Architekturflash – Lutherkirche in Cottbus

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Lutherkirche in Cottbus bei Tageslicht

Die Lutherkirche in Cottbus wurde 1911 vom Architekten Robert Leibnitz als Saalkirche errichtet. Der Sakralbau mit Jugendstilelemeten war mit einem querovalen Turm an der Westseite und – ganz im Sinne des Wiesbadener Programms –  mit einem Gemeindehaus und einer Pfarrwohnung im Westen und Süden verbunden. Ein reich geschmückter Kanzelaltar und vielseitige Wandverzierungen im Kirchenraum erzeugten eine majestätisch würdevolle Atmosphäre. Nur vierunddreißig Jahre später ist die in bahnhofsnähe gelegene Kirche bei Bombenangriffen der Alliierten komplett ausgebrannt. 

Entgegen der Abrissvorhaben der damaligen DDR-Regierung wurde die Kirche, dank einer hartnäckigen Gemeinde und großer Spendenbereitschaft wieder aufgebaut und 1951 neu eingeweiht. Im Zuge des Wiederaufbaus wurden die Fenster an der Westfassade verkleinert und ovale Fenster im Osten und Süden zugemauert. In einem weiß getünchten Raum wurde das Kruzifix, das als einziges die Bombenangriffe überstand, nicht an seinem ursprünglichen Ort, der Nordfassade angebracht, sondern in die Apsis über den Altar gehängt. Die Prinzipalstücke wurden aus Sichtmauerwerk gebaut, was der aktuelle Denkmalpfleger als Erinnerung an die ‘Trümmerzeit’ deutet. Der neue Kirchenraum strahlte einerseits Besinnung aufs religiös Wesentliche und andererseits das Bedürfnis nach Schutz und Halt aus.

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Als in den 2010er Jahren Sanierungsarbeiten an der Kirche anstanden, stand für die Gemeinde die Frage im Raum, ob der Kircheninnenraum in seiner damaligen Gestalt noch aktuell sei. Nachdem die ursprüngliche Fenstergröße an der Ostfassade wieder hergestellt und die ovalen Fenster wieder freigelegt wurden, wirkte der Kirchenraum wieder offener und heller. Sie beauftragten die BdvM Architekten aus Berlin, ein neues Raumkonzept zu entwickeln, das im engen Austausch mit der Gemeinde entstehen sollte. 

Die Architekten Jochen Buder und Constantin von der Mülbe knüpften in ihren Überlegungen wertschätzend an die Nachkriegszeit an, indem sie das protestantische Ziel der Konzentration auf das Wesentliche wieder aufgriffen und neu interpretierten. Im Zentrum ihrer Überlegungen steht der Mensch, der in einem immateriell weißen Raum die Erfahrung einer Gegenwelt zur hektischen und schnelllebigen Konsumgesellschaft machen kann.

Altarbereich in der Lutherkirche

Liturgisch konzentriert sich der Raum auf den Solus Christus. Nach der Freilegung des ursprünglichen ovalen Fensters erinnerte der Christus jedoch an das katholische Gnadenstuhlmotiv. Um das Motiv wieder aufzulösen, haben die BvdM Architekten ein Altarblatt entworfen, das sich asymmetrisch in die Apsis schiebt. Einer Buchseite gleich, kann es als Symbol für das Christentum als Buchreligion gedeutet werden. Das Altarblatt verdeckt das ovale Fenster, das eine dezente Lichtquelle im Hintergrund bildet. Ausgesparte Lichtschlitze lassen Licht hindurch, das je nach Wetter, Tages- und Jahreszeit seine Intensität und Farbigkeit ändert. Zudem kann das Kruzifix mit einer künstlichen Beleuchtung hinterleuchtet oder angestrahlt werden. Christus als das Licht der Welt (Joh 8,12) tritt symbolisch in Erscheinung.

Drei wellenförmig angelegte Altarstufen ermöglichen eine vielfältige Nutzung des Altarbereichs. Aus Aussparungen erheben sich Altar, Taufbecken und Ambo, die ebenfalls von den Architekten entworfen wurden. Wie verwurzelt wirken die Prinzipalstücke aus sedimentiertem Muschelkalkstein, der ebenfalls für den Fußboden verwendet wurde.

Blick Richtung Empore und Orgel

Auf der Westseite wurden große Falttüren eingesetzt, die sich zu den Gemeinderäumen hin öffnen. Im Kreuzungspunkt von Gemeinde- und Kirchenraum wurde das Kirchengestühl entfernt, um für RollstuhlfahrerInnen und Eltern mit Kinderwagen Platz zu schaffen – symbolisch in der Mitte der Gemeinde. Neue Türen und kiemenartig angelegte Wandscheiben auf der Empore ermöglichen sowohl den Zugang zu den Gemeinderäumen im Obergeschoss als auch Einblicke in den Kirchenraum und auf den Altar.

Eingangsbereich mit Themennischen

Im Eingangsbereich grenzen braune Einbauregale für Gesangbücher und Sitzmöglichkeiten zwei Nischen ab, die jeweils als Andachtsraum und Kinderspielecke dienen. Zusammen mit den braunen Kirchenbänken bilden sie einen erdenden Gegenpol zum weißen, sich auflösenden Innenraum. In den Nischen kommt erstmals Farbe als emotionaler Träger von Erinnerungsstücken zum Einsatz. Auf ziegelrotem Hintergrund hängt eine patinierte kupferne Turmuhr mit Einschusslöchern aus dem zweiten Weltkrieg. Auf der gegenüberliegenden Seite hängt ein abstraktes Kriegs-Triptychon auf ockerfarbenem Hintergrund.

Lutherkirche mit künstlicher kalter Beleuchtung

In einem reduzierten Kirchenraum, wie in der Lutherkirche, wird das Licht zum stärksten Träger von Atmosphären. Die BdvM Architekten haben Leuchten eigens für diesen Raum entwickelt, die unterschiedliche Lichtszenarien ermöglichen. Mit einer kalten Beleuchtung kann eine feierliche bis nüchterne Atmosphäre erzeugt werden. Eine warme Beleuchtung vermittelt hingegen Geborgenheit und lenkt gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf den angestrahlten Altarbereich.

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Lutherkirche mit künstlicher warmer Beleuchtung

Der 2019 fertig gestellte Kirchenraum ist ein kraftvoller Ausdruck der heute in der Lutherkirche gelebten Liturgie und eines wertschätzenden Umgangs mit seiner Geschichte.

Text: Dorothea von Kiedrowski

Fotos: J. Rübel

www.bvdm-arch.de

www.lutherkirche-cottbus.de