THOMAS RÖTHEL
Filigran, feinverästelt, schwebend, – die Gebilde des Künstlers Thomas Röthel bestehen allerdings aus Stahl. Wie es Röthel gelingt, dem schwer zu bändigenden Material Stahl diese sensiblen Eigenschaften zu entringen, ist ein bewundernswerter Akt der Könnerschaft.
Der Prozess, aus dem die Stahlskulpturen entstehen, hat etwas Archaisches, sogar Dämonisches: der gefährliche Umgang mit dem Feuer bei Temperaturen von über 1000 Grad, denn erst bei dieser immensen Hitze lässt sich der Stahl biegen und formen. Die Herstellung dieser Kunstwerke ist als solche ein existentiell berührendes Ereignis, das so manche Kunstperformance in den Schatten stellt.
Es braucht Nerven und Kraft, um das Material zu handhaben, das bei großen Arbeiten Tonnen wiegt. Bei den kleineren Skulpturen, die Röthel mit einem handlichen Werkzeug formt, ist es immer noch widerständig und außerdem glühend heiß. Der Grat zwischen Gelingen und Scheitern ist schmal, denn der weiche Stahl kann auch brechen. Für die großen Volumen der Außenskulpturen braucht Röthel schweres Gerät. Da kommt es dem Künstler zugute, dass er auf dem Land lebt und die ansässigen Landwirte mit Radladern zur Stelle sein können. Er dirigiert dann hochkonzentriert die Einsätze der Menschen und Maschinen, denn alles muss auf Anhieb stimmen, Nachkorrekturen sind nicht möglich.
Zur Verwirklichung der unverkennbaren Charakteristik seiner Skulpturen setzt Röthel eine mehrstufige handwerkliche Technik ein. Zunächst werden mehrere Stahlplatten aufeinander geschweißt, um sie dann an vorbereiteten Bruchstellen entlang in glühendem Zustand zu dehnen bis sie kontrolliert auseinander reißen. Dann werden sie weiter in mehreren Schritten, Drehung um Drehung, in ihre verzweigten Verästelungen gedehnt und gezogen.
Das gewollte Zerreißen des Stahls ist ein schöpferischer Akt, der intuitiv, nämlich in Stärke, Dynamik und Zugriff erst im Moment des Geschehens passiert und der Mut erfordert. Ohne gründliche Vorbereitung durch Skizzen, Entwürfe und praktische Versuche anhand kleiner Stahlobjekte würde das nicht gelingen.
Es läßt sich die kontinuierliche, in sich schlüssige Entwicklung von Roethels skulpturalem Stil über die Jahre nachverfolgen ,- der jetzige Formenkanon hat sich stufenweise entwickelt , die Stelen wurden immer filigraner und wagemutiger. Auch eine Meisterschaft im Handwerklichen ist hier gewachsen.
Von dem Kraftakt der Entstehung ist Roehtels Werken zwar nichts mehr anzusehen, aber sie machen auch nicht den Eindruck dekorativer Spielerei. Mimetisches Abbilden ist nicht sein Ziel, seine Werke setzen eine Linie der Bildhauerei zwischen figürlicher Abstraktion und rein geometrischen Formen fort. Roethels Werke sind Experimente und Versuchsreihen über die Themen Linie und Fläche, Steigen und Fallen, Leichtigkeit und Schwere, Stillstand und Bewegung, Introvertiertheit und Expressivität.
Seine Werke zeigen mal grafische Eigenarten, mal dichte geschlossene Volumen. Es geht einerseits um in sich ruhende Gestaltungen, andererseits auch um flirrende unstete Erscheinungen – so gegensätzlich und zugleich verwandt sind diese Aspekte wie Stein und Pflanze und seine Skulpturen wirken wie herausgewachsen aus der Natur. Nicht zuletzt deswegen kann man viele seiner Werke in renommierten Skulpturengärten finden.
Eine beeindruckenden Installation seiner Werke in und um das Münster in Heilsbronn im Jahr 2012 ist in einem Katalog dokumentiert und zeigt das spirituelle Potential seiner Arbeiten.
Text: Claudia Breinl/Fotos: mit freundlicher Genehmigung des Künstlers
Aktuelle Ausstellungen: Thomas Röthel & Hai Yan Waldmann-Wang , Kunstverein Bad Nauheim, 29. 8. – 27.9. 2015
Thomas Röthel und Helge Hommes, Galerie Schmalfuss Marburg/Berlin, 4.9. – 17.10. 2015