Ausstellung – Himmelsbilder 2012

HIMMELSBILDER – Doris Conrads

Wir laden ein zu Gottesdienst und Vernissage am Himmelfahrtstag, Donnerstag den 17. Mai um 19.00 in der Universitätskirche in Marburg. Professor Dr. Thomas Erne wird im Gottesdienst über die

Bilder des Himmels

der Marburger Künstlerin Doris Conrads predigen. Die Liturgie in Form der Deutschen Messe hält Pfarrer Hannes Eibach.
Die Vernissage in den Räumen des Instituts in der Alten Universität, Lahntor 3, findet im Anschluss an den Gottesdienst statt.

Gezeigt werden weitere Himmelsbilder von Doris Conrads, die dort bis zum11. Juli zu sehen sein werden. Es besteht Gelegenheit zum Gespräch mit Gästen und selbstverständlich auch mit Thomas Erne und Doris Conrads.

Bei einbrechender Dunkelheit können Sie außerdem am Chor der Universitätskirche (Kornmarkt) das Lichtkunstobjekt zum Märchen der Gebrüder Grimm “Sterntaler”von Doris und Florian Conrads ansehen.

Wir würden uns freuen, wenn Sie mit uns erkunden wie die Kunst der Moderne den Himmel neu erschließen kann.

Predigt zum Gottesdienst an Himmelfahrt, Unikirche Marburg

Download: Predigt_an_Himmelfahrt

Predigt an Himmelfahrt, Marburg den 17. Mai 2012 / Bilder zur Himmelfahrt von Doris Conrads / Text: Lk 24, 50-52/Apg. 1, 9-10 / Prof. Dr. Thomas Erne


Liebe Gemeinde,

Augenblau, Bayrisch blau, Brombeerblau, Enzianblau, Nivea-Blau, Türkisblau, Veilchenblau, Ultramarinblau, Wolkenblau. Zwetschgenblau. Mehr als 111 verschiedene „Blautöne“ gibt es in der deutschen Sprache. Blau sind Wunder, die man erlebt, und blau wird nicht nur der Mann, wenn er zu viel Alkohol trinkt. 46% der Männer und 44% der Frauen halten Blau für ihre Lieblingsfarbe. Blau ist der Schutzmantel der Madonna. Blau ist das Band, das der unglückliche schwäbische Pfarrer, aber begnadete Dichter Eduard Mörike durch den Frühling flattern lässt. Blau ist die Blume nach der sich die Romantik sehnt. Blau sind die Pferde von Franz Marc. Und Blau in feinsten Abstufungen, blauweiß, blaugrau, blauschwarz, blauschweißschwarzgrau sind die Wolkenbilder von Doris Conrads.

Blau ist auch die Farbe des Himmels. 400-mal wird in der Bibel vom Himmel geredet, aber kein einziges Mal ist er dabei blau. Biblisch blau. Und trotzdem: Himmelfahrt ist eine Fahrt ins Blaue, die von Christus, aber auch die von vielen Vätern. begangen am heutigen Tag, wenn auch die Formen des Blau-Seins deutlich verschieden sind.

In Goethes Farbenlehre erfahren wir warum das so ist. Im Blau, so Goethe, scheinen Himmel und Berge „vor uns zurückzuweichen“. In blauer Färbung werden uns Himmel und Erde präsent als sich uns entziehend. Und so wie uns ein Mensch, der uns anzieht, gerade dadurch verführt, dass er sich entzieht, so liegt auch im Blau des Himmels ein verführerischer Reiz. Die Aufforderung, dem zu folgen, was zurückweicht und das, was dem Augenschein entflieht, zu erreichen, ahnend, dass es nie ganz zu erreichen sein wird.

Rot wäre das Gegenteil. Rot weicht nicht zurück. Rot drängt sich auf. Rot ist links. Rot ist die Farbe des Blutes. Rot ist die Vitalität des Begehrens. Rot ist die Aggression des Wollens. Unter einem glutroten Himmel hätten wir das Gefühl die Welt ist ein aufdringlicher Liebhaber, dem wir uns permanent vom Leibe halten müssen.

Blau dagegen ist double-bind. Es zieht an, indem es die Erfüllung versagt. Und daher bleibt blau geheimnisvoll. Es ist die Präsenz des Entzugs, die uns das Zurückweichen in die Verborgenheit, aber nicht seine Enthüllung, vergegenwärtig.

