Zwischen dem 28.02. und dem 20.03.2024 war die älteste Kirche in Koblenz am Rhein, die Liebfrauenkirche, Ort für eine besondere Kunstinstallation.
Drei hohe, aus einer mattglänzenden Folie gefaltete Säulen waren in der Kirche zu Gast, nebeneinander in einem leichten Halbkreis neben dem steinernen Altar aufgerichtet, im Chorraum gut sichtbar, gleichzeitig wie von fernher und doch gut aufgehoben in dem hohen gotischen Kirchenraum.
Es ging um die Einladung zu einer Begegnung – so wie die Installation selbst sich hatte inspirieren lassen von einer unvermuteten Begegnung. Widersprüchliches, Gegenstrebiges sollte miteinander in Kontakt treten, Resonanz entfalten und Räume eröffnen – Neues im Alten, Fremdes im Vertrauten, Fragiles im jahrhundertelang Dauernden.
Unter dem Motto REDEN IST GOLD hatte die Künstlerin Kyra Spieker sich vom Raum der Liebfrauenkirche „an die Hand nehmen“ lassen. Sie wollte drei Frauengestalten Gesicht und Stimme verleihen, die seit Jahrhunderten kaum sichtbar und stumm auf einem barocken Bild der Vierzehn Nothelfer in dieser Kirche zwischen elf männlichen Figuren ein kaum beachtetes Dasein fristen. Manch einem ist vielleicht der Ort Vierzehnheiligen bekannt, wenigen nur noch die Vierzehn Nothelfer, fast niemand wird ihre Namen aufzählen können; dass es aber unter ihnen auch Nothelferinnen gab, ist in den Jahrhunderten so gut wie untergegangen.
In den drei Wochen der Kunstaktion in der Liebfrauenkirche aber konnte jede/r Neugierige ihnen begegnen: den 2,70 Meter hoch aufragenden, in Gold, Silber und Kupfer schimmernden, gefalteten Säulen, die den drei Nothelferinnen St. Barbara, St. Katharina und St. Margareta Stand, Stimme, Glanz und Sichtbarkeit gaben, ja, sie zu einem neuen Fokus im Kirchenraum machten, nur wenig seitlich versetzt neben dem Altar und der zentralen Fluchtlinie des mittelalterlichen Kirchenschiffs.
Kyra Spieker wollte mit ihrer Arbeit diese drei Gestalten präsent machen, ihnen einen Raum zu Entfaltung schaffen, Strahlkraft geben, sie aus der stummen Unsichtbarkeit in den Blick rücken. Dies geschah im Kontext einer kleinen, dreiteiligen Veranstaltungsreihe, die der Vermittlung und Rahmung der künstlerischen Arbeit im Kirchenraum dienen sollte.
Ein erster Termin, die Vernissage mit einem Interview mit der Künstlerin, versuchte den Fokus deutlich zu machen und die drei neuen, glänzenden Gäste im alten Chorraum zum Sprechen zu bringen: ihre Unbeirrbarkeit, ihre innere Stärke, ihre Selbsttreue und ihre aufrechte Haltung. Die Säulen vergegenwärtigten die drei Nothelferinnen: nicht aus Stein oder Marmor, sondern aus einer besonderen metallischen Folie, gefaltet und nicht gemauert, zweimal unterbrochen durch stabilisierende Elemente aus Karton, die an Kapitelle erinnern. Zerbrechlich und gefährdet und gleichzeitig stolz und unberührt von allen Zweifeln werden die drei Säulen tatsächlich zu einer besonderen und wunderbaren Präsenz eines Anderen, Fernen, Starken im altvertrauten Raum der Kirche.
Der zweite Termin der Reihe war ein Sonntagsgottesdienst, der auf die Nothelferinnen Bezug nahm und das Sakrale aufgriff, das als Bezug und Hintergrund in der künstlerischen Arbeit mitgedacht war, die ja nicht zufällig den Kirchenraum nutzte, um ihn zum Sprechen zu bringen und neu erfahrbar zu machen.
Der letzte Teil der kleinen Reihe galt dem Thema Stand und Stimme, REDEN IST GOLD, wie die Kunstinstallation als Ganze hieß. Es ging um eine Vergegenwärtigung einerseits der drei Frauen aus dem alten Heiligenbild, Barbara, Katharina und Margarete – mit einem kurzen Abriss ihrer Lebensläufe, die in allen drei Fällen gewaltsam endeten und die ebenfalls alle drei erst nach ihrem Tod Bedeutung erlangten. Zum anderen aber ging es um drei der vielen, oft namenlosen anderen Frauengestalten, die nach den Nothelferinnen wie diese unbeirrbar und aufrecht gegen äußeren Druck ihre Stimmen erhoben haben. Kurze Abrisse der Lebensläufe und anschließend laut vorgetragene Texte aus den Werken von Marguerite Porete aus dem frühen 14., von Rosa Luxemburg aus dem frühen 20. Jahrhundert und von Ulla Hahn, die zum Glück noch lebt.
Im Zusammenspiel des stummen, alten Kirchenraums, der laut vorgetragenen Texte starker Frauen und der drei hohen schlanken, schimmernden Säulen entwickelte sich eine intensive Atmosphäre, die auch die Besucherinnen und Besucher bewegte.
