Künstler des Monats – Miguel Rothschild

Besucher von Miguel Rothschilds Ausstellungen werden zunächst von der Schönheit und Anmut seiner Werke in ihren Bann gezogen. Dramatisch bewegte Meereswogen, stimmungsvolle Sternenhimmel und melancholisch graue Regenwolken sind wiederkehrende Motive in seinen Arbeiten, mit denen der Künstler seinem Interesse fürs Geheimnisvolle, Unerklärliche und Tragische Ausdruck verleiht.

Doch beim näheren Hinschauen wird der Blick der Besucher irritiert: Die Sonnenreflexionen auf der Meeresoberfläche erweisen sich als Strass, das Funkeln des Sternenhimmels wird von kleinen Stecknadeln und Nägeln verursacht und der vom Himmel herunterprasselnde Regen entpuppt sich als eine Reihe transparenter Plastikstrohhalme.

Ernsthaftigkeit trifft in Miguel Rothschilds Arbeiten auf Humor, Erhabenes auf Alltägliches. Seine Faszination fürs Irrationale und Mystische führte ihn zur Auseinandersetzung mit der Kunst der deutschen Romantik, zu der er ein zwiespältiges Verhältnis entwickelt hat. Um diesem Verhältnis Ausdruck zu verleihen, entwickelte er ein ironisches ästhetisches Spiel mit Gegensätzen und Widersprüchen.

2010 fotografierte der Künstler gotische Kirchenfenster weltberühmter Kathedralen mit ornamentalen Strukturen. Die kreisförmigen Fenster mit floralen Mustern durchlöcherte der Künstler ebenfalls und gab ihnen würdevolle schwarze Rahmungen. Die Ausstanzungen haben den sakralen Darstellungen eine neue bläschenartige Struktur gegeben und offenbaren zugleich den Blick auf die farbige Rückseite des Bildes.

In Transfiguration in Notre-Dame de Paris hingegen ziehen sich bunte Angelschnüre, deren Tönung sich genau nach der Bildvorlage richtet, durch die Kirchenfenster. Sie fallen wie Haarmähnen aus dem Bildraum und breiten sich den Betrachtern zu ihren Füßen aus.

 

Das Durchlöchern der Bildoberflächen und das Überschreiten der Bildgrenzen mit herabhängenden Nylonfäden bringt die religiöse Thematik aus dem Illusionsraum in die Realität. Ilusionsbrüche gehörten schon in der Romantik zu einem wesentlichen Merkmal der romantischen Ironie. Friedrich Schlegel formulierte ein ästhetisches Verfahren, das die Produktionsbedingungen von Kunst mit Inhaltlichen und formalen Brüchen reflektieren sollte.

 

Weiter heißt es bei Schlegel, dass die Ironie eine wichtige vermittelnde Position zwischen Selbstschöpfung und Selbstvernichtung einnehme. In diesem Spannungsverhältnis zwischen dem schöpferischen Streben und dem sich korrigierenden Streben entsteht schöpferische Kraft. Sie drückt das Verhältnis des Autors zu seinem Werk aus und ermöglicht ihm, eine künstlerische Distanz einzunehmen. In diesem Sinne kann Miguel Rothschild als ein postmoderner Romantiker verstanden werden, der gekonnt romantische Ansprüche in die Gegenwart übersetzt.

Eine ebenfalls spielerische Herangehensweise an religiöse Inhalte hat Miguel Rothschild mit seinen Sebastian-Arbeiten entwickelt. Auf Pflaster gedruckt, als Girlande aufgehängt oder in einer Strohhalminstallation gesteckt, hat der Künstler historische Gemälde des hl. Sebastian verarbeitet. In “Con penas ni gloria” (2008) werden die Ausstellungsbesucher zudem auf besondere Weise angesprochen, indem sie das auf den Boden gefallene Konfetti aufheben können, um “sich ein Bild von der Echtheit [der Wunden] zu machen und so zum Reliquiensammler werden”, interpretiert die Schriftstellerin Maria Cecilia Barbetta. Die Tragik des Schicksals des hl. Sebastians wird in diesen Arbeiten mit dezentem Humor durchbrochen, um der Tragödie etwas Licht zu verleihen.

Diese und weitere religiös motivierte Arbeiten des Künstlers mögen provozieren, doch vielmehr sind sie als eine alternative Perspektive auf bestehende christliche Dogmen zu verstehen, sagt der Künstler.

2018 zeigte Rothschild in der Stiftung St. Matthäus in Berlin seine Perspektive auf den Psalm 130. In seiner Arbeit De Profundis, die in der Fastenzeit gezeigt wurde, verdeckte eine herabfallende Stoffbahn mit einer aufgedruckten tief blauen Wasseroberfläche den Altar. Der 850 x 400 cm große Stoff war vom höchsten Punkt der Apsis aus an 1500 Angelschnüren aufgehängt. Die transparenten Schnüre glichen einem Lichtstrahl, der den aufgedruckten Wellen mehr Volumen zu verleihen schien. Die Meereswogen glichen einem Wasserfall oder einer Himmelstreppe, die den Altar wie ein Fastentuch verdeckte. Inhaltliche Gegensätze wie Oberfläche und Tiefe, Gelassenheit und Bedrohung, Verzweiflung und Glauben erzeugen in dieser Installation ein Spannungsverhältnis, das die Kirchenbesucher mit existenziellen Fragen konfrontiert.

Mit Bischof und Künstler Hermann Glettler aus Graz gesprochen, kann Kunst im kirchlichen Kontext einen Anstoß bieten, die eigene Wahrnehmung für Veränderungen zu trainieren und eine Haltung zu ihnen zu entwickeln. Miguel Rothschilds Arbeiten sind in dieser Hinsicht eine Einladung an die Rezipienten seiner Werke, scheinbare Gewissheiten zu hinterfragen und neue Sichtweisen auf vermeintlich Bekanntes zu entwickeln.

Aktuell zeigt die Galerie Kuckei + Kuckei in Berlin eine Einzelausstellung von Miguel Rothschild mit dem Titel Geist.

Text: Dorothea von Kiedrowski

Bilder: Miguel Rothschild

www.miguelrothschild.de

www.kuckei-kuckei.de