg.), Glück und geglücktes Leben. Philosophische und theologische Untersuchungen zur Bestimmung des Lebensziels, Mainz, 1985, 165-183.

[6]    H. Schröer, Art Ästhetik III, TRE 1, 1977, 570.

[7]    Bei W. Longardt fallen Spielenund Lernen überhaupt ineinander. Das „Spielen als kreatives Verändern, Gestalten und Erfinden“ wird vom „übertriebenen Ernst und der krampfhaften Vermeidung von Freude“ (W. Longardt, Spielbuch Religion, Einsiedeln 1974, 9) abgehoben in der oft das Religiöse abgehandelt wird.

[8]    Aber nicht nur im Religionsunterricht, auch in der Gemeindepädagogik, der Kinderkirche und der Konfirmandenarbeit wird das „gemeinschaftliche Miteinander in Tanz, Spiel und Kreativität“ (J. Blohm (Hg.), Kinderbibeltag – Kinderkirche. Gemeinsam feiern, singen und spielen, München 1994, 14) zum Schlüssel für evangelische Bildung im Sinne einer erlebensnahen und selbsttätigen Aneignung des Evangeliums.

[9]    W. Dietrich, Art Spiel, LexRP Bd. 2, Neukirchen-Vluyn 2001, 2024.

[10] D. Zilleßen/U. Gerber, Und der König stieg herab von seinem Thron. Das Unterrichtskonzept religion elementar, Frankfurt a. M. 1997, 34.

[11] W. Teichert, Einleitung, in: Bibliodrama, Stuttgart 1987, 7. Teichert bezieht sich mit dieser Formulierung auf E. Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Bern und München 19776.

[12] S. Laeuchli, Abraham und Isaak. Einführung in eine mimetische Bewältigung, in: Bibliodrama. Stuttgart 1987, 31; außerdem: Das Spiel vor dem dunklen Gott. „Mimesis“ – Ein Beitrag zur Entwicklung des Bibliodramas, Neukirchen-Vluyn 1987.

[13] Eine dramatische Zuspitzung erfährt das Spiel auf der Bibliodrama-Bühne, wenn man sich der Frage nähert, ob zu den zu spielenden Figuren auch Gott gehört. Kann man – muß man Gott spielen? Vgl. dazu G.M. Martin, Gott auf der Bibliodrama-Bühne, in: ders. Sachbuch Bibliodrama. Praxis und Theorie, Stuttgart 20012,93-121. Außerdem: H.-G. Schöttler, „… wie Gott mitspielt“ Bibliodrama und die unerhörte Botschaft, in: E. Garhammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offenes Kunstwerk. Homiletik und Rezeptionsästhetik, München 1998, 97-125.

[14] Den Aspekt der leibhaften Bewegtheit im Bibliodrama betont Wolf-Eckart Failing, Geist und Bewegung – Bewegtheit durch den Geist, in: Gelebte Religion wahrnehmen, Stuttgart 1998, 37-68, 46.

[15] E. Hauschildt, Art Seelsorgelehre, TRE 31, 2000, 66.

[16] G. M. Martin, Spiel, in: C. Riemer/B. Sturzenhecker (Hg.), Das Eigene entfalten. Anregungen zur ästhetischen Bildung, Gelnhausen 20002, 121-136, 128f. Der Aufsatz ist ein Wiederabdruck des Art Spiel aus: Handbuch Religiöse Erziehung. Bd. I, hrsg. v. W. Böcker, Düsseldorf 1987.

