Architekturflash – digitale Kirchen

Geschätzte Lesedauer 3 Minuten

Hacker_innen verändern Kirche

Aus gegebenem Anlass wird in diesem Architekturflash nicht wie gewohnt ein zeitgenössischer Sakralbau und seine baulichen Qualitäten vorgestellt, sondern eine #DigitaleKirche (ecclesia digitale) im Sinne einer digitalen Gemeinschaft der Gläubigen (communio fidelium). Denn seit der Corona-Krise und dem einhergehenden Gottesdienstverbot sind beachtliche kirchliche Angebote im Internet aus der Taufe gehoben worden, die die bisherigen Diskussionen und Maßnahmen in den Bereichen Digitalität und Kommunikation, Infrastruktur, Wissen und Ethik stark vorantreiben. Die Angebote reichen von Gottesdienst-Streamings großer und kleiner Gemeinden auf YouTube, Twitter und Instagram, Rund-um-die-Uhr-Gebeten, christlichen Ingame-Rundgängen, Chatseelsorge, Bibel-Podcasts, Apps mit Exerzitien und Losungen bis hin zu spirituellen Ratgebern von Sinnfluencern.  

Auch wenn die Beschränkungen für Kirchen inzwischen gelockert wurden und Gottesdienste unter bestimmten Vorlagen wieder stattfinden können, stellt sich eine wichtige Frage: Welche Ideen und Angebote sind zukunftsweisend und sollten auch nach der Corona-Krise unbedingt aufrechterhalten werden? 

Eine der kreativsten und zukunftsweisendsten Veranstaltungen der letzten Wochen war das Hackathon #glaubengemeinsam. Organisiert wurde es von den Jugenddelegierten in der Synode der Evangelischen Kirche (EKD). Aus 107 eingereichten Ideen, wurden Anfang April 48 Projekte ausgearbeitet.

Doch was ist ein Hackathlon? Die Wortkreation aus “Hack” und “Marathon” wird seit 1999 im IT-Bereich verwendet. Damit sind kollaborative Soft- und Hartwareentwicklungs- veranstaltungen gemeint, die das Ziel haben, innerhalb einer vorgegebenen Dauer neuartige Lösungen zu entwickeln. Die Bundesregierung beispielsweise veranstaltete Ende März den Hackathlon #WirVsVirus, der das Ziel hatte, Lösungen für die Herausforderungen durch Covid-19 zu entwickeln. 

Der Hackathlon #glaubengemeinsam fand unter der Fragestellung statt, wie Glaube, Gemeinde und Gemeinschaft vor Ort – digital oder analog – gelebt werden können. Die Teilnehmer_innen konnten am ersten Abend um ein Thema ihrer Wahl zusammenfinden. Die neu entstandenen Teams hatten 48 Stunden Zeit, ihre Themen zu entwickeln. Am letzten Abend waren die Teams aufgefordert, kurze Videos einzureichen, in denen sie ihre Ideen, Projekte und Plattformen vorstellten. Damit die besten Ideen in die Realität umgesetzt werden können, werden sie nach dem Hackathon weiterhin unterstützt.

Im Folgenden wird eine Auswahl der spannendsten Projekte des Hackathlons #glaubengemeinsam vorgestellt: 
Der Ausgangspunkt von Komm.mit sind kybernetische Entwürfe, die davon ausgehen, dass Kirche als Netzwerkorganisation und als Kirche von unten lebendig werden wird. Die Entwickler_innen gehen davon aus, dass Menschen zunehmend mobil und ungebunden sind und überwiegend prozessorientiert partizipieren. Ihre Vision ist es, Menschen dazu zu ermutigen, sich und ihre Erfahrungen in die Gemeinde einzubringen, indem sie gemeinsame Events und Aktionen planen oder Interessengruppen gründen. Eine App bündelt diese Aktivitäten und schafft neue Netzwerke. Pfarrer_innen und Hauptamtliche bekommen in diesen Netzwerken die Rolle von Moderator_innen und Unterstützer_innen dieser Prozesse.

