Architekturflash Mai 2017 – BOSJES-CHAPEL

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Psalm 36,7: Wie teuer ist Deine Güte, Gott, dass Menschenkinder unter dem Schatten Deiner Flügel Zuflucht haben!

Unter dieses Motto aus dem biblischen Psalm 36 stellt der Architekt Coetzee Steyn einen außergewöhnlichen Kapellenbau. Das britische Architekturbüro Steyn Studio hat zusammen mit dem südafrikanischen Architekturbüro TV3 die Bosjes-Kapelle in der südafrikanischen Kapregion Witzenberg konzipiert. Die Kapelle liegt auf einem Landgut, das heute auch als Hotelanlage betrieben wird. Sie wird als Hochzeitskapelle und für die Einzelandacht genutzt. Die Kapelle  nimmt mit ihrem auffällig geschwungenen Dach Elemente aus der Natur und der Baugeschichte der Region Südafrikas auf, in der sie liegt. Die Silhouette der Hügel und Berge ringsum findet ihren Widerhall, es scheint das Dach mit den Hügelwellen mitzuschwingen. Ein anderer Bezug läßt sich zur Geschichte der Region herstellen, zu  den kapholländischen Giebelfomen, die auf die niederländische Kolonialzeit  zurückgehen.

Die Wirkung der Schwerelosigkeit des Gebäudes verdankt sich den offenen Wandflächen, die Ausblicke in alle Himmelsrichtungen gewähren, – außer der expressiven Dachform sind keine massiven Bauelemente sichtbar. In der  Wasseroberfläche eines Bassins spiegeln sich die Flügel des Daches und entmaterialisieren den Bau, der schwebend und ohne feste Gründung zu sein scheint. Hinzu kommt der Standort auf einer erhöhten Plattform, die man über eine großzügige Freitreppe wie bei einem antiken Tempel ersteigt. Ein Granatapfelgarten wurde zu Füßen der Treppe angelegt. Um die Transparenz und Leichtigkeit des Gebäudes zu erhalten, wurden Funktionsräume in der Plinte untergebracht bzw. auf dem Parkgelände verteilt.

Im Inneren der Kapelle wirkt vor allem das Licht und die von der organischen Architekturform gerahmten Ausblicke in die Landschaft ringsum. Der Grundriss des ca. 400 qm großen Raumes ist längsrechteckig und lädt zum Abschreiten der Ausblicke ein. Trotz des dominierenden Eindrucks von Durchsichtigkeit ermöglichen die  tief herabgezogenen Schwünge der Dachform sichtgeschützte Positionen. Die Möblierung aus Bänken und einem vergoldeten Pult ist schlicht, aber hochwertig.

Möglicherweise verdankt sich die  Reduktion dem Erbe  der Herrnhuter Brüdergemeine, die im 19. Jahrhundert in der Kapregion  Missionsstationen unterhielt. Vor Ort wurden sie als Moravians bezeichnet, da die Gemeinschaft ursprünglich aus dem böhmischen Mähren kam. 1738 gründete Georg Schmidt als Missionar die Station Genadendal in der heutigen südafrikanischen Provinz Western Cape.

Schön, wenn dieser Bau auch in einem geistlichen Sinn genutzt wird und nicht nur als ein besonderer Pavillon in einer noblen Hotelanlage einer weiteren Volte der Wellness dient.

Text: Claudia Breinl / Fotos: mit freundlicher Genehmigung des Fotografen Adam Letch

 

Exkurs: Es gehört zur Bautradition der Herrnhuter, dass ihre Betsäle rechteckig angelegt sind. Sie bedeuten für die Gemeinschaft nur den äußeren Rahmen der Zusammenkünfte. Größe und Ausstattung gehen nicht über das für die Sammlung der Gemeinde notwendige Maß hinaus, Monumentalität und Schmuckformen, auch Kunstwerke werden vermieden, denn das Göttliche ist ja in der feiernden Gemeinde gegenwärtig. Der Tisch des Liturgen ersetzt den Altar. Es gibt keinen  Abendmahlstisch, Brot und Wein werden der im Betsaal sitzenden Gemeinde gebracht bzw. durchgereicht. Taufe und Trauung finden am Liturgstisch statt. Er steht an der Langseite des Betsaals und macht dadurch den Betsaal zur Querkirche. Diese Raumform ist besser als die Langhausanlage geeignet, die Gemeinde untereinander und mit dem Liturgen zusammenzuschließen.

(Quelle: Wolf Marx, Brüdergemeine (Herrnhuter), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1944), Sp. 1265–1273)