Kristina Girke | Palimpsest

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Die Malereien von Kristina Girke waren von November 2018 bis Januar 2019 im Kooperationsprojekt PALIMPSEST bei Liturgy Specific Art und in der Galerie Schmalfuss zu sehen. Die Künstlerin arbeitet mit Überlagerungen im Großformat. Wie hunderte abplatzende Schichten lassen sie Blicke auf alt bekannte oder neu kombinierte Motive und Symbole aus der Geschichte der Kunst und aktueller Populärkultur zu. Girke studierte in Berlin, Halle und La Paz (Bolivien) nicht nur Kunst sondern auch Medizin und graduierte bei Katharina Grosse an der KHB. Ihre Arbeiten wurden international in La Paz, Berlin, Mailand, Seoul, Lissabon oder Madrid in Gruppen- und Einzelausstellungen gezeigt. Sie lehrte unter anderem an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und lebt und arbeitet in Berlin.

Für Liturgy Specific Art hat Kristina Girke nicht nur ihre Malereien nach Marburg gebracht. Sie erstellte auch mit Partizipierenden und Studierenden der Universität Marburg eine Performance, in der gemeinsam neue Farbschichten und Überlagerungen erzeugt wurden. Parallel fand eine Ausstellung in der Galerie Schmalfuß statt.

LINK ZUR AUSSTELLUNG IN DER GALERIE SCHMALFUSS

Kristina Girke, civilization, 2018, Foto: © Kristina Girke, Ausgestellt in: PALIMPSEST, Marburg 2018

Kristina Girke, Die Welt zerfällt in Tatsachen, 2013, Foto: © Kristina Girke, Ausgestellt in: PALIMPSEST, Marburg 2018

ERFAHRUNGSBERICHT ZU PALIMPSEST

Mit Taschenlampen gerüstet zieht die Gemeinde in eine dunkle Kirche ein. Sie leuchten den Weg, der an Bildern von Kristina Girke vorbeiführt. Die BesucherInnen gehen durch die Sakristei an Objekten und Installationen der Künstlerin zu den Sitzbänken weiter. Mitten im Gottesdienst werden sie aufgefordert, ein Wort immer wieder zu wiederholen und es mit Sprühfarbe an eine Leinwand im Altarbereich zu sprühen. Während der Predigt wird das entstandene Schriftbild übermalt.   

Finsternis im Kirchenschiff. Die Türen zur Sakristei stehen offen. Bilder und Kunstobjekte hängen und stehen an einem Weg entlang, der im Kreuzgang der Alten Universität beginnt und rechts an den Bänken vorbei führt. Mit Taschenlampen gerüstet zieht die Feiertagsgemeinde in die Kirche ein. Sie leuchten — jeder und jede mit einem eigenen Lichtkegel — mal auf den Boden, öfter auf die Bilder in der Dunkelheit unter dem hölzernen Chorboden. Die Kunstwerke scheinen lebendig. Mit der Bewegung der Taschenlampen tanzen die Figuren, treten unter den Schichten an Farbe hervor, oder versinken wieder im Schatten. Neugierig und Andächtig, soweit das beides zugleich möglich ist, läuft die Gemeinde am Gang entlang in Richtung der Tür unter dem Chi-Rho-Monogramm als Symbol des Neuen Testaments. An anderen Tagen spielt diese Tür für den Gottesdienst die entgegengesetzte Rolle: nicht die Gemeinde geht hinein, der Pfarrer tritt heraus.

Durch die Evangeliumstür hindurch tauchen Sie ein in die Tiefen der Seele dieser Kirche. Zumindest fühlen Sie sich so. Sie sehen als erstes ein Gitter, dahinter, im Kerzenschein, unbekannte Objekte, fremde Altäre (und wenn Sie nicht zu den ersten vornweg gehören, andere GottesdienstbeSucher mit ihren Taschenlampen). Sie haben keine andere Wahl, als nach rechts abzubiegen, in einen Seitengang. Pastellbunte dünne Leisten bilden geometrische Muster, versperren nicht den Weg, wohl aber die Sicht auf einige Objekte.

Manches hier hinten ist immer dort. Es gehört zur Ausstattung der Kirche, auch wenn Sie es gewöhnlich nicht zu Gesicht bekommen. Anderes zeigt sich nur heute und nur Ihnen, die Sie da sind.

Sie finden sich auf der anderen Seite des Gitters wieder. Nun haben sie die Wahl, tiefer ins Innere vorzudringen, oder die hereinströmende Gemeinde hinter dem Gitter zu betrachten. Biegen Sie nach rechts ab, kommen Sie durch einen Gang mit Glasfenstern auf der linken Seite. Sie leuchten hindurch: Objekte und Kerzen stehen auf den Fensterbänken. Ihr Lichtkegel trifft auch andere Menschen. Im Gang auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes mit den Fenstern bewegen sie sich gerade auf den Ausgang zu. Deren Licht beleuchtet Sie auch flüchtig.

Kristina Girke, Ausstellungsansicht PALIMPSEST, Universitätskirche Marburg, Foto: Martin Hildebrandt, 2018

Sie kommen in einen Raum mit einem Tisch in der Mitte und einer Ansammlung aus alten und neuen Objekten an den Wänden. Das alte Kreuz der Kirche, dunkel mit einem expressionistischen Jesus daran, teilt sich die Aufmerksamkeit mit neuen, bunten Monstranzen. Sie gehen durch eine Teeküche. Links sehen Sie in einem spitzen Winkel, in der letzten Ecke der Kirche ein Objekt. Es hat einen bunten Sockel und einen Strahlenkranz. Wie es aussieht, besteht es gänzlich aus Fußleisten. Das ist der Heilige Geist. Das wissen Sie nicht. Sie gehen an der gegenüberliegenden Seite des Raumes durch eine Tür und ein Lichtkegel trifft Sie. Durch ein Fenster, einen Raum und ein Zweites Fenster hindurch sehen Sie andere Menschen. Rechts zu Ihren Füßen steht ein kleiner Altar.

Sie verlassen die Sakristei durch die Tür mit einem Siebenarmigen Leuchter als Symbol des Alten Testaments und setzen sich in eine der Bänke. Das Licht brennt nun in der Kirche. Neben dem Altar, der in Folie eingepackt ist, hängen zu beiden Seiten an der Wand Leinwände.

An einem Punkt im Gottesdienst werden Sie gebeten, ein Wort immer und immer zu wiederholen bis Sie es mit Sprühfarbe auf eine Leinwand geschrieben haben. Sie schreiben Ihr Wort.

Download der Predigt

Nach dem Gottesdienst kommen Sie noch mit zur Ausstellungseröffnung in die Galerie Schmalfuß, oder gehen nach Hause.

Text: Johannes Böckmann

Kristina Girke, Ausstellungsansicht PALIMPSEST, Universitätskirche Marburg, Foto: Martin Hildebrandt, 2018

Kristina Girke, Ausstellungsansicht PALIMPSEST, Universitätskirche Marburg, Foto: Martin Hildebrandt, 2018

Kristina Girke, Ausstellungsansicht PALIMPSEST, Universitätskirche Marburg, Foto: Martin Hildebrandt, 2018

PALIMPSEST MIT KRISTINA GIRKE WAR TEIL DER AUSSTELLUNGSREIHE LITURGY SPECIFIC ART