Die Künstlerin und Kunsthistorikerin Lisa Bartling entwarf mit ihrer Collage "Fragen an Weite" aus Zeichnung, Polaroidfotografie und typografischen Elementen die Künsterinnenedition der Taschen zum zweiten Marburger Bildertag. Anlässlich des Bildertags und der Verabschiedung von Prof. Dr. Thomas Erne am 11. und 12. Februar führte Celica Fitz ein Interview mit der Künstlerin über die Bedeutung von Erinnerung und Traum, alten und neuen Medien, Zusammenstellungen und Überlagerungen in ihren Arbeiten in Überschneidungen von Analogem und Digitalem.
Lisa Bartling, Fragen an Weite, Analogitale Collage (2021)
CF: Deine Collage "Fragen an Weite" verbindet verschiedene Medien und inhaltliche Ebenen, die etwas rätselhaft bleiben. In den Gesprächen mit Kolleg*innen aus dem KBI haben einige Wort-Vulkane, andere spiegelnde Bergseen in den unterschiedlichen Bedeutungs- und Medienschichten gesehen. Wie ist die Zusammenstellung dieser visuellen Elemente entstanden?
LB: Gerade bei „Fragen an Weite“ war der Prozess eher intuitiv. Zunächst sind über einen Zeitraum von mehreren Tagen viele kleine Zeichnungen, Skizzen und Schriftfragmente entstanden, wobei ich die Möglichkeit, dass ich diese digital weiterentwickeln könnte, zunächst bewusst ausgeblendet habe. Eine bedeutende Rolle in diesem Prozess hatte dabei ein Song, in dem es um die Schwierigkeit geht, die eigene Existenz grundlegend zu begreifen. Das hat mich thematisch sehr beschäftigt. Darüber hinaus haben auch Erinnerungen an Auslandsaufenthalte und persönliche Begegnungen eine Rolle gespielt. Diesen gedanklichen Hintergrund deutet der Titel „Fragen an Weite“ an. So habe ich mich von einer Assoziation zur nächsten bewegt.
Die entstandenen Elemente habe ich schließlich digitalisiert und dann verschiedene Arten des Collagierens erprobt, wobei auch das Fragment einer Polaroidfotografie Eingang gefunden hat. Die Polaroidfotos spielen bei mir allgemein eine große Rolle, weil sie für mich eine bewusste Hinwendung zu den kleinen, vermeintlich unbedeutenden Dingen in meiner Umwelt darstellen. Das Fotografieren wird dadurch wieder zu einer bewussten Entscheidung für ein Motiv, einem Moment des Wahrnehmens und des „Wach seins“ – und das entspricht auch meinem Blick auf das Zeichnen.
Foto: Lisa Bartling
CF: Welche Rolle spielt für dich das konzentrierte und „wache“ am Zeichnerischen im Verhältnis zu den anderen Medien und Praktiken in deinem Arbeitsprozess?
LB: Alles ist gleichermaßen bedeutend, aber auf unterschiedliche Weise. Während ich das Zeichnen als Akt des Wahrnehmens und der Hinwendung betrachte, bei dem die Auseinandersetzung mit der physisch sichtbaren Welt zentral ist, entsteht durch das digitale Collagieren etwas Neues, was sich von dieser Welt loslöst und ein wenig Fragmenten eines Traums ähnelt. Dabei spiele ich oft mit den Größenverhältnissen der einzelnen Elemente. Abgesehen davon greife ich während des digitalen Arbeitens so wenig wie möglich in die Zeichnungen ein; auch Fehler dürfen bestehen bleiben.
Lisa Bartling, Ohne Titel, Analogitale Collage (2020)
CF: Du arbeitest mit Schrift, Fotografie und Zeichnung und collagierst diese unterschiedlichen Medien gemeinsam zu einem analogitalen Bild, das wie bei deiner Collage aus 2020 mit dem Griff zur Taube ganz neue Geschichten erzählt. Welche Rollen spielen für dich das Analoge, das Digitale und deren Zusammenspiel?
LB: Zwar werden meine Arbeiten digital zusammengefügt, doch bedeutender ist für mich, dass der Ursprung der einzelnen Elemente in der Regel analog ist: Ich zeichne und drucke auf Papier und mache Fotos. Diese Herkunft bleibt sichtbar, was auch daran liegt, dass ich die so entstandenen Elemente im digitalen Arbeitsschritt kaum verändere. Das Digitale weiß ich sehr zu schätzen, da es mir erlaubt, viel auszuprobieren, Altes und Neues immer wieder anders zu verflechten und eine Arbeit nie „fertig“ sein muss – dieser Gedanke gefällt mir.
Letztlich ist es mir dennoch am liebsten, wenn meine Arbeiten wieder in die „echte“, also nicht digitale Welt finden – wie jetzt durch die Tasche für den Bildertag oder als Drucke.
CF: Nun ist deine Collage „Fragen an Weite“ in Form einer Papiertasche vom Digitalen zurück in ein Medium aus Papier und zur Nutzung gekommen. Was hat sich in diesem Prozess an deinem Bild verändert?
LB: Für die Tasche habe ich das Bild um eine kräftige rote Farbfläche und einen Schriftzug erweitert, wodurch es sich in seiner Wirkung vom Ausgangswerk unterscheidet. Das war viel zurückhaltender, „leiser“. Diese Veränderung ist jedoch willkommen, denn ich begreife meine
Bilder in ihrer digitalen Form als Zwischenstände, wo denen aus sie sich weiterentwickeln dürfen. Durch den starken Hintergrund tritt das eigentliche Motiv nun stärker hervor. An die Stelle der leisen, poetischen Wirkung, die viele meiner Arbeiten ausmacht, tritt nun etwas kräftiges, fast schon wuchtiges. Im Entstehungsprozess habe ich mich mit bestimmten Fragen und Gedanken auseinandergesetzt – die manchmal eine große Wucht entfalten konnten. Dieser Aspekt ist durch die Veränderung nun eindrücklicher wahrzunehmen. Dass die Collage nun den Weg auf eine Papiertasche gefunden hat ist sehr passend, denn dadurch ist die Haptik wieder eine ähnliche, wie ich sie während des Zeichnens, beim Umgang mit dem Papier erlebt habe.
CF: Du arbeitest mit viel Symbolik und wiedererkennbaren Elementen, die im Ganzen dennoch etwas unklar bleiben und nicht auf den ersten Blick zu deuten sind. Welche Rolle spielt diese ‚Uneindeutigkeit' in deiner Arbeit?
LB: Einerseits rührt sie ein Stück weit aus dem Prozess, schließlich arbeite ich nicht auf ein eindeutiges Ziel oder eine Aussage hin, höchstens auf eine Bildidee, aber was beim Zeichnen, Fotografieren und schließlich beim Collagieren entsteht, ist nur bedingt vorhersehbar. Dass meine Arbeiten uneindeutig bleiben hat andererseits auch mit einer persönlichen Auffassung zu tun: Viele Fragen, die man sich als Mensch stellt, lassen sich nicht absolut beantworten – zumindest glaube ich nicht daran. Die Fragen, die mich im Entstehungsprozess beschäftigen, spiegeln sich in meinen Werken wider, die als traumartige Bilder für mich den Antworten schon so nahe kommen und so eindeutig sind, wie es mir möglich erscheint.
Lisa Bartling, Ohne Titel, Analogitale Collage (2020)
CF: In der Vorbereitung der Taschenedition zum Bildertag hast du davon gesprochen, dass du die Collage „Fragen an Weite“ ausgesucht hast, da du sie so "schön uneindeutig" findest. Was hat dich dazu bewogen gerade diese Arbeit für die Edition vorzustellen?
LB: Mir erschien gerade diese Arbeit für den Kontext des Evangelischen Bildertags sehr interessant, weil Elemente erkennbar sind, die für eine Rezeption im theologischen Kontext als Anknüpfungspunkte dienen können. Dabei bleibt die Arbeit aber autonom, ordnet sich nicht unter, bleibt uneindeutig. Auch Religion verstehe ich weniger als etwas, das eindeutige Antworten liefern sollte, denn als etwas, das das Suchen, sich annähern begleitet, in dem sie Narrative und Bilder anbietet, die unterschiedlich gedeutet werden können und so individuell das Suchen nach Antworten begleiten kann. In ähnlicher Weise fasse ich auch meine Arbeiten auf – unterschiedliche Deutungen sind immer erwünscht. Natürlich beeinflusst der Kontext, in dem man einem Werk begegnet, die Wahrnehmung und Deutung. Daher ist es für mich persönlich spannend, das Werk nun im Zusammenhang des Bildertags zu erleben: Es erlaubt mir, neue Fragen und Gedanken an das Werk heranzutragen und es unter anderen Gesichtspunkten zu lesen. Und ich hoffe, dass auch die Besucher*innen der Tagung entweder Verknüpfungen zu den Inhalten des Bildertags herstellen können – oder dass fruchtbare Brüche entstehen.
LISA BARTLING
Lisa Bartling studierte an der Philipps-Universität Marburg den Bachelor Kunstgeschichte und den Master Bildende Kunst – Künstlerische Konzeptionen. Sie forscht und arbeitet zur Ästhetik von Religionen in den Medien der Wissenschaft und der Künste und war 2021 bis 2022 als freie Mitarbeiterin an Ausstellungen, Tagungsplanungen und Kunstaktionen des Instituts für Kirchenbau und kirchlicher Kunst der Gegenwart kuratorisch, konzeptuell und künstlerisch tätig.
Herzlichen Dank an Lisa Bartling für das Interview und die Möglichkeit ihre Arbeiten in diesem Kontext zeigen und thematisieren zu dürfen.
Foto: © Lisa Bartling
Text: Lisa Bartling und Celica Fitz
Instagram: @lisa.bartling_visual.arts