Himmelfahrt ist eine Fahrt ins Blaue. Auch Christus entschwindet ins Blau des Himmels. Und er versetzt dabei seine Jünger, die zurückbleiben, in eine unendliche Bewegung. Die Jünger, so heißt es in unserem Text, starren wie gebannt hinter dem aufgefahrenen Christus her (Apg 1, 10). Aber ihre Blicke halten ihn nicht zurück. Die Gestalt, die ihr Leben verwandelt, ohne den sie nicht sind und bleiben, was sie geworden sind, entzieht sich ihren Blicken und hält sie in dem Eindruck seines Entzugs gebannt. Christus drängt sich ihnen nicht auf – rot – , sondern er weicht zurück  – blau-  und zieht so seine Jünger in sein Sich-Entziehen hinein. Er bleibt anwesend bei seinen Jüngern im Entzug, so nannte das in Tübingen der Theologe Eberhard Jüngel. Und verführt diese Jünger in seinem Zurückweichen in eine Bewegung ins Unendliche. Eine Fahrt ins Blaue ist die Himmelfahrt Christi auch für seine Jünger.

Anwesend im Entzug – nicht für jeden Jünger und jede Jüngerin heute ist diese Pointe der Himmelfahrt Christi ein Vergnügen. Die katholische Kirchengemeinde in Aachen zum Beispiel sitzt in der Fronleichnam Kirche, die Rudolf Schwarz 1930 für sie baute, vor einer mächtigen weißen Wand. Es gibt nichts zu sehen, kein Bild, kein Mosaik, kein Kreuz. Reiner Entzug der Kenntlichkeit. Jeden Sonntag starrt die Gemeinde auf dieseweiße Wand. Jeden Sonntag steht sie an dieser harte Schwelle zur Transzendenz, die jedes Bedürfnis nach Erkennbarkeit gründlich tilgt. Irgendetwas an dem der suchende Blick haften darf, war bald nach der Einweihung ihre verzweifelte Bitte. Aber der strenge Baumeister lehnte kategorisch ab.

Und evangelische Christen in Mainz? Sie sitzen in einem von Helmut Striffler erbauten multifunktionalen Raum von 1970 vor einer weißen gemauerten Wand, die auch im das Foyer des Finanzamtes oder einer Sporthalle stehen könnte. Da hilft es wenig, dass hinter diesen kahlen Wänden eine  anspruchsvolle theologische These steht: „Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt“, so die Formel von Dietrich Bonhoeffers. Radikale Kirchenbaumeister der Moderne versuchen diesen sich entziehenden Gott in radikalen Kirchengebäuden in Szene zu setzen. Der „kahle Kasten“ in Aachen, die multifunktionale Mauer im Gemeindezentrum in Mainz sollen einen Gott sichtbar zu machen, der in der Welt anwesend ist, indem er sich aus ihr zurückzieht.

Gut hat es dagegen die Kirchengemeinde in der Universitätskirche in Marburg. Auch hier hat natürlich die Himmelfahrt Christi zeichenhaft stattgefunden. Das große Kreuz in der Mitte ist leer. Aber das Kreuz ist noch da. Der Entzug des Bildes – Christus, das Bild Gottes – ist als Bild des Entzuges, als leeres Kreuz sichtbar. Jetzt stehen zwei Wolkenbilder von Doris Conrads links und rechts und flankieren wie Seitenflügel eines Triptychon das Kreuz in ihrer Mitte. Bilder vom Entzug des Bildes – das ist eine handhabbare Definition für die Kunst der Moderne. Es gibt eine enge Verwandtschaft zwischen Kreuz und moderner Kunst, zwischen dem Kreuz als Bild des Entzuges der Bilder und den Wolkenbilder von Doris Conrads, die nicht Christus mit Weltenkugel und Barockengeln auf einer Wolke zeigen, sondern nur die Wolken, in die hinein er entschwunden sein könnte.

Doris Conrads hat als Kind, den Kopf im Nacken, Tiepolos Himmel in der Würzburger Residenz gesehen. Putten auf Wolken wären bei dieser kindlichen Prägung durchaus denkbar. Aber Raimer Jochims hat sie gelehrt, dass Formen aus Farbübergängen entstehen. Was ist der Himmel anderes als ein Experimentallabor für Farbübergänge. Der unendliche Reichtum an Formen entsteht aus Farbverläufen, das Spiel der Wolken aus blaugrau, blauweiß, blauschwarzweißgrau.

Wir sehen im Himmel normalerweise nur das Wetter, oder Planetenbahnen, oder Ozonlöcher, nicht aber das ganze ungeteilte Dasein. Komme, schau Dir Doris Conrads Bilder an, werde für einen Augenblick wieder wie ein staunendes Kind und entdecke im Bild des Himmels unendliche Übergänge, Wolkenwandlungen, Transformationen ohne Ende, die sich dem Zugriff entziehen.

Bilder des Entzugs der Bilder – man wird in diesen Wolkenbildern in eine unendliche Bewegung hineingezogen, wie die Jüngerbei der Himmelfahrt Christi – gerade weil weder Christus noch sonst irgendetwas Greifbares, auch nicht reale Wolken, zu sehen sind. Die Bilder können daher auch doppelt gelesen werden – mindestens.  Es sind einerseits Bilder, die eine unendliche Bewegung im Betrachter anstoßen. Eine Bewegung, die im Bild bleibt, im Geheimnis, das das Bild selber ist. Oder es sind Bilder in denen der sich entziehende Christus als transmundane Ursache dieser transzendierenden Bewegung hinzugedacht wird. So wie es sich in der Konstellation hier in der Kirche anbietet: Das Kreuz in der Mitte interpretiert die Wolkenbilder an seiner Seite als Bilder der Himmelfahrt Christi.  Für den einen Betrachter ist die Erfahrung eines unendlichen Übergang an das Bild gebunden, für den anderen, den religiösen Betrachter, wird in dieser Bewegung auch das Bild überschritten in Richtung auf ein Geheimnis, das wir uns selber sind.

Himmelfahrt – das Fest des sich entziehenden Gottes. Kein Wunder, könnte man meinen, dass bei diesem Thema die Mehrheit der Menschen den Tag mit einem Leiterwagen verbringt und nicht den Entzug, sondern den Rausch feiern. Was gibt es zu feiern beim Entzug des Bildes und dem Bild seines Entzugs?

Am Ende des Films „Wie im Himmel“ steht der Chor aus der schwedischen Provinz bei einem internationalen Chorwettbwerb in Salzburg auf der großen Bühne. Der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllten. Doch der Dirigent fehlt. Der Chor wird unruhig, das Publikum auch. Ohne seinen Leiter ist der Chor nichts. Er hat ihn geschaffen, aus ihnen jeden einzelnen Ton hervorgelockt, sie auf die große Bühne in Salzburg geleitet. Und allmählich dämmert dem Chor, dass er nicht mehr kommen wird. Er liegt derweilen einen Stock tiefer auf dem Boden der Toilette und ringt mit dem Tod. Durch einen Lautsprecher, der über ihm an der Decke hängt, hört er, was auf der Bühne passiert. Hört die Unruhe, die empörten Rufe. Und dann hört er den Ton der Klage des behinderten Junge. Und den Ton, den Gabriela, die Frau, die von ihrem Mann mißhandelt wurde, dazu singt. Einer nach erhebt seinen Stimme und singt seinen Ton bis der ganze Chor frei improvisiert und der ganze Saal, verblüfft von dieser Emanzipation der Stimmen vom Wirken ihres Dirigenten, sich erhebt und jeder seinen Ton einbringt in eine selbstbestimmte, egalitäre und solidarische Vielstimmigkeit. Das Zentrum aber muss leer bleiben, wenn dieses freie Spiel beginnen soll. Der Dirigent musste sich entziehen, damit sein Chor zu sich selber kommen konnte.

Das ist die Botschaft von Himmelfahrt: Christus muss gehen, damit sein Geist kommt und wir in seinem Geist zu uns selber kommen. Selbstbestimmt, ohne seine leibhafte Gegenwart, aber in seinem Geist zu leben und zu glauben – diese Emanzipation der Gemeinde beginnt an Himmelfahrt und vollendet sich an Pfingsten. Die Freiheit des Glaubens ist aber ein guter Grund zu feiern – heute an Himmelfahrt und demnächst an Pfingsten.

Amen