Gottesbilder – Vortrag auf dem Kirchentag in Dresden 2011
Alter Mann mit weißem Bart? Gottesbilder in Film, Kunst und Werbung. Vortrag 33. DEKT Dresden
Themenbereich 1: Gott, Geld, Glück: Macht Gott glücklich?
Prof. Dr. Thomas Erne, Marburg
Prof. Dr. Thomas Erne, Marburg
I. Mein Spiritueller Notfallkoffer
Ich möchte Ihnen meinen spirituellen Notfallkoffer vorstellen. In ihm sind die Erinnerungen an die Erfahrungen der großen und kleinen Transzendenzen, Unterbrechungen des Alltags und Weitungen des Daseins. Die spirituelle Ressourcen, die mir helfen das Leben zu meistern. Es ist eine Art von minimalistischer Soteriologie: Whatever get´s you through the night, it´s all right. Jeder von Ihnen hat so einen Notfallkoffer bei sich. Ich zeige Ihnen, was sich in meinem Koffer so alles findet:
In meinem Glückskoffer finden sich auch meine Gottesbilder. Wenn ich tief genug grabe, stoße ich sogar auf das Gottesbild meiner Kindheit. Es stammt aus dem Schlafzimmer meiner Großmutter. Es ist ein Bild von Josef Untersberger (Giovanni) und zeigt Jesus im Ährenfeld. Und unter diesem Bild sprach meine Großmutter Hedwig dann folgendes Abendgebet:
Ich möchte Ihnen meinen spirituellen Notfallkoffer vorstellen. In ihm sind die Erinnerungen an die Erfahrungen der großen und kleinen Transzendenzen, Unterbrechungen des Alltags und Weitungen des Daseins. Die spirituelle Ressourcen, die mir helfen das Leben zu meistern. Es ist eine Art von minimalistischer Soteriologie: Whatever get´s you through the night, it´s all right. Jeder von Ihnen hat so einen Notfallkoffer bei sich. Ich zeige Ihnen, was sich in meinem Koffer so alles findet:
In meinem Glückskoffer finden sich auch meine Gottesbilder. Wenn ich tief genug grabe, stoße ich sogar auf das Gottesbild meiner Kindheit. Es stammt aus dem Schlafzimmer meiner Großmutter. Es ist ein Bild von Josef Untersberger (Giovanni) und zeigt Jesus im Ährenfeld. Und unter diesem Bild sprach meine Großmutter Hedwig dann folgendes Abendgebet:
Für die (zweifelnde) Kinderseele von Petra Bahr, der Kulturbeauftragten der EKD, die auch diesen Vers von Paul Gerhard als Kindergebet kennenlernte, war nicht der Satan das Problem, sondern warum dieser Jesus noch „sein Küchlein einnehmen“ darf, wo doch jedes Kind weiß, dass man nach dem Zähneputzen keine Süßigkeiten mehr isst?
Mein Problem in Großmutter Hedwigs Schlafzimmer war deutlich dramatischer. Ich dachte Ich bin das Küchlein das Jesus einnimmt, damit mich nicht der Satan verschlingt. Warum ich nun Jesus auch noch bitten sollte mich einzunehmen und was daran besser sein sollte als von seinem Gegenspieler, dem Satan, verschlungen zu werden, war mir überhaupt nicht klar. Es dauerte auch eine Weile bis ich auf die Idee kam die Großmutter zu fragen. Und sie mir dann klar machte, dass das Küchlein ein Küken ist, das die Henne zum Schutz vor seinen Feinden unter ihre Flügel nimmt.
Gottesbilder machen nicht nur glücklich. Jesus im Ährenfeld und das Paul Gerhard Gebet – ich das Küchlein, das Jesus einnimmt – haben mich als Kind zwar tief berührt, aber nicht gerade erheitert. In Marburg würde man sagen, die kindliche Erfahrung des Heiligen als einem Tremendum (R. Otto). Ein erschreckend- faszinierendes Bild einer höheren Macht. Transzendenz ist nicht nur schön. Aber es ist ein großes Glück, wenn man in seinem Notfallkoffer Gottesbilder findet, die auch die erschütternden Erfahrungen des Lebens überzeugend auf Gott beziehen.
Welche Gottesbilder finden sich denn in ihrem Notfallkoffer? Graben sie einmal tief in ihrem Koffer. Gibt es da ein Gottesbild der Kindheit? Ein Gottesbild, das sie als Kind durch die Nacht und den Tag gebracht hat. Ein Schlafzimmer-Bild? Ein Nachtgebet mit Eltern oder Großeltern?
Oder gibt es in Ihrer Kindheit eine Kinderbibel? Der berühmte alte Mann mit Bart auf einer weißen Wolke von dem Milan Kundera in seinem der Roman ”Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins” erzählt: „Als ich klein warund mir das für Kinder nacherzählte Alte Testament anschaute, das mit Radierungen von Gustave Doré illustriert war, sah ich den lieben Gott auf einer Wolke sitzen. Er war ein alter Mann, hatte Augen, eine Nase und einen langen Bart, und ich sagte mir, wenn er einen Mund hat, muß er auch essen. Und wenn er ißt, muß er auch Därme haben. Der Gedanke jedoch hat mich erschreckt, denn ich fühlte, obwohl ich aus einer eher ungläubigen Familie stammte, daß die Vorstellung von göttlichen Därmen Blasphemie ist.”
Es gibt auch Gottesbilder die außer Mode kommen, weil sie kein gültiger Ausdruck einer spirituellen Erfahrung sind. Für Konfirmanden ist Gott der alte Mann der Inbegriff einer kindlichen Gottesvorstellung, die man im Alter von 14 Jahren endgültig hinter sich gelassen hat.
Und für gendersensible Theologen und Theologinnen ist der alte Mann mit Bart der Inbegriff eines „penetrant männlichen Gottesbildes“. Wenn denn:„Gott den Menschen zu seinem Bilde schuf, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“ (Gen 1,27) – wie kann dann, so der katholische Theologe Ottmar Keel, das Original ausschließlich männlich dargestellt werden?
Ein solches Gottesbild kommt in modernen Kinderbibeln überhaupt nicht mehr vor. Gott, der Herr „wie er im [Paradies-]Garten ging als der Tag kühl geworden war“