[17] R. Guardini, Vom Geist der Liturgie, Freiburg 8-121922, 37. Dieses nicht reflexive Sein in der Liturgie präzisiert Guardindi mit dem Begriff des „lebendigen Mitvollzugs“. Gemeint ist ein Vollzug, der nicht „dazusagt oder dazudenkt ´das bedeutet das und das`, sondern das Symbol wird vom Ausübenden als religiöser Akt ´getan`, und vom Anwohnenden in einem analogen Akt ´gelesen`, der innere Sinn im Äußeren angeschaut.“ R. Guardini, Der Kultakt und die gegenwärtige Aufgabe liturgischer Bildung. Ein Brief (zitiert bei Karl-Heinz Bieritz, Spielraum Gottesdienst. Von der „Inszenierung des Evangeliums“ auf der liturgischen Bühne, in: A. Schilson/J. Hake (Hg.), Drama „Gottesdienst“, Stuttgart 1998, 83). Vollzug von Reflexion zu unterscheiden ist das eine. Wie steht es mit der Wahrnehmung im Vollzug, nicht im Sinn von Gegenstandswahrnehmung, sondern von leibhaftem Erschließen in einer zielgerichteten Bewegung? Vgl. W.-E. Failing, Gelebte Religion, Stuttgart 1998, 46, mit Blick auf Husserls Kinästhesie, vgl. dazu E. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften, Ges. Schriften Bd. 8, Hamburg 1992, 108.

[18] A. Schilson, Gegenwart des Ursprungs. Überlegungen zur bleibenden Aktualität der Mysterientheologie Odo Casels, in: Liturgisches Jahrbuch (LJ) 43 (1993), 6-29, 23.

[19] Arno Schilson/Joachim Hake (Hg.), Drama “Gottesdienst”. Zwischen Inszenierung und Kult, Stuttgart 1998. Karl-Heinz Bieritz, Spielraum Gottesdienst. Von der „Inszenierung des Evangeliums“ auf der liturgischen Bühne, in: A. Schilson/J. Hake (Hg.), Drama „Gottesdienst“, Stuttgart 1998, 69-101; Freiheit im Spiel BThZ 10, 1993, 164-174. Ulrike Suhr, Das Handwerk des Theaters und die Kunst der Liturgie. Ein Theologischer Versuch über den Regisseur Peter Brook, in: P. Stolt/W. Grünberg/U. Suhr (Hg.), Kulte, Kulturen, Gottesdienste. Öffentliche Inszenierung des Lebens, Göttingen 1996, 37-49.

[20] M. Meyer-Blanck, Inszenierung und Präsenz. Zwei Kategorien des Studiums Praktischer Theologie, in: Wege zum Menschen (WzM) 49 (1997), 2-16; Inszenierung des Evangeliums. Ein kurzer Gang durch den Sonntagsgottesdienst nach der Erneuerten Agende, Göttingen 1997.

[21] W. Engemann, Der Spielraum der Predigt und der Ernst der Verkündigung oder: Von der Entscheidung als homiletischer Kategorie, in: E. Garhammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offenes Kunstwerk, München 1998, 180-200. Die Metapher vom „Spielraum der Predigt“ findet sich auch in Predigtliteratur, vgl die Predigtskizze zum Pfingstsonntag (Joh 14, 23-27) von P. Krusche, Predigtstudien I/2, Stuttgart 1973, 88 „Insofern eröffnet das dialektische Verhältnis von Kreuz (Tradition) und Geist den eigentlichen Spielraum heutiger Predigt.“

[22] G. M. Martin, Predigt als offenes Kunstwerk? Zum Dialog zwischen Homiletik und Rezeptionsästhetik, in: EvTh 44 (1984), 46-58. H. Schröer, Umberto Eco als Predigthelfer? Fragen an Gerhard Marcel Martin, in: EvTh 44 (1984), 58-63. K.-H. Bieritz, Gottesdienst als „offenes Kunstwerk“? Zur Dramaturgie des Gottesdienstes, in: ders., Zeichen setzen, Stuttgart 1995, 107-120. E. Garhammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offenes Kunstwerk. Homiletik und Rezeptionsästhetik, München 1998.

[23] Einen Überblick gibt Susanne Wolf-Withöft, ART Spiel III, TRE 31, 2000, 670-686. Außerdem äußert sie sich in: Hartmut Meesmann, Spiel und Religion. Traktate zur Praktischen Theologie und ihren Grundlagen, Heft 44, Waltrop 2003.