Mit ihrem Projekt Ora@Labora verfolgen Tobias Kirchhof und sein Team die Vision von christlichen Co-Working-Spaces in Kirchen. Sie beobachten die Entwicklung in der Arbeitswelt seit der Corona-Krise hin zum Home-Office. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis der Menschen nach Gemeinschaft und Austausch. Sie sehen die Möglichkeit, in Kirchen beides zusammen zu führen, indem Co-Working-Räume, also kleine Büros mit Schreibtischen, Internet, Druckern und Kaffeemaschinen, eingerichtet und vermietet werden. Hier würden Menschen nicht nur arbeiten, sondern auch miteinander in Kontakt kommen und Grundwerte wie Kollaboration, Offenheit, Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Zugänglichkeit leben können. Für die Pausen gibt es spirituelle Angebote und einen Raum der Stille für Meditation und Gebet. Das Team sieht mehrere positive Auswirkungen der Co-Working-Spaces für Kirchen: Wenig genutzte Räume werden sinnvoll genutzt, (kirchenferne) Menschen bekommen Kontakt zu Kirche, Hauptamtliche arbeiten weniger isoliert und Gemeinden verorten sich in ihren Sozialräumen neu.

Das Gabennetz hat sich zum Ziel gesetzt, die vielfältigen Kompetenzen und das Know-How von Christ_innen und ganze Gemeinden zusammenzuführen, um sich überregional und überkonfessionell gegenseitig in der Gemeindearbeit zu unterstützen. Die Austauschplattform bietet zudem einen Materialpool mit Hilfestellungen und Toolkits zu Themen wie “Flyer erstellen” oder “Pressemitteilungen”.

Das Team von Raum für Pioniere haben sich mit der Frage beschäftigt, was von Kirchen benötigt wird, damit digitale und analoge Pionierprojekte Realität werden. Sie wollen einen Diskussionsprozess darüber anstoßen, was wir aus der Corona-Krise, aus der viele kreative Ideen entstehen, lernen können. Die Gruppe regt ein Zukunftsmanifest an, in dem die Ideen und Visionen festgehalten werden. Sie stellen sich eine Plattform auf der Ebene der EKD vor, auf der die Visionär_innen unterstützt werden. Auf dieser Plattform sollte der Prozess der Ideenentwicklung und -konkretisierung am Laufen gehalten werden. Sie sollte materielle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen, die dabei helfen, die Ideen in Realität umzusetzen. Begleitet werden die Prozesse von Mentorings, Seelsorge und Coachings. Außerdem sollte die Plattform die Vernetzung zwischen den Visionär_innen ermöglichen.

Andreas Erdmann hat mit seinem Team den Hackathlon dafür genutzt, seine Idee einer Online-Kirche weiter zu entwickeln. Dabei handelt es sich um ein virtuelles Netzwerk, indem sich Avatare (virtuelle Stellvertreter) treffen und in einer 3D-Kirchenlandschaft bewegen können. Dort können Online-Gottesdienste gefeiert werden, neue Begegnungen stattfinden, Gruppen und Kreise gebildet werden, die sich austauschen und einander anvertrauen. Die neue Community ist die Ecclesia Digitale.

Die vorgestellten Projekte zeigen deutlich, dass das Verständnis von Kirche im Wandel begriffen ist. Auch wenn die Digitalisierung grundlegend dazu beiträgt, dass sich unsere Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, arbeiten, beten oder Informationen vermitteln verändert, verdeutlicht das gegenwärtig wachsende Bedürfnis nach realen zwischenmenschlichen Begegnungen, dass es sich bei digitalen Angeboten nicht um einen Ersatz handeln kann, sondern um Tools, die Gemeinschaft wieder real zusammen zu bringen.