Architekturflash – der goldraum in Essen

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Seit dem 27. Oktober 2018 steht ein grauer Kubus auf dem Essener Domplatz. Zwischen dem Essener Münster und der Domschatzkammer fügt er sich ganz selbstverständlich in die bedeutungsvolle Umgebung. Der ruhende Würfel mit der Kantenlänge von 3,50 m ist ein Raum der Stille, der dazu einladen möchte, “aus einer reizüberfluteten Außen- aber auch Innenwelt einen Moment abzutauchen, sich seiner selbst bewusst zu werden”, schreibt die Künstlerin Hildegard Stephan auf ihrer Homepage über ihren g o l d r a u m.

Auch wenn der benachbarte Dom ebenfalls als ein Raum der Stille verstanden werden kann, möchte der Goldraum nicht mit ihm in Konkurrenz treten. Vielmehr ist er als ein komplementäres Angebot zu verstehen, das begeistert aufgenommen wird. Doch was unterscheidet ihn von einer gewöhnlichen Kirche und was macht ihn für BesucherInnen so anziehend?

Im Gegensatz zu einer dauerhaft errichteten Kirche ist der Goldraum als ein temporärer Solitärbau angelegt, der bereits am Schloss Freudenberg und im Zederngarten des Klosters Ebersbach stand. Die grau gestrichene Holzummantelung aus Fichtenholz, einem unprätentiösen Material, symbolisiert Zurückhaltung. Eine behindertengerechte Rampe führt ins Innere des Raumes. Rechts von der Tür befindet sich ein Briefkasten, in den die BesucherInnen ihre Kommentare zum Goldraum hineinwerfen können. Wer das Bedürfnis hat, im Goldraum ganz ungestört zu sein, kann ein Schild mit der Aufschrift “Bitte nicht stören” außen an der Tür anbringen.

Die innere Kantenlänge und die Höhe des Würfels betragen 3,50 m. Auf den Oberkanten der Wände sitzt ein 42 cm langes Fensterband auf. Die zentrale Raumausprägung lenkt den Fokus auf die räumliche Mitte. Meditation bedeutet übersetzt “in die Mitte gehen”. Da die persönliche Versenkung als die Hauptfunktion jedes Raumes der Stille gilt, spiegelt ein zentralisierter Raum das Anliegen architektonisch wieder. Der Innenraum ist komplett mit 23 Karat Blattgold ausgearbeitet. Anders als der goldene Raum der Stille am Frankfurter Flughafen, ist die Oberfläche im Goldraum bewusst nicht poliert. Eine dezente Beleuchtung strahlt die Wände in den Abendstunden an. Ein ebenfalls vergoldeter Würfel mit der Kantenlänge von 56 cm bietet eine Sitzmöglichkeit.

Auch wenn der Goldraum, anders als eine Kirche, überkonfessionell sein möchte, steckt er doch voller religiöser Symbolik, die Menschen unterschiedlicher religiöser und kultureller Herkunft jedoch nicht trennt, sondern verbindet. So sind die Maße im Kubus – 3,50 m, 42 cm, 56 cm – alle durch Sieben teilbar. In den drei monotheistischen Religionen gilt die sieben als Zahl der Vollkommenheit. Das Edelmetall Gold wiederum ist sowohl in christlichen, arabischen wie auch asiatischen Kulturkreisen positiv besetzt. Im Christentum ist es das Symbol des himmlischen Lichtes und der Ewigkeit. Im Judentum symbolisiert Gold göttliches Licht und den Ruhm und Glanz Gottes. Im Buddhismus hat Gold eine metaphysische Bedeutung und steht für Erleuchtung. Im Koran wird das kostbare Material in der Sure 18 erwähnt. Sie beschreibt die Vollendung der Gläubigen im Paradiesgarten: “Darin werden sie mit Armspangen aus Gold geschmückt und in grüne Gewänder … gekleidet sein.”

Die BesucherInnen des Goldraumes erspüren seine Raumwirkung intuitiv. Dabei handelt es sich um ein komplexes Zusammenspiel unterschiedlicher Komponenten, wie die “Klarheit der Form, die Körperlichkeit des Materials, Reduktion, Leere, Licht [und] Farbe…”, sagt die Architektin Sabine Kraft über Räume der Stille. Es handelt sich im besten Fall um ein Gesamtkunstwerk, das alle Sinne anspricht. Die klare Geometrie des Raumes und der quadratische Grundriss führen die BesucherInnen “in die Mitte”. Die goldenen, strukturiert wirkenden Oberflächen erzeugen optisch eine Tiefe und strahlen Wärme aus. Die Ausstattung im Goldraum ist auf einen einzigen Gegenstand, den Sitzwürfel, reduziert. Eine besondere Rolle in diesem Raum spielt das Licht, das im Tagesverlauf das Gold auf unterschiedliche Weise zum Leuchten bringt. In den Abendstunden sorgt eine indirekte Lichtquelle für eine warme Atmosphäre. Der Goldraum ist kein geräuschloser Raum. Er filtert vielmehr die Geräusche, die von außen eindringen. Stimmen, Schritte, Geräusche von Fahrzeugen erscheinen in einem anderen Kontext und rufen bei einigen BesucherInnen Erinnerungen wach.

Die BesucherInnen des Goldraumes machten in den vergangenen vier Monaten vielfältige subjektive Erfahrungen, die sie auf Kärtchen festgehalten haben: “Konzentrierte Atmosphäre”, “sehr stärkend”, “Geborgenheit”, “Wie im Himmel”, “entspannend”, “ein magischer Ort”, “Besinnlichkeit”, “ein Raum zum Abschalten”, “Schön”, “Ein friedvoller und energievoller Ort”, “sinnlich-göttliches Erleben”, “angekommen sein”. Das sind nur einige Kommentare der BesucherInnen, die Hildegard Stephan im silbernen Briefkasten vorgefunden hat.

Die Komplementarität von Goldraum und Dom spiegelt sich unter anderem in einem Rahmenprogramm des Bistums Essen wieder, das eine Vortragsreihe zum Thema Gold, Kunst und Architektur veranstaltet sowie in offenen Gesprächen, die vom Citypastoral am Rande des Goldraumes angeboten werden.

Der Goldraum von Hildegard Stephan ist noch bis zum 03. März 2019 in Essen zu sehen.

Text: Dorothea von Kiedrowski

Bilder: Hildegard Stephan

www.hildegardstephan.de