Kern und Gegenstand der eigentlichen künstlerischen Arbeit sind jedoch die drei Säulen. Sie stehen direkt auf dem vorhandenen Basalt-Boden des Chorraums und besitzen durch ihre Höhe und die besondere Faltung einen deutlich bildhauerischen Charakter. Und zugleich konterkarieren sie ihn durch ihre Schwerelosigkeit und die vertikalen Faltungen des Folienmaterials, das durch leichte horizontale, spitzenartige Musterstreifen eine textile Anmutung bekommt. Die Faltung ist es, die der Folie allererst Standfestigkeit verleiht. Sie ist es, die mit einem Innen- und einem Außenkreis diesen Säulen etwas Einzigartiges im Verhältnis zu gemauerten Säulen gibt. Die gesamte Oberfläche ist gefaltet, wodurch die Säulen ein Innen und ein Außen erhalten, ihre Oberfläche sich vervielfacht und sich nach innen entfalten lässt. So verbergen die gefalteten Säulen in sich etwas, das sie nach außen mit scharfen Spitzen verteidigen – auch hierin etwas verwandt vielleicht den Heiligengestalten, die sie vergegenwärtigen möchten. Und so wie die Faltung innen und außen verbindet, so verbindet sie auch Statik und Dynamik: im Faltenwurf spricht sich seit Jahrhunderten in der Bildhauerei der Geist aus, der die Figur erfüllt und belebt, der sie bewegt, sie in Bewegung setzt und das Wehen, manchmal geradezu den Sturm im Stein sichtbar macht. Die hohen gefalteten, nach oben offenen Säulen im gotischen Kirchenraum sind alles andere als Sturm im Stein. Vielmehr machen sie das reine, edle, unbeirrte Streben nach Oben sinnfällig und korrespondieren so mit dem Kirchenraum als Ganzem – einem sakralen Raum, der einem Transzendenten dient und es vergegenwärtigen möchte. Die Säulen sind in gewisser Weise Kulminationspunkt des alten Kirchenraums, dem sie im Chorraum ihren Glanz, ihr Streben, ihre Suche nach einem ganz Anderen mitteilen. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, dass die Lineatur und Bewegtheit der Faltung unterschiedliche Blicke auf den Gegenstand erlaubt. Dieser kann sich in der Faltung verschließen oder öffnen, er kann Freiräume aufschließen und das Licht auf ganz unterschiedliche Arten einfangen – erst recht, da es um leicht schimmernde, gold-, silber- und kupferfarbene metallische Folien geht.
So spannt sich die Arbeit von Kyra Spieker im gotischen Kirchenraum zwischen ganz verschiedenen Polen wie ein feines und doch starkes Netz auf: mit dem Gesamtraum in Beziehung, mit den Jahrhunderten, ihren Kämpfen und Opfern, mit den Farben und Materialien im Raum, in Säulengestalt, ohne Botschaft und Impetus, und doch mit einem Höchstmaß an Ausdruckskraft und Stärke: unbeirrbar, aufrecht, zerbrechlich und stark, mit dem Grundriss des Sterns, der doch für niemanden sichtbar wird. Dennoch ist er da und ist einer der vielen möglichen Blicke und Räume, die sich dem Betrachter anbieten – von diesem letzten Blick kann er jedoch nur wissen und ihn nicht sehen.
Die Künstlerin Kyra Spieker (http://www.kyraspieker.de/) beschäftigt sich seit Jahren in vielfältiger Weise mit Kunst und Kirche, so im Kontext des Liturgy-Specific-Art-Gottesdienstes in der Universitätskirche Marburg 2021 und als Mitglied im Gestaltungsbeirat der landeskirchlichen Bauberatung der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Claudia Schittek, Jahrgang 1951, ist promovierte Germanistin, die sich seit Jahrzehnten mit den Sprach- und Erkenntnisformen von Volksrätseln befasst. Ihr Interesse gilt den einfachen (und auch komplexeren) mündlich tradierten, volkstümlichen Rätseln, die Wissen und Erfahrung, Spiel und Ernst, Macht und Ohnmacht in kleinen handlichen Paketen verpackt zum Gegenstand des menschlichen Austauschs machen. Daneben hat sie Religionswissenschaft und Philosophie studiert, die Befähigung für das Lehramt an Gymnasien erworben, in Zeiten der sog. Lehrerschwemme aber erst mit fast fünfzig Jahren eine Stelle gefunden und die letzten zwanzig Berufsjahre in der Lehrerfortbildung gearbeitet. Mit dem Beginn der Rente hat sie eine eineinhalbjährige Ausbildung zur Kirchenpädagogin gemacht und noch einige Jahren bei der Durchführung dieser Kurse für die Evangelische Erwachsenenbildung Rheinland-Süd mitwirken dürfen. Rätsel zu verstehen, sich an ihnen zu erfreuen – seien sie in Sprache oder in Kirchenräumen gefasst – macht sie noch heute dankbar.
Die Redaktion bedankt sich bei Kyra Spieker, die uns Fotos von Janos Wlachopulos und privat mit Bildrechten zur Veröffentlichung im Webzine „kunst-religion.de“ zur Verfügung gestellt hat.