[24] Die grundlegende Bedeutung der Imagination für die Religion wird erstmals deutlich gemacht bei F. Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern hrsg. von G. Meckenstock, Berlin 1999. Einen Überblick aus systematischer Sicht gibt M. Trowitzsch, Art. Phantasie, in TRE 26, Berlin 1996, 469-472. Zur Bedeutung der Imagination für die Bildung äußert sich aus religionspädagogischer Sicht, R. E. Heinonen, Art Imagination, in: Lexikon der Religionspädagogik und Werner H. Ritter (Hg.), Religion und Phantasie. Von der Imaginationskraft des Glaubens, Göttingen 2000. In bisher ungeahntem Ausmaß wird die Imagination in den modernen Medien in Anspruch, vgl. dazu Jochen Hörisch, Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien, Die andere Bibliothek, Frankfurt a. M. 2001. Für den Literaturwissenschaftler W. Iser geht es in der Literatur darum, den „auf Kosten seiner Phantasie lebenden Menschen“ mit einem seiner wesentlichen Vermögen, seiner Einbildungskraft, vertraut zu machen, W. Iser, Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a. M. 1991, 11. Ich verweise außerdem auf die Tagung der Europäischen Gesellschaft für Religionsphilosophie im vergangenen Herbst in Cambridge, vgl. dazu R. Manning/M. Wisse (Hg.), Religion, Aesthetics and the Concepts of Imagination. Proceedings of the 14th Biennial European Conference on the Philosophy of Religion, Cambridge 2002.

[25] Zur theologischen Bedeutung des Spiels äußern sich: Karl Barth, KD III/3, 98, außerdem: Ethik II, 1928, 437ff; Protestantische Theologie, 1947, 52f.; Wolfgang Amadeus Mozart, Zürich 1956. Zu Barths Deutung des Spiels in der Musik Mozart vgl. T. Erne; Barth und Mozart, ZDT 2/1986, 234-248. W. Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive. Die Grundlagen der Kultur. Freiheit im Spiel, Göttingen 1983, 312ff.; zu Piaget a.a.O. 336ff. Außerdem von systematisch-theologischer Seite: J. Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung. Versuch über die Freude an der Freiheit und das Wohlgefallen am Spiel, München 1975. Neuerdings M. Roth, Sinn und Geschmack fürs Unendliche. Überlegungen zur Lust an der Schöpfung und der Freude am Spiel, Leipzig 2002. Thomas Klies theologische Spieltheorie übt gegenwärtig die größte Faszination aus. Seine Ansatz, der Semiotik und Spiel, dichte Beschreibung und kategoriale Klarheit verbindet, integriert spielend die disparaten Handlungsfelder der Praktischen Theologie, Th. Klie, Zeichen und Spiel. Semiotische und spieltheoretische Rekonstruktionen der Pastoraltheologie, Gütersloh 2003.

[26] Mark Twain, The Adventures of Tom Sawyer, 1876/1986, Chapter II.

[27] Karl-Heinrich Bieritz, Spielraum Gottesdienst. Von der „Inszenierung des Evangeliums“ auf der liturgischen Bühne, in: A. Schilson/J. Hake (Hrsg.) Drama „Gottesdienst“, 1998, 73.

[28] Das zeigt sich in einer ganzen Reihe drängender Anfragen, die K.-H. Bieritz an den Gottesdienst stellt: “Haben die Menschen im Gottesdienst etwas von der Wirklichkeit Gottes erfahren? War der Gottesdienst eine Feier des Lebens? Hat das Wort Gestalt gewonnen? Ist das Evangelium aufgeführt worden? Gab es für die, die am liturgischen Prozess beteiligt waren, einen Moment der Erschütterung, der sie das hat sehen und erfahren lassen, was sich aller Machbarkeit entzieht?“ A.a.O. 71.

