Künstlerin des Monats: Alexandra Leibmann

Die junge Künstlerin Alexandra Leibmann beeindruckt mit ihrem Kurz-Dokumentarfilm METZGERGRÜN, der im Rahmen der Examensausstellung von der Kasseler Kunsthochschule im Dezember 2022 in der documenta-Halle im Setting eines heimeligen Wohnzimmers gezeigt wurde, eine Installation, die im starken Kontrast zum Filminhalt steht. METZGERGRÜN handelt von Wohn(t)räumen in der Sonnenstadt Freiburg im Breisgau. Subtil, bild- und wortgewaltig wird die Frage nach der Würde des Menschen, die Sinnfrage in der Brüchigkeit von Wohnsituationen im Kontext von Gentrifizierung thematisiert. Zur Sprache kommen Menschen aus unterschiedlichen Milieus. Im Mittelpunkt stehen die Bewohner:innen des sozialen Brennpunktviertels “Metzgergrün”, dessen günstige Mietshäuser der Abrissbirne zugunsten luxuriöser Appartementhäuser zum Opfer fallen sollen und mittlerweile gefallen sind.
Dazu werden wir mehr in diesem Interview von der Filmerin direkt erfahren. Doch zunächst möchte ich die Künstlerin kurz vorstellen:
Alexandra wurde in Sibirien geboren und wuchs in Aschaffenburg auf. 2015-2023 studierte sie in Kassel visuelle Kommunikation und widmete sich neben der Fotografie insbesondere dem dokumentarischen Film. 2019 gewann sie mit ihrem ersten Kurzdokumentarfilm „Jungs von der Kante“ den Rundgang-Preis der Universitätsgesellschaft Kassel und nahm an einigen Filmfestivals teil. Die Jahre 2020/21 verbrachte sie an der School of Fine Arts in Athen. In Anschluss daran zog sie nach Freiburg, um ihren Abschlussfilm METZGERGRÜN umzusetzen, mit dem sie 2022 ihr Studium beendete.

Nun werfen wir gemeinsam einen Blick auf ihr Filmprojekt METZGERGRÜN:

CB: Liebe Alexandra, schön, dass Du Dich dazu bereit erklärt hast, dieses Interview mit mir zu führen. Könntest Du zunächst Deine künstlerische Arbeit, Deinen Film METZGERGRÜN, kurz vorstellen und uns erzählen, was Dein Selbstverständnis als Künstlerin und Dokumentarfilmerin ist und wie Du zu Deinem Filmprojekt in Freiburg im Breisgau gekommen bist?

AL: Hallo Christina, danke für die Einladung zu diesem Interview. Meine Herangehensweise ans künstlerische Arbeiten und an das Filmemachen kann man als ziemlich intuitiv bezeichnen. Ich lasse mich gerne durch den Schaffensprozess treiben, von „Zufällen“ inspirieren und leiten. So ist auch der Dokumentarfilm METZGERGRÜN entstanden. Ich bin aus einer Laune heraus nach Freiburg gezogen und habe dort meine neugierigen Augen nach einem Thema, welches sich für einen Film eignet, offen gehalten. Ich bin in ein Viertel gezogen, welches stark gentrifiziert wird, in die Nähe von einer idyllischen Sozialbausiedlung namens Metzgergrün, die bald abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden soll. Parallel habe ich angefangen als Videografin für eine Interior Designerin zu arbeiten und war mit ihr in luxuriösen Villen unterwegs. Dieser Kontrast prägte meinen Alltag und gab mir die Grundlage für den Film.

CB: Dein Film sollte erst – wahrscheinlich aufgrund der wahrgenommenen sozialen Kontraste – „Wohn(t)raum“ heißen. Du hast Dich aber dann doch für „Metzgergrün“ entschieden, was fast wie ein sprechender Name anmutet, warum?

AL: Anfangs war die Idee verschiedenen Wohnwelten; Wohnträume und Wohnräume in Freiburg zu dokumentieren. Das habe ich auch getan, es kommen unterschiedliche Menschen und Wohnsituationen zu Wort und Bild. Die Geschichte vom Metzgergrün bildet aber den Kern des Films und hat auch die stärkste Aussagekraft. Was im Metzgergrün geschieht, ist nur ein kleiner Ausschnitt von unserer allgemeinen Wohnpolitik in Deutschland und steht exemplarisch dafür, welche Gruppe von Menschen unter Gentrifizierung leidet. Außerdem gefällt mir der Name Metzgergrün, er ist sehr sinnbildlich. Das Wohngebiet ist schön grün und lebendig und wird nun von der Freiburger Stadtbau abgeschlachtet – sehr symbolisch.

CB: In METZGERGRÜN geht es um soziale Ungleichheiten, um Macht und Ohnmacht der Bevölkerung, deren Stadtteil quasi niedergemetzelt wird. Mit welchen Techniken bringst Du diese zur Darstellung? Was möchtest Du dadurch vermitteln?

