Philipp Stoellger, Iconic Turn. By Theology. Theologie als Bildtheorie – Avant la lettre.

Rostocker Institut für Bildtheorie/Institute für Iconicity (ifi)

Tagung: Präsenz und Entzug, 17.-19. Oktober 2008 und 3.-5. April 2009 Rostock
Referenten: M. Moxter, H. Assel, M. Kumlehn, E. Reimuth, K. Hock, St. Schaede, J. Huber, P. Weibel. D. Mersch, B. Waldenfesl, K. Sachs-Hombach, u.a.
mehr unter: Ev. Theologie Uni Rostock



 

Iconic Turn. By Theology. Theologie als Bildtheorie – Avant la lettre.

Zu den bildtheoretischen Potentialen der Theologie. 11 Thesen und ein Vortrag von Prof. Dr. Philipp Stoellger/Rostock

 

Bernt Notke, Johannesaltar der Schonenfahrer, um 1483, Lübeck, St. Annen-Museum

1. Ikonische Differenz – Das Movens des iconic turn:
eine systematische Differenz mit deskriptivem, normativem und regulativem Anspruch.
Die Macht der Bilder – ist die Macht des Zeigen. Bilder sind mächtiger als ihre Verwender: als ikonische Körper sind sie potentiell omnipräsent.
Bild ist primär alles, was man an die Wand hängen kann (oder auf dem screen sehen). Bilder in diesem engen Sinne sind extern, nicht primär im Kopf, sondern davor, wie ein Brett. Kennzeichen sind Externität und Alterität (auch Materialität).


2. Zum Vorhaben: Herausforderung der Theologie

Im folgenden geht es um die systematische Frage, inwiefern dieser ‚turn’ durch die Theologie bedingt ist – und inwiefern er die Theologie über ihre Grenzen hinausfordert.
Bilder sind nicht unter die bekannten Methoden des Lesens, Verstehens und Interpretierens von Text und Sprache zu subsumieren. Was dann?
Theologie ohne Bildtheorie wäre blind.
Bildtheorie ohne Theologie wäre vergeßlich, wenn nicht selbstmißverständlich.
Beide können aneinander gewinnen: die Theologie einen Sinn für Sinnlichkeit; die Bildtheorie einen Sinn für den Sinn, genauer für ihre Geschichtlichkeit und ihre Sprache – vor einem Bild.
Das Christentum ist ein iconic turn der Religionsgeschichte. Und Theologie ist Bildtheorie. Aber: sola scriptura, solo verbo und Wort Gottes sind reformatorische Programmformeln. Aber Bild Gottes? Non sola scriptura sed etiam imago? Ist das Bild so gefährlich, daß es ausgeschlossen werden muß?

3. Bilderverbot als exemplarischer Ausdruck der iconic difference
Der Entdeckungszusammenhang der ikonischen Differenz  ist  das ‚starke’ Bild der modernen Kunst. Problemgeschichtlich allerdings gründet die ‚iconic difference’ – im Bilderverbot.
Das (doppelte) Bilderverbot ist die Urform der ‚iconic difference’: des Bewußtseins und einer ‚kritischen Theorie’ des Bildes und seiner Differenz gegenüber der Sprache.
Das Bilderverbot geht mit einem negativen iconic turn einher: der Abkehr von den Bildern, der Bildkritik.

