Architekturflash – Kapelle Votum Aleksa in Tarnów

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Ein intimer Ort der Kontemplation an der Weichsel

Während in Westeuropa Kirchenschließungen und -umbauten weiter zunehmen, werden die sakralen Bauprojekte in Polen in jüngster Zeit immer opulenter. Ein kürzlich erschienener Katalog “Day-VII Architecture: A Catalogue of Polish Churches post 1945”, der im Kunst und Kirche Magazin 4.2019 vorgestellt wurde, zeigt knapp hundert Beispiele teils kurioser Sakralarchitektur in Polen.

Beim Durchblättern des Bildbandes habe ich mich gefragt, ob es in Polen auch Gegenbeispiele im Sakralbau gibt, die Bescheidenheit und Intimität ausdrücken. Schließlich fand ich diesen Ort in Tarnów, 60 Kilometer südöstlich von Warschau und etwa drei Autostunden vom Wohnort des Künstlers Daniel Rycharski aus Kurówko entfernt, von dem wir im Künstler des Monats im Dezember berichtet haben.

In der kleinen Ortschaft an der Weichsel ist 2009 eine schlichte Kapelle, die Kapelle Votum Aleksa, gebaut worden. Der Bauherr, ein überregional bekannter Schriftsteller, der namentlich nicht erwähnt werden möchte, ließ sie an der Böschung seines Grundstücks bauen, das er bereits in den 1980er Jahren einem Bauern abkaufte und seitdem mit seiner Frau bewohnte. Das Grundstück umfasst ein Waldstück, eine Wiese und eben die Böschung entlang der Weichsel, die zu einer Müllhalde mit Schutt aller art verkommen war. An dieser Stelle stand ursprünglich eine alte Holzkirche aus dem 16. Jahrhundert. Die Verbindung zur lokalen religiösen Tradition würde dem neuen Sakralbau eine große Bedeutung geben. Außerdem würden die Menschen aus Respekt vor dem sakralen Ort die Landschaft nicht mehr verschmutzen, dachte der Schriftsteller.

Die Idee für eine Kapelle hatte das Ehepaar schon länger, doch erst als die Frau nach schwerer Krankheit das Krankenhaus verließ, fassten sie den Entschluss, mit der Kapelle ein Zeichen der Dankbarkeit zu setzen. Sie verkauften ein Grundstück und sammelten Gelder bei Freunden und Bekannten für den Sakralbau. Das multidisziplinäre Warschauer Designbüro Beton entwickelte einen Entwurf für eine Kapelle an dem abgelegenen Ort. Das vielseitige Architektenduo und Ehepaar Rowiński, das auch Bühnenbilder, Grafiken, Mobiliar und Mode entwirft, entwarf die Kapelle gemeinsam mit dem Investor über Monate hinweg bei Spaziergängen an der Weichsel.

Der Bauherr hatte einige Vorgaben, die das Architektenpaar subtil einarbeitete: Die Kontinuität zur ehemaligen Holzkirche, die im 19. Jahrhundert abgebaut werden musste, als die Weichsel ihren Verlauf änderte, sollte hergestellt werden. Damit stand das Material Holz fest. Die zweite Vorgabe war, die Kapelle sollte etwas Edles und Anmutiges haben, was den Ort vor Verschmutzung und Vandalismus schützen sollte. Ihre Gestalt sollte außerdem den Menschen vor Ort gefallen. Also gingen die Architekten keine Formexprimente ein, sondern bezogen sich auf bekannte Formen wie das Satteldach und ein rechteckiges Fundament und entwickelten sie weiter. Außerdem sollte die Konstruktion des Sakralbaus nicht zu kompliziert sein, damit er auch von ungelernten Arbeitern aus dem Ort errichtet werden kann. Für die Architekten ist daraus die Aufgabe entstanden, einen qualitativ hochwertigen Bau mit einfachen technischen Mitteln zu entwerfen.

So entstand eine 85 m² große Kapelle mit einer Kiefernbalkenstruktur, getragen von einem Betonsockel. Kleine Holzschindeln aus Espenholz bedecken den Skelettbau wie ein grauer Mantel vollständig, sodass das Spitzdach und die Seitenwände nahtlos ineinander übergehen. Die Vorderwand ist mit vertikalen Holzpaneelen bedeckt. Eine zweiflügelige Holztür, gehalten von waagerechten, schwarzen Scharnieren, führt zunächst in einen Vorraum und dann in den Hauptraum der Kapelle. Die gegenüberliegende Glaswand ist die einzige Lichtquelle im Raum und bietet einen Ausblick auf die Weichsel und den entfernten Horizont. Entgegengesetzt der traditionellen Vorstellung von Kirchenfenstern, bringt sie die Natur ein Stück weit ins Innere. Die Innenausstattung ist zurückgenommen. Ein schlichter Holzaltar mit Tischkreuz und sechs Holzbänke laden zur gemeinsamen Andacht ein. Das Dach schmückt ein zartes Kreuz. Rechts vom Eingang steht der Glockenturm, der mit moderner Computertechnik gesteuert wird.

Das Resultat ist ein minimalistisches architektonisches Kunstwerk, das in Fachkreisen internationale Beachtung erhielt und die architektonische Gestalt von Kapellen in Österreich und China inspiriert haben soll. Trotz überregionaler Anerkennung ist die Kapelle Votum Aleksa bis heute nicht geweiht worden. Ihr fehle die sakrale Schönheit, so der Gemeindepfarrer. Auch wenn sich die Wertschätzung für den schlichten und zugleich würdevollen Sakralbau vor Ort in Grenzen hält, lässt das überregionale Interesse nicht nach. Weiterhin kommen Menschen von außerhalb, um die Kapelle zu besichtigen und in der gebauten Stille zu verweilen.

Text: Dorothea von Kiedrowski

Fotos: Jakub Certowicz

www.jakubcertowicz.pl

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