Künstler des Monats März 2016 – HERMAN DE VRIES

Herman de Vries

“Natur ist sich selber genug und soll dem Menschen auch genug sein. Was wir von der Natur noch um uns finden können (ich sage bewußt nicht ‘haben’) hat keine menschlichen Zufügungen nötig. Sie ist sich selbst – und für uns eine Offenbarung…”

Heilige Orte gibt es seit den frühesten Kulturen. Sie befanden sich an landschaftlich besonderen Stellen. Man betrat solche Orte nicht gedankenlos, sondern mit Ehrfurcht und bestimmten Regeln folgend. Dasstrenge Zutrittsreglement erhielt den Zauber und die Verheißung solcher Orte.

Der Künstler herman de vries erklärt heute Orte zu Sanctuarien. Er umzäunt oder ummauert sie, damit sich die eingehegte Natur darin frei enfalten kann. Es sind relativ kleine Bereiche mal im Niemandsland zwischen stark befahrenen Straßen, mal in gepflegten Parkanlagen, zuletzt auf der Biennale in Venedigs Lagune eine kleine Insel. Die Ausdehnung ist so gering bemessen, dass sich die Wirkung eines dreidimensionalen Bildes auf den Betrachter einstellt: Es ist ein Gegenbild zur alltäglichen Lebensumgebung und eine Mahnung.

Herman de vries´ Biografie ist so spannend und führt so stimmig zu seiner Art, Kunst zu machen, dass es ein Versäumnis wäre, einen Text über seine Werke nicht mit ihr zu verbinden. 1931  geboren im holländischen Alkmaar, macht er als junger Mann eine Gärtnerausbildung. 1952 wird er Gründungsmitglied des niederländischen Vereins für Säugetierkunde und  Mitarbeiter des „Instituts für angewandte biologische Forschung in der Natur“ in Arnheim. 1953 beginnt er mit seiner künstlerischen Tätigkeit. Es sind zunächst  stilistisch der konkreten Kunst verwandte, serielle, materialbezogene, stets weiße Arbeiten mit reliefierten Mustern und Streuungen, die nach mathematisch kalkulierten Regeln entstehen. 1959 bildet  er gemeinsam mit Jan Schoonhoven, Armando, Henk Peeters, Kees van Bohemen und Jan Henderikse die Gruppe niederländischer Informeller, die 1960 zur Gruppe „nul“ wird und der deutschen Gruppe Zero nahesteht. Sie geben die Künstlerzeitschrift revue 0=nul und die revue integration heraus.

Ab 1967 reist De Vries dann viele Jahre in den Orient und nach Osteuropa, Nepal, Indien, und den Senegal.  Er schreibt und dichtet darüber in Briefen, Postkartenserien, Fotoserien, er sammelt „Fundstücke“ und ordnet sie nach Fundorten und Zeiten und lässt so seine Alltagsbeobachtungen zu Feldforschungen und zugleich zu Kunst werden. Er wird Mitglied eines Arbeitskreises für Ethnomedizin und Gründer der „integration- Zeitschrift für geistbewegende Pflanzen“.

Selbstversuche mit pflanzlichen Substanzen und deren psychodelische Wirkung führen ihn zu seinem  botanisch-philosophischen Forschungsprojekt „natural relations“. Er untersucht auf seinen ausgedehnten Reisen die  Kräfte der Pflanzen in physischer und metaphysischer Hinsicht. Daraus entsteht  schließlich in siebenjähriger Arbeit sein Buch „ Herman de Vries, Natural Relations, eine Skizze“. 2000 Pflanzen und ihre heilende und geistheilende Wirkung werden erfasst, Studien aus Botanik, Ethnologie, Religion finden Eingang in das Werk, Volksweisheiten und Archtypen mehrerer Kulturkreise werden aufgenommen.

Seit Anfang der 70er Jahre lebt er  in einem kleinen Dorf in Unterfranken im ehemaligen Pfarrhaus. Ihm gehört  ein großes Waldstück, in dem er herumgeht und schaut und sammelt und mit seinem weißen Bart als Gottvater aus einem Märchen durchgehen kann, der sich der Schöpfung mit Aufmerksamkeit und Liebe widmet. Herman de vries arbeitet mit getrockneten Pflanzen, auch mit Erden, Steinen, mit Mineralien, mit Körperteilen von Tieren wie Schmetterlingsflügeln oder Knochen. Er sammelt Fundstücke im Wald, er klassifiziert und ordnet sie nach Kriterien, die man sehen und logisch nachvollziehen kann. Er kombiniert die einzelnen Dinge, und bringt sie auf pointierte Weise vor Augen:  in  schlichten Rahmen exakt gehängte Serien von Blättern, Stengeln, Erden, – auf Stelen präsentierte Steine, Wurzeln, Knochen. Es wird nichts pathetisch überhöht, sondern auf weißem Grund in gleichmäßiger Rhythmik und Sparsamkeit gesetzt. Gerade durch Strenge und Reduktion sind seine Naturpräsentationen von besonderer meditativer Qualität

Wie früh schon hat sich dieser Künstler von der natürlichen Umwelt beeindrucken und führen lassen zu einem staunenden und forschenden Umgang, als er in den 60er Jahren begann über Botanik, Heilkunde und Mythologie nachzudenken und auch seine Person Teil dieses Nachsinnens wurde. Philosophie, Kunst, Wissenschaft und Leben sollten eins werden.

Das jahrzehntelange Beobachten und Wahrnehmen der Natur läßt die Werke von herman de vries eine Atmosphäre der Achtsamkeit ausstrahlen und gibt den dargebotenen Dingen Würde. Blätter, Grasstengel, Samenkapseln sind nicht egal, gleichgültig oder zufällig, sie können zu uns berührenden Erscheinungen werden. Das brachte de vries auch dazu, Papiere oder andere Bildträger unter Bäume zu legen und die im Wind herabgefallenen Blätter  in ihren Positionen zu fixieren. Dies Erleben hat, wie man den Werken von de vries ansehen kann, nichts Spektakuläres oder Aufregendes an sich, sondern es geschieht mit  Gelassenheit und Lust am Spiel.

Claudia Breinl

Eine konzentrierte Überblicksausstellung zu herman de vries ist noch bis 16. Mai 2016 im Ernst-Barlach-Haus im Jenischpark in Hamburg zu erleben. Es ist  ein Katalog erschienen: herman de vries. sculptures trouvées, mit Texten von herman de vries und Karsten Müller (ca. 88 S. mit zahlreichen Farbabb., ca. 18 €)