4. Christentum als iconic turn
Die Schubumkehr im Verhältnis zum Bild (der drive des iconic turn) – von der Verteufelung zur Verehrung – hat einen kulturgeschichtlichen Grund: das Christentum als iconic turn.
Die Zulassung des Bildes als Gottes würdiges Medium – ist eine religionsgeschichtliche Wette auf die Verträglichkeit der Potenz des Bildes mit der Omnipotenz Gottes.
Das Wortwird konvertibel, konvertierbar ins Bild – weil das Sehen ‚seiner Herrlichkeit’ und damit das Sichtbare zum gleichberechigten Heilsmedium geworden ist. Ex post diente die Inkarnation als Lizenz zum Bild, als ikonische Kehre der jüdisch-christlichen Religionsgeschichte.
Wenn es um das Reich Gottes geht, um das Kommende, den neuen Himmel und die neue Erde – wird in diesem Horizont das Imaginäre maßgeblich: der Ausblick auf das Kommende Reich, das Neue, das das Alte überschreitet. Das scheint ein Grund für die Bildproduktivität des frühen Christentums zu sein: der Überschwang des Imaginären im Namen von Pneumatologie und Eschatologie. Dieser Überschwang ist sc. nicht ungefährlich und kann eskalieren (Gnosis).
Kriterium der Bildkritik: Bedürfnisbefriedigungs-Bilder sind unpassend zur Darstellung des Erwartungswidrigen und des Außerordentlichen der Urimpression des Christentums: dem Gekreuzigten.

5. Bilder als deskriptive und normative Orientierungsformen?
Die ntl. Erzählungen sind imaginative Memoria, in Gestalt (zurückhaltend!) anschaulicher Erzählungen.
Die Szenen sind prägnante Kurzgeschichten, in denen sich lebensleitende Intuitionen verdichtet zeigen. Diese Intuitionen sind Formen des Imaginären: des Horizontvorgriffs auf das kommende Reich Gottes. Was sich in diesen Szenen zeigt, ist jensseits der Alternative von Deskription und Präskription. Es sind erwartungshaltige, hoffnungsvolle Imaginationen. Sie verorten den Betrachter in ihrer Wirklichkeit: das ist eschatologische Deixis.

6. Deixis – Lexis – Praxis
Wenn das Sagen die lebendige Gestalt der Sprache ist, wie die viva vox – ist das Zeigen die lebendige Geste des Bildes.
Die hermeneutische Pointe ist: was sich zeigt, ist immer mehr oder auch anderes, als was man zeigt. Durch diese Differenz von intentionalem und nicht-intentionalem Zeigen ergibt sich Deutungsfähigkeit.
Lexis ist Antwort auf die Deixis. Bild und Geste fordern die Sprache heraus. Und die Frage ist, wie sie antwortet: ikonophob oder ikonophil: mit dem möglichst bildlosen Begriff oder mit bildlichen Metaphern.

7. Apophatische und kataphatische Bildtheorie
Entscheidend ist das Verhältnis von Deixis und Lexis: wenn beide auseinanderfallen oder gegeneinander angehen (antagonistisch), wird es die Rede schwer haben mit dem Bild und umgekehrt. Wenn man Übergänge sucht und ein vermittelbares Verhältnis sieht, fällt die Rede leichter.
D. Mersch, Th.W. Adorno, Moses (gegen Aaron)
Vor  einem Bild fehlen einem die Worte: Diese Erfahrung der ‚Aphasie’, des Risses der immer schon gängigen Synthesis (von Sinnlichkeit und Sinn) gehört zur Grunderfahrung ‚vor einem Bild’. Andernfalls liefe man Gefahr, immer nur ‚wiedererkennend’ zu Sehen, nie aber ‚sehend zu Sehen’ (mit Konrad Fiedler).
Deiktische Lexis ist die Möglichkeitsbedingung der Rede ‚vor einem Bild’, und zwar solcher Rede, die sich nicht nur abwendet, nicht Bilder verbietet, sondern ihnen Raum gibt in der Rede.
M. Blanchot: „Wird nicht in der Literatur die Sprache selbst ganz Bild, und zwar nicht eine Sprache, die Bilder enthält oder die Wirklichkeit bebildert, sondern die ihr eigenes Bild ist, Sprachbild – und nicht eine bildhafte Sprache – oder auch imaginäre Sprache, eine Sprache, die niemand spricht, das heißt, die sich von ihrer eigenen Abwesenheit aus spricht, so wie das Bild dort erscheint, wo das Ding abwesend ist“.