[29] Ebd. Das gilt auch dann, wenn sich „oft gar nicht genau sagen lässt, warum ein konkreter Gottesdienst nicht ins Leben hineingreift.“ M. Meyer-Blanck, Inszenierung des Evangeliums, Göttingen 1997, 15.

[30] „Denn bei jeder Lektüre, und man darf ergänzen, auch bei jedem Hören ist visuelle Einbildungs- und Vorstellungskraft nicht nur mit im Spiel, sondern hat für den Lektüre-Vorgang konstituierende Bedeutung … Der Prediger als der Regisseur einer Art „Legende eines inneren Films“ kann die Imagination, die mentalen Bilder seiner Rezipienten bis zu einem gewissen Umfang also (vor)organisieren … Will der Prediger das „Kino im Kopf“ seiner Hörer in Gang bringen … ist er nicht schlecht beraten … gelegentlich auch ins Kino zu gehen. “ R. Zwick, Weshalb ein Prediger bisweilen ins Kino gehen sollte, in: E. Garhammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offenes Kunstwerk, München 1998, 82-96, 94f..

[31] Vgl. H. A. Müller, Kunstpredigt als Mittel spiritueller Interpretation? In: Artheon, Nr. 17, Stuttgart 2003, 12- 17; H.-G. Schöttler, Moderne Kunst als e-vocatio auf dem Weg zur Predigt, in: E. Garhammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offenes Kunstwerk, München 1998, 65-81.

[32] Hans Blumenberg, Matthäuspassion, 1988, 289.

[33] Paul Oestreicher, Gottesdienst: Alles Theater? in: Publik-Forum 2001/1, 29.

[34] Der Titel „Schöpfung“ ist für diesen Sachverhalt eines „Spielraumes der Möglichkeiten“ nicht exklusiv, sondern eine bestimmte Weise der Hinsichtnahme. Ohne Rückgriff auf religiöse Terminologie vgl. B. Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt, 21994, 87 „Unser Verhalten bewegt sich stets in einem gewissen Spielraum.“ Bernhard Waldenfels charakterisiert diesen Spielraum als Zusammenspiel von Regel und Regellosigkeit, Ordnung und Unordnung. Er ist begrenzt, aber nicht invariant, sondern in „gradueller Offenheit“. Zum Begriff vgl. S. K. Knebel, Art Spielraum, HWP 9, 1995, 1390-1392. Trillhaas kennt in seiner Ethik den „freien Raum“, der weder „vom Gesetz in der Form des Gebotes noch vom Gesetz in der Form des Verbotes beschattet ist.“ Ausdrücklich ist dieser [ethik-] freie Raum der Ort der „künstlerischen Schöpfung.“ Die Ethik folgt den ästhetischen Handlungen im freien Raum allerdings „unweigerlich nach“ und „prüft, ob der Mensch bei seinem Handeln in den menschlichen Maßen geblieben ist.“ W. Trillhaas, Ethik, 31970, 82-85.

[35] Karl Barth, KD III/3, 98.

[36] In diesem Sinn elementarer Festlegungen, die diesseits subjektiver Willkür und jenseits einer Ein-Eindeutigkeit von Texten einen Raum möglicher Varianten des Textsinns eröffnen, redet W. Engemann auch von einem „Spielraum der Predigt“, vgl. W. Engemann, Der Spielraum der Predigt und der Ernst der Verkündigung, in: E. Garhammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offenes Kunstwerk. Homiletik und Rezeptionsästhetik, München 1998, 180-200.

[37] Vgl. Gerhard Marcel Martin, Spiel, in: Das Eigene entfalten. Anregungen zur ästhetischen Bildung, Gelnhausen 22000, 122. Ebenfalls auf Piaget bezieht sich W. Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983, 336ff.

[38] Vgl. Claus Westermann, Genesis 1-11, BK Bd.1, Neukirchen-Vluyn 1983, 143f.

[39] S. Freud, Das Unbehagen in der Kultur, 1930/1978.