AL: Also das offensichtliche ist ja das gesagte Wort. Es wird an bestimmten Stellen im Film deutlich, wer sich in einer Macht, bzw Ohnmachtsposition befindet. Das weniger Offensichtliche sind Bilder wie der Schatten eines Wäscheständers, verwitterte Gartenfiguren, eine trübe Wetterstimmung. Es gibt zwei Gesangseinlagen, performt von zwei Sopranistinnen und Flötenspielerinnen aus dem Metzgergrün. Eine Passage von „Oh wie ist es kalt geworden“ von Hoffmann von Fallersleben, beschreibt meiner Meinung nach die Ohnmacht ganz gut, in der sich die Bewohner:innen befinden. Man könnte den Winter hier symbolisch für den Abriss und Verlust des eigenen Zuhauses verstehen, der über einen hereinbricht und den Frühling als die Sehnsucht nach Geborgenheit und Sicherheit.

Oh, wie ist es kalt geworden
Und so traurig öd und leer.
Raue Winde weh’n von Norden
Und die Sonne scheint nicht mehr.

Schöner Frühling komm doch wieder
Lieber Frühling komm doch bald.
Bring uns Blumen, Laub und Lieder
Schmücke wieder Feld und Wald.

CB: Der Film stellt auf sehr berührende Weise die Frage nach der Menschenwürde, nach Legalität und Legitimität jenseits von Beruf, Prestige und Kapital. Wer kann und darf sich ein Zuhause haben, in dem er:sie sich sicher und wohl fühlt, sich regenerieren kann. Was sind Deine eigenen Antworten auf diese Frage in Hinblick auf die Gentrifizierung wie sie in überaus vielen Teilen Deutschlands stattfindet? Im Film wird mitunter das Mietshäuser Syndikat und genossenschaftliche Wohnen thematisiert. Wäre dies eine Lösung?

AL: Zumindest ist das Mietshäuser Syndikat eine Möglichkeit, über langen Zeitraum hinweg zu einem fairen und stabilen Mietpreis zu wohnen. Es sollte aber eigentlich in der Verantwortung der Stadt/ des Staates liegen, günstigen und sozialen Wohnraum bereit zu stellen, anstatt die Bestimmung der Mietpreise einem konkurrierenden Markt zu überlassen. Die Mietpreise in Deutschland stehen in keinem Verhältnis zu dem Einkommen und Diskriminierungen, die auf dem Wohnungsmarkt herrschen, erschweren es vielen Menschen ungemein eine Wohnung zu finden.

CB: Was hast Du selbst über Sinn und Bedeutung von Wohnung und Wohnraum aus Deiner Zeit in Freiburg mitgenommen?

AL: Ich selbst wechsele oft meinen Wohnort und ich dachte immer, ich habe wenig Bezug zu einem dauerhaften Zuhause. Durch das Filmprojekt ist mir aber klar geworden, dass ich nur deshalb so häufig und angstfrei meinen Wohnort wechseln kann, weil mir ein wahres und behütetes Zuhause von meinen Eltern gegeben ist. Meine Eltern sind vor einigen Jahren in ein eigenes Haus gezogen und dort stehen die Türen immer offen für mich, komme was wolle. Sicherheit und die Möglichkeit etwas zu wagen, meinen Wohnort zu wechseln oder auch mal keinen festen Wohnort zu haben. Umso mehr ist mir bewusst geworden, dass viele Menschen dieses Privileg nicht haben und daher auf ein sicheres und beständiges Zuhause angewiesen sind. Bricht diese Sicherheit weg, fühlt man sich schnell in der eigenen Existenz bedroht.

CB: Wie hast Du selbst das Leben im Stadtteil Metzgergrün, dass gemäß der Aussage einer Bewohnerin von Akzeptanz und Toleranz geprägt ist, wahrgenommen? Ich stelle mir die Wohnsituation dort ambivalent vor.

AL: Ich würde schon behaupten, dass diese Aussage zutrifft. Natürlich gibt es aber auch Ausnahmefälle. Ich habe auch einen älteren Herrn aus dem Viertel interviewt, der sehr verbittert und hasserfüllt war. Er hat auch davon erzählt, wie er früher gewalttätig war. Außerdem hatte er einen pauschalen Hass auf Ausländer:innen. Es war eine krasse Erfahrung bei diesem Menschen im Wohnzimmer zu sitzen und mich mit seinem Mindset zu konfrontieren. Im Endeffekt war aber auch das eine sehr wertvolle Erfahrung für mich, denn im Verlauf des Gesprächs eröffnete dieser Mann mir und meinem Kameramann Toni auch eine weiche Seite von sich und wurde auch offen dafür, mir zuzuhören und war am Ende des Tages sehr dankbar und herzlich, auf seine Art. Durch solche Fälle lerne ich einem Menschen trotz einer Lebenseinstellung und Moral, die mit meiner nicht einhergeht, empathisch zu begegnen.
Insgesamt war mein Eindruck von den meisten nachbarschaftlichen Beziehungen aber tatsächlich so, dass die Menschen sehr vernetzt miteinander sind, sich gegenseitig besuchen, gemeinsam Gartenfeste veranstalten oder abends am Lagerfeuer sitzen. Viele Menschen unterstützen sich gegenseitig bei Angelegenheiten. Es gibt auch einige alte Menschen, die die Wohnung nicht mehr verlassen können und von ihren Nachbar:innen versorgt werden.

