Ob der Altar als heilig angesehen werden soll, darüber gehen die Meinungen nicht nur zwischen den Konfessionen, sondern sogar zwischen den unterschiedlichen Ausprägungen des Protestantismus auseinander. Seiner langen Geschichte nach war der Altar in verschiedenen Religionen schon vieles: Opferstätte, Thron Gottes, Symbol Christi, Reliquienschrein, Esstisch, und je nachdem gab man ihm seine Gestalt. Er war ein Ort, der eine Beziehung zum Göttlichen herstellte.
Im frühen Christentum war es die Funktion des Esstisches, die die Form des Altars und den Umgang mit ihm bestimmte, – in Abgrenzung zu den Kulten der umgebenden Religionen. Es konnte ein beliebiger Tisch im Haus eines Christen der Gemeinde verwendet werden, der für die Mahlfeier gedeckt wurde. Nicht der Tisch, sondern die Gaben waren das Entscheidende.
Gegen Ende des 2. Jahrhunderts entstanden erste kirchliche Gebäude mit dafür angefertigtem Altartisch, neben Bischofssitz und Lesepult. Zwischen dem 4.- und 8. Jahrhundert entwickelten sich Tisch-, Kasten- und Blockaltäre. Der Altar als solcher bekommt zunehmend eine eigene Symbolik, die sich theologisch immer mehr ausdifferenziert.
Über die Geschichte des christlichen Altars:
Braun, Joseph, Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung.
Teil 1.: Arten, Bestandteile, Altargrab, Weihe, Symbolik
Teil 2: Die Ausstattung des Altares, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken
München : Alte Meister Koch & Co., 1924
Die Bedeutsamkeit eines Altars hat sich im Bewusstsein der Menschen verankert und daher wird der Altar in einer Kirche immer besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, egal ob man ihn als heilig bezeichnet oder nicht. Mit Bedacht wird in reformierten Kirchen ein einfacher hölzerner Tisch für das Abendmahl herbeigeholt und kann danach wieder weggestellt werden.
In den lutherischen Kirchen trifft man auf Block- und Kastenaltar mit und ohne Retabel, steinere Abendmahlstische und Kanzelaltäre.
Im Kirchenbau der Nachkriegszeit hatte man eine Vorliebe für massive Steinaltäre, entweder in Block- oderin Tischform auf erhöhtem Standort, während sich ab den späten 1960er Jahren ein Hang zu Leichterem abzeichnet. Es gibt aus Beton gegossene Formen, die mit den architektonischen Formen des Umraums verschmelzen und hölzerne Tischaltäre, die transportabel sein konnten. Künstler und Gestalter ordneten sich der Architektur unter.
Seit den 1990er Jahren trifft man auf Gestaltungen, die einen eigenen Akzent setzen mit einer künstlerischen Aussage und mit Selbstbewusstsein gegenüber dem Raum. Das liegt daran, dass freie Künstler beauftragt wurden, die Prinzipalstücke für einen Kirchenraum zu entwickeln. Meist in kleineren Wettbewerben und mit Unterstützung der Kunstbeauftragten der Evangelischen Landeskirchen sind daraus interessante Kunstwerke und gleichzeitig hochwertige Altarräume entstanden.
Die Gemeinde blickt während des Gottesdienstes viele Minuten auf den Altarbereich, und das Jahr um Jahr. So beschäftigen sich die Menschen intensiver als an jedem anderen Ort mit den dort sichtbaren Objekten. Und es ist eine innere Verfasstheit gegeben, die Dinge ernst nehmen will. Es geht nicht um den schnellen Effekt und die Kurzweil. Dies stellt einen Anspruch an die Künstler, dem man sich gewachsen fühlen muss. Manche Künstler haben eine besondere Einfühlsamkeit für spirituelle Zusammenhänge, die sich in allen ihren Werken manifestiert. Ihnen fällt es nicht schwer, für eine Kirche zu arbeiten.