[40] J. Beuys unterscheidet nicht zwischen gutartigem und gefährlichem Chaos. Chaos ist für ihn generell Unbestimmtheit und darin der „Wärmepol“(!), aus dem alle Bestimmtheit (Kältepol) herkommt. Kreativität besteht für Beuys darin aus Unbestimmtheit Bestimmtheit werden zu lassen, die Kälte zur Form erstarren zu lassen und darin Freiheit zu realisieren. Plastik ist für Beuys der Ausdruck für das Wechselspiel dieser Pole, vgl. Harlan/Rappmann/Schata, Soziale Plastik. Materialien zu Joseph Beuys, 31984, 58f.

[41] Zum Unterschied von unbestimmter (leerem, namenlosen Chaos) und bestimmter Unbestimmtheit (gutartigem, begrenztem Chaos), vgl. M. Moxter, Ungenauigkeit und Variation, 1999, 196; außerdem Ph. Stoellger, Metapher und Lebenswelt, 2000, 367, 381, 385.

[42] Auf diesen Unterschied macht M. Moxter aufmerksam „Die Lebenswelt als Universum vorgegebener (!) Selbstverständlichkeiten ist nicht nur Ausgangspunkt, der verlassen werden soll, sondern auch ein Mitgegebenes, auf das wir beständig rekurrieren.“ M. Moxter, Kultur als Lebenswelt, 2000, 282. Die [lutherische?] These einer unabänderlichen Schöpfungsordnung würde auch Waldenfels nicht als invariante Regeln interpretieren, sondern nur als Hinweis, „dass die Möglichkeit konkreter Sinnbildung eingeschränkten Bedingungen unterliegt, die deren Spielraum eingrenzen,“ B. Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt, 21994, 26.

[43] Vgl. C. Riemer/B. Sturzenhecker (Hg.), Das Eigene entfalten. Anregungen zur ästhetischen Bildung, Band 5, Beiträge aus der Arbeit des Burckhardthauses, Gelnhausen 22000.

[44] Diesen Hinweis auf Tillich gibt Michael Moxter, Kultur als Lebenswelt, Tübingen 2000, 397.

[45] P. Tillich, Main Works 2, 1989, 104; vgl. dazu, M. Moxter, Kultur als Lebenswelt, 2000, 89-92.

[46] B. Waldenfels, In den Netzen der Lebenswelt, 21994, 93

[47] Manfred Josuttis, Der Weg in das Leben. Eine Einführung in den Gottesdienst auf verhaltenswissenschaftlicher Grundlage, München 1991.

[48] Vgl. M. Moxter, Kultur als Lebenswelt, 2000, 405

[49] P. Oestreicher, Gottesdienst: Alles Theater? In: Public-Forum 2001/1, 29.

[50] Vgl. T. Erne, Rhetorik und Religion, 2002, 56.

[51] D. Wendebourg/R. Brandt (hrsg. i. Auftr. der Kirchenleitung der VELKD), Traditionsaufbruch. Die Bedeutung der Pflege christlicher Institutionen für Gewissheit, Freiheit und Orientierung in der pluralistischen Gesellschaft, Hannover 2001.

[52] Zwar kann die Arbeit nicht zum Spiel werden, wohl aber kann es Spiel geben „in der Arbeit und nicht jenseits der Arbeit“ (J. Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung, 1975, 59f.). Der Mensch kann das Bewusstsein der Freiheit in der Notwendigkeit entwickeln. Dass sich der Mensch in „seiner Tätigkeit frei fühlen kann“, liegt nach Pannenberg daran, dass er in der Arbeit die Ordnung aller Dinge und in sich vollendete Sinnwelt spielerisch evoziert und im Fest rein zu Darstellung bringt und feiert (vgl. W. Pannenberg, Anthropologie, 1983, 327).