8. Kataphatische oder apophatische Bildtheorie? Kreuz als Ursprung des Bildes
Wenn Christus ‚das wahre Bild Gottes’ sei, dann ist Christologie Bildtheorie.
Was ist der Grund der Bilder: Inkarnation oder (?) Kreuz?
Die Kreuzigungsszene ist äußerste ikonische Prägnanz: eine Ultrakurzgeschichte im Bild als Bild; und zwar das maßgebliche Menschenbild in christlicher Perspektive. Vor diesem Bild zeigt sich, wer man ist und wie man sieht.
Wenn dies das Bild der Urimpression des Christentums ist – dann sind nicht Inkarnation oder Auferstehung der Ursprung des Bildes, sondern: der Tote am Kreuz.
a) Bilder sind das Medium gegen den Tod.
b) Der Tote ist das Bild des Lebenden, ein ihm ähnliches Bild.

9. Präsenz und Entzug: Ambivalenz des Bildes
Bildtheorie unter dem Bilderverbot – führt in Bildkompensationen: in Metaphorik und ihre Verwandten.
Bildtheorie im Zeichen der Inkarnation – führt in Ikonophilie, die aber limitiert werden muß, um nicht einfach Gott und Bild identisch werden zu lassen.
Bildtheorie im Zeichen des Kreuzes – führt in Paradoxe, in eine Doppelbewegung von Präsenz und Entzug.
Das Bild gewährt Zugänglichkeit des original Unzugänglichen. Es ist ein Konvergenzphänomen: in der Konvergenz des anthropologischen Begehrens nach Anschauung und der Selbstdarstellung Gottes (Offenbarung).
Im Bild selber findet sich eine ‚apophatische’ Gegenbewegung: es auch eine Gestalt der Unzugänglichkeit des original Zugänglichen.
Ist der  Mensch sichtbar nur im Bild, ist er gesichert.
Aber das Bild ist vor nichts sicher: es ist angreifbar.
Das Bild ist homo sacer – tötbar.
‚Wer das Bild Christi schlägt, schlägt Christus selbst.’

10. Ohnmacht und Macht
a) Der Samariter oder Ecce homo sind die Urszenen des Leidenden, des homo impotens. Sie sind Deixis, die zur Praxis bewegen und sie orientieren. Der Effekt der Bilder geht auf den Affekt – und dieses Pathos evoziert Ethos.
Aber: Oliviero Toscani, Sterbender Aids-Kranker
b) Die gegenläufige Szene ist die des unsichtbaren, erhabenen Gottes, sei es am Sinai, auf dem Zion, oder der Allmachtsgott des Mittelalters. Das ist die Urszene des Souveräns, des deus omnipotens – und daher des homo omnipotens.
Aber: Bernt Notke Johannesaltar der Schonenfahrer

11. Abendmahl als Paradigma von Präsenz und Performanz des Bildes
Die Abendmahlskontroversen sind bildtheoretische Kontroversen.
Denn das Abendmahl, vor allem die Hostie, ist ein oder das zentrale Kultbild im Christentum.
Luthers: Das Abendmahl ist wirksames Bildereignis – aber nicht allein durch das Wort, sondern durch seinen Konsum: durch Pragma und Performanz. Brot  und Wein sind Fleisch und Blut nur ‚in usu’: im Gebrauch, in der Performance des Abendmahls.
Vgl. G. Didi-Hubermann zu Passionsbildern (Vision des Hl. Bernhard mit Nonne (Köln, Museum Schnütgen): „ihre Wirksamkeit bestand also darin, ihre Prägungsmacht auf den zu übertragen, der sie verehrte, und auf diese Weise setzte sie in gewisser Hinsicht die Arbeit der Fleischwerdung mit einem Prozeß fort, der vor allem auf der Ebene des liturgischen Sakraments vollzogen wurde“


Courtesy Gabi Erne, Das ist mein Leib