Aus den unterschiedlichsten Materialien sind Altäre entstanden, aus Stein und Holz, aus Glas und Metall, aus Keramik und Wachs. Wir werden in den nächsten Ausgaben vom „Künstler des Monats“ einige Altäre von Künstlern vorstellen.
Im Jahr 2012 gewann das Künstlerpaar Lutzenberger & Lutzenberger den Wettbewerb für Altar und Ambo in der Annenkirche mit dem Konzept, die Prinzipalstücke aus Wachs zu fertigen. Die Herstellung war kompliziert und gelang nicht auf Anhieb. Das Wachs wurde in großen Kesseln bis zur Flüssigkeit erhitzt, rote Pigmente wurden eingemischt. Das gesamte Wachs wurde auf einmal in die Form gegossen. Beim Gießen kühlte das Wachs unterschiedlich schnell ab, in der Mitte am langsamsten, dort blieb es dunkler. Dadurch erklärt sich die changierende Rottönung. Man blickt in eine pulsierende Farbe von Rot, zwischen vielen Nuancen oszillierend vom Bräunlichen bis ins Orangerot, von Blut- zu Feuerrot. Die weiche Haut des Altars ist empfindlich für Kerben, Kratzer, sie wird Alterungsspuren bekommen.
Für die Gestaltung des Altars und Ambos in der St. Annenkirche erhielt das Künstlerpaar Lutzenberger & Lutzenberger 2014 den Kunstpreis der Ev. Landeskirche Bayern:
„Die St. Annakirche in Augsburg ist ein Kulturerbe von europäischem Rang. Der Entwurf Lutzenberger + Lutzenberger fügt sich stimmig in den historischen und inhaltlich komplex aufgeladenen Raum ein. Er führt innovativ in hoher Sensibilität im Raum Vorhandenes (Material, Oberflächen, Farbigkeit, Ornament) zusammen und behauptet sich als neues und wichtiges liturgisches Objekt aus dem 21. Jahrhundert. In den Proportionen, der geglückten Interaktion von Ambo und Altar, der Wärme und Verletzlichkeit des Materials teilt sich eine kraftvolle künstlerische Position der heutigen Zeit mit.“
Fotos: Klaus Lipa, Diedorf, ©Ev.-Luth.Landeskirche in Bayern, Lutzenberger + Lutzenberger
www.lutzenberger-lutzenberger.de
In den frühen 90er Jahren hatte die Künstlerin Brigitte Trennhaus für die Dorfkirche in Neuhartmannsdorf im Spreewald ein Konzept mit Bienenwachs und Blütenstaub entwickelt. Beides ist typisch für die Region. Aus ca. 1000 Kilo Bienenwachs der Gegend goss sie den Altar in Schichten, die zwischendurch immer wieder trocknen mussten. Die Dorfbewohner konnten Erinnerungsstücke und ihnen am Herzen liegende kleine Dinge darin eingießen lassen. Rund drei Monate dauerte der Herstellungsprozess. Auch die Wand hinter dem Altar wurde mit vielen Wachsschichten überzogen.
Bienenwachs wird als etwas Kostbares empfunden. Ihm werden heilendeKräfte zugeschrieben. Es duftet und man kann es nicht betrachten, ohne Bewunderung für seine Entstehung zu empfinden. Seine Verwendung ist auch eine Verneigung vor der Schöpfung. Als “zukunftsweisendes Zeitzeugnis” wurde dieses ungewöhnliche Kunstwerk damals von der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst ausgezeichnet.
(Mittlerweile wurde in Neuhartmannsdorf ein Nachfolgealtar gegossen – beim „Prototyp“ hatten sich Verfallserscheinungen gezeigt in Form von Rissen und Sprüngen. Der Brandenburger Landesimkerverband hat von Imkern aus ganz Deutschland über 600 Kilo Bienenwachs gespendet bekommen. Bienenwachs ist teuer, es zu kaufen konnte sich die Gemeinde nicht leisten. Zusammen mit den Resten des alten Altars ist nun ausreichend Bienenwachs für den Nachfolgealtar vorhanden.)www.trennhaus.de
(Foto: EKBO)