Seit 1970 prägte die zeltförmige katholische Kirche St. Peter das Bild des Wohngebiets von Stuttgart Bad Cannstatt. Aufgrund einer mangelhaften Isolierung des Kirchengebäudes stand die Gemeinde 2016 vor der Entscheidung, die Kirche sanieren zu lassen oder einen Neubau zu errichten. Aus Kostengründen ist die Entscheidung für einen Neubau gefallen, der wünschenswerterweise die Kirchenräume, Gemeinderäume, ein Pfarrbüro und eine Kindertagesstätte umfassen sollte.
Aus dem ausgeschriebenen Wettbewerb ging das Architekturbüro Kamm aus Stuttgart als Sieger hervor. Sie entwickelten einen überzeugenden Entwurf, der auf intelligente Weise die sakralen und profanen Räume unter einem Dach verbindet.
2018 wurde der kubische Neubau fertiggestellt. Die Kosten beliefen sich auf 6,5 Mio €. Ein Teil des Grundstücks wurde an die Stiftung Liebenau verkauft, die dort ein sozialtherapeutisches Wohnheim mit Tagesförderstätte für 24 Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen gebaut hat und mit der katholischen Kirche kooperiert.
Am Ende der Winterbacher Straße zeigt sich das Kirchengebäude ummantelt von einer sandfarbenen Ziegelfassade, die Beständigkeit und Ruhe versinnbildlichen soll.
Die Architekten verstehen die Gemeinde St. Peter als eine meditative und kommunikative Gemeinschaft. Diese beiden Eigenschaften drücken sie architektonisch in zwei Antipoden aus. Die Sakralität drückt sich in der Vertikalen und die Profanität als horizontaler Kontrapunkt aus. So ist die dritte Ebene des Gebäudes den nach Osten ausgerichteten Obergadenfenstern vorbehalten, die den Kirchenraum indirekt beleuchten. Erst auf den zweiten Blick offenbart sich ein gelbes Kreuz in den Fenstern, das wie ein Band eine bunte Landschaft durchzieht. Auf weitere christliche Symbole wie einen Kirchturm, Glocken oder Rundbogenfenster im Außenbereich wurde bislang verzichtet. “Im Wettbewerb war ursprünglich kein Turm verlangt und von uns auch nicht vorgesehen. Im Bauantrag wurde dann aber ein kräftiger Ziegelturm so hoch wie die Attika des Hauptgebäudes mit eingereicht”, sagt der Architekt Stefan Kamm.
Der Haupteingang führt zunächst ins Foyer, in dem sich das Begegnungszentrum befindet. Nach links geht es zur Kirche, nach rechts zur Kindertagesstätte. Geradezu befindet sich der Lichthof, der zum Verweilen einlädt. Die sich kreuzenden Wege bilden weitere Flurachsen und Erschließungsbereiche, die zu weiteren Gemeinde- und Büroräumen führen.
Der Kirchenraum erhielt als einziger eine weiße Putzoberfläche. Die übrigen Innenräume sind optisch durch hellgraue Sichtbetonwände mit einer feinen Holzstruktur verbunden. Komplemetär dazu steht der warme Braunton des Lärchenholzes, das innen und außen verwendet wurde.
Vier wandhohe Türelemente führen vom Foyer zum dreigeschossigen Kirchenraum, der annähernd quadratisch aufgebaut ist. Haupt- und Nebensymmetrien verorten hier den zentralen Eingang und die Ausstattung. Im Süden befindet sich eine Seitenapsis, die die reine Symmetrie des Raumes aufbricht. Dank ihrer Nähe zum Altar kann die Apsis auch als Werktagskapelle genutzt werden.
Links und rechts vom Haupteingang, befinden sich Nischen mit eingebauten Sitzbänken. Sie bilden intime Bereiche für die Taufe und das stille Gebet.
Eine flexible Bestuhlung mit 250 Sitzplätzen ist auf 500 Plätze erweiterbar, wenn die vier Türelemente geöffnet werden.
Eine Marienstatue gehört zu einem der sakralen Elemente aus der alten Kirche, die nun im neuen Gebäude ihren Platz finden. Die Statue hat eine leuchtend gelbe Umrahmung erhalten, die die Künstlerin Madeleine Dietz entworfen hat. Leuchtende Farbtöne finden sich auch in den von ihr gestalteten Kirchenfenstern wieder.
Das 5 Meter breite und 2,75 Meter hohe und aus drei Scheiben bestehende Glasfenster in der Seitenapsis zeigt eine (innere) Landschaft aus sich überlagernden gelben Farbschichten. Ein Anliegen der Künstlerin ist es, die Aufmerksamkeit der Betrachter nach oben und über die Begrenzung des Kirchenraumes hinaus zu lenken.
Für das Obergadenfenster, das 12,50 Meter breit und 2,60 Meter hoch ist und aus insgesamt acht Scheiben besteht, wählte Madeleine Dietz ein breites Spektrum aus kräftigen Rot- und Gelbtönen sowie Blau- und Grüntöne. Die abstrakten Farbflächen verschmelzen zu einer morgendlichen Seenlandschaft, die von einem gelben Band – einem Kreuz – umarmt wird. Die Künstlerin interpretiert auf diese Weise den Ostermorgen, der über den Tod hinaus Freude und Hoffnung symbolisiert.
Die Glasfenster wurden von den international bekannten Glasstudios Derrix aus Antikglas gefertigt. In einem aufwendigen Verfahren wird das 75 cm lange Glas wie ein Zylinder mundgeblasen, auseinandergeschnitten und flach gemacht.
Auch die liturgische Ausstattung wurde von Madeleine Dietz entworfen. Die kräftigen Farben der Glasfenster korrespondieren mit bunten Erdtönen, die sich im Altar und Ambo und Kreuz wiederfinden. Im Vordergrund ihrer Gestaltung stehen die Materialien Stahl und Erde und ihre Aussagen. Dietz arbeitet mit dunkelblauem und anthrazitfarbenem Walzstahl, in den verschiedenfarbige Erden eingefasst sind. Die Erden sind trocken und brüchig, was Dürrezeiten verbildlichen soll, “wie man sie in jedem Leben kennt ”, sagt die Künstlerin. Den Stahl versteht sie hingegen als Behältnis, das begrenzt, bewahrt, verschließt oder auch öffnet.
Die Kosten für die Gestaltung der Prinzipalien einschließlich der Glasfenster lagen bei 220 000 Euro und wurden ausschließlich über Spenden finanziert.
Seit der Einweihung des Kirchenneubaus am 9.12.2018 werden Diskussionen weitergeführt, ob die Kirche einen Turm und Glocken erhalten soll. Derzeit erfüllt ihr äußeres Erscheinungsbild nicht die gängigen Erwartungen an ein Kirchengebäude, was irritieren mag, und doch ist sie als Gesamtkonzept ein Pilotprojekt, das für weitere Standorte in Stuttgart eine Vorreiterrolle spielen wird, meint der Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart Gebhard Fürst.
Text: Dorothea von Kiedrowski
Fotos: Brigida Gonzalez, Madeleine Dietz, Kamm Architekten (Modelle und Grundriss)