[53] „Das Bild wird gewählt, weil „Spiel“ ein Wortfeld erschließt, das geeignet erscheint, das Handlungsfeld „Predigt“ zu strukturieren.“ K.-H. Bieritz, Die Predigt als Gottesdienst, in: ders.; Zeichen setzen, Stuttgart 1995, 137-158. Hinter der pragmatischen Entscheidung die Predigt kommunikationspsychologisch als Spiel zu betrachten (vgl. W. Engemann, Einführung, Basel 2002, 431-437), steht allerdings auch bei Bieritz das Interesse„Teil an der Offenheit, der Nichtabgeschlossenheit dieser Geschichte [Jesu] selbst zu haben,“ a. a. O. 158.

[54] Vgl. E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 1978, 222 „Gott ist [im Wort] als Abwesender anwesend.“

[55] Peter Brook, The Empty Space, New York 1968/1996; The Open Door. Thoughts on Acting and Theatre, New York 1995; dt.: Das offene Geheimnis – Gedanken über Schauspielerei und Theater, Frankfurt 1998. Zur Bedeutung von Peter Brooks Überlegungen zum Theater für Gottesdienst und Liturgie vgl. U. Suhr, Das Handwerk des Theaters und die Kunst der Liturgie. Ein Theologischer Versuch über den Regisseur Peter Brooks, in: P. Stolt/W. Grünberg/U. Suhr (Hg.), Kulte, Kulturen, Gottesdienste. Öffentliche Inszenierungen des Lebens, Göttingen 1996, 37-49; außerdem Karl-Heinrich Bieritz, Spielraum Gottesdienst. Von der „Inszenierung des Evangeliums“ auf der liturgischen Bühne, in: A. Schilson/J. Hake (Hrsg.) Drama „Gottesdienst“, 1998, 69-101.

[56] Peter Brook, The Open Door.

[57] Entleerung ist eine Metapher, um die kritische Funktion der Christologie für die bereits gewonnenen Ausdrucksformen des christlichen Glaubens zu umreißen Die sichtbaren Formen der Liturgie, der christlichen Gemeinschaft, kurz, des christlichen Lebens, sie sind zugleich im Kern, vom Kreuz her, gebrochen, durchsetzt von Negativität, vgl. dazu T. Erne, Ähnlich und doch anders. Zum Verhältnis von Kirche und Kunst, in: Artheon, Nr. 16, Stuttgart 2002, 1-8. Dieses Formprinzip des christlichen Glaubens – Formaufbau und Formkritik in einem geistigen Akt (E. Cassirer) zu vollziehen – prägt dann die Einbildungskraft. Statt von einer „Umkehr der Einbildungskraft“ (M. Trowitzsch, Auslegung und Anfechtung, EvTh (43) 1983, 52-65, 63) würde ich lieber von einer bestimmten Formierung ihrer Praxis reden.

[58] Peter Brook, The Open Door, 32.

[59] Peter Brook, The Empty Space, 9-41

[60] A. a. O. 10.

[61] Peter Brook, The Open Door, 29.

[62] K. Stock, Grundlegung der protestantischen Tugendlehre, 1995, 141.

[63] I. U. Dalferth, Jenseits von Mythos und Logos, 1993, 215. Zu Kirche als Erzählgemeinschaft vgl. E. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 426.

[64] Zum Verhältnis von Unbestimmtheit und Bedeutungsvarianz, vgl. M. Moxter, Ungenauigkeit und Variation. Überlegungen zum Status phänomenologischer Beschreibungen, in: F.J.Wetz/H. Timm (Hg.), Die Kunst des Überlebens. Nachdenken über Hans Blumenberg, Frankfurt 1999, 184-203.

[65] Vgl. dazu W.- E. Failing, Geist und Bewegung – Bewegtheit durch den Geist, in: W.-E. Failing/H.–G. Heimbrock, Gelebte Religion wahrnehmen, Stuttgart 1998, 37-68.

[66] “To put at risk on one´s present self-understandig”, D. Tracy, Plurality and Ambiguity. Hermeneutics, Religion, Hope, San Francisco 1987, 16, 89; vgl. M. Moxter, Kultur als Lebenswelt, 2002, 405.

[67] Peter von Matt redet von „Sinnspielen“, auf die hin sich ein Text öffnet, vgl. P. von Matt, Verkommene Söhne, mißratene Töchter. Familiendesaster in der Literatur, München 1995, 23.

[68]  In diesem Zusammenspiel von Christologie und Pneumatologie kann man dann in der Tat sagen, dass „Jesus der Mensch ist, der sich selbst zum Spielraum seiner Mitmenschen setzt, zum Spielraum eines erneuerten Menschseins in Glaube, Liebe und Hoffnung.“ E. Lange, Predigen als Beruf,  (89-90;95).

[69] Vgl. W. Trillhaas, Einführung in die Predigtlehre, 1974, 34-38; E. Hirsch, Predigerfibel, 1964, 104-140.

[70] Das Subjekt der Predigt, die Person des Predigers und sein Selbstverhältnis, ist nach W. Engemann eine der Leerstellen der Homiletik. „Das Interesse, die predigende Person konzeptionell als notwendiges Konstitutivum des Predigtgeschehens darzustellen, ist, wie zu zeigen sein wird, vergleichsweise neu.“ (W. Engemann, Einführung, 175). E. Thurneysen fordert etwa, dass „der Prediger sich als Subjekt der Verkündigung auszuschalten habe, sein Selbst solle auf der Kanzel sterben, damit nichts Eigenes dem Gotteswort hinzugefügt werde.“ W. Engemann untersucht dagegen das subkutane Verhältnis des Predigers zu sich selbst in seiner Homiletik aus transaktionsanalytischer Sicht (vgl W. Engemann, Persönlichkeitsstruktur und Predigt, Leipzig 21992, 37-59) und in seiner Einführung (vgl. W. Engemann, Einführung in die Homiletik, Basel 2002) im 3. Teil unter der Überschrift „Predigen in eigener Person. Die Frage nach dem Subjekt der Predigt“. Frage nach dem Subjekt der Predigt und ihre psychologische wie theologische Bearbeitung ist auch schon vor Engemann im Blick gewesen, etwa bei Otto Haendler, Die Predigt. Tiefenpsychologische Grundlagen und Grundfragen, Berlin 1941.

[71] Zum Unterschied von „game“ als regelgeleitetes Spiel mit gerichteten Anschlüssen (Kampfspiel etc.) und „play“ als Spiel mit nicht gerichteten, unvorhersehbaren Anschlüssen (absichtsloses Spiel), vgl. P. Dais, „Einführung in die Theologie des Spiels“ in: Magazin für Theologie und Ästhetik Nr. 21/2003.

[72] R. Zwick, Weshalbein Prediger bisweilen ins Kino gehen sollte, in: E. Garhammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offenes Kunstwerk, München 1998, 82-96, 88.

[73] Deshalb erfindet die Imagination nichts, sondern entdeckt, was sonst unsichtbar geblieben wäre, und zwar, indem sie Sinngrenzen überschreitet, vgl. W. Iser, Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie, Frankfurt a.M. 1991, 393.

[74] Zum Verhältnis von Kunst und Spiel, vgl. R. Sonderegger, Für eine Ästhetik des Spiels. Hermeneutik, Dekonstruktion und der Eigensinn der Kunst, Frankfurt am Main 2000.

[75] Zu dieser Differenz, vgl. W. Engemann, Der Spielraum der Predigt und der Ernst der Verkündigung, in: E. Grahammer/H.-G. Schöttler (Hg.), Predigt als offene Kunstwerk, München 1998, 180-200.

[76] Jedes Zeichen verdeckt, in dem es etwas Bestimmtes aussagt. Einschlägig für diese Dialektik von abwesendem Sinnüberschuss im anwesenden Sinn ist der Zeichenbegriff von Paul Ricoeur: „Nur ein Teil des Sinns wird vergegenwärtigt, indem der übrige mögliche Sinn überdeckt wird“ P. Ricoeur, Versuch über Freud, 1969, 394.

[77] G. Rohrmoser, Art. Ästhetik II, TRE 1, 1977, 557