CB: Was hat Dich besonders beim Dreh des Filmes herausgefordert? Was waren wichtige Entscheidungen, die Du während des Projektes treffen musstest?

AL: Der Dreh verlief sehr geschmeidig. Vieles ist uns spontan und unkompliziert gelungen. Die eigentlichen Entscheidungen kamen dann beim Schnitt auf mich zu: Die Menschen so darzustellen, wie sie sich auch selbst sehen wollen, wie sie sich selbst treu bleiben. Ich möchte mit diesem Film eine Kritik äußern, möchte aber niemandem persönlich damit Schaden zufügen. Dies ist eine Gradwanderung und eine sehr spannende Herausforderung im Schnittprozess.

CB: Welche Bilder und Szenen findest Du selbst besonders stark und warum?

AL: Die letzten Worte von einer Bewohnerin, die über die Würde des Menschen spricht. Ich habe diese Szene jetzt an die tausend Mal gesehen und es gibt immer noch Tage, an denen sie mich sehr berührt. Und dann noch die Diskussion mit den Stadträten. Das war ein Glück, dass sich hier die Politiker so authentisch vor der Kamera gezeigt haben. Die Szene ist sehr stark und wichtig für den gesamten Film, denn sie bringt das Machtverhältnis auf den Punkt.

CB: Welche Reaktionen ruft der Film beim Publikum, bei Menschen, die im Film vorkommen, hervor? Welche Rückmeldungen erreichen Dich seitens der Zuschauer:innen?

AL: Eine Frau meinte letztens, dass der Film ein schweres Thema mit einer spielerischen Leichtigkeit transportiert, das fand ich eine schöne Beschreibung. Der Film kann die Zuschauer:innen auch wütend stimmen. Ich finde es gut, wenn Unbehagen, Frust und Wut erzeugt werden und hoffe, dass auch die Portion Humor, die der Film besitzt, mittransportiert wird. Gerne würde ich aber auch die Menschen erreichen, die in Machtpositionen sitzen und Entscheidungen über Wohnsituationen Anderer treffen und ihnen die Möglichkeit bieten, durch das Miterleben der Geschichte und der Charaktere, deren Realität zu erleben. Die Protagonist:innen selbst sind sehr glücklich und dankbar, dass ich auf sie zugekommen bin für dieses Projekt. Sie haben dadurch eine Stimme bekommen, die vorher nicht gehört wurde.

CB: Inwiefern hat sich durch Dein Filmprojekt „Metzgergrün“ Dein Blick auf Freiburg verändert?

AL: Gute Frage. Ich sehe diese heile Welt in Freiburg schon kritisch. Mir erscheint eine Stadt nicht interessant, wenn gesellschaftliche Probleme unter den Teppich gekehrt werden. Ich persönlich brauche die Konfrontation mit den Dingen, die schief laufen. Ich war genervt vom spießbürgerlichen Freiburg, als ich dort wegzog. Mir kam die Stadt „mehr Schein als Sein“ vor. Naja, jetzt mit etwas Abstand betrachtet, sehe ich schon, was es an Freiburg zu wertschätzen gibt. Die Ästhetik der Stadt und die Natur drumherum sind schon einzigartig. Ich werde sicherlich öfter mal dort Urlaub machen.

CB: Was wird aus den Bewohner:innen des Metzgergrüns und was wünscht Du Dir für die Menschen in Zukunft?

AL: Tja, viele sind schon ausgezogen und suchen sich eine neue Bleibe. Die meisten gehen sehr verwundet und gebrochen aus der ganzen Sache raus. Ich wünsche mir natürlich, dass sie auch in ihrem neuen Zuhause ein bisschen Metzgergrün für sich finden oder selbst gestalten können.

CB: Liebe Alexandra, vielen herzlichen Dank für das Interview, die Einblicke in Dein wunderbares Filmprojekt, das einen anderen Blick auf die Sonnenstadt Freiburg wirft, zum Nachdenken und zu Veränderungen anregt! Schön, dass Du uns für den Beitrag außerdem einige Videostills ausgesucht und zur Verfügung gestellt hast.

 

Weitere Infos zu Alexandra Leibmann unter:

https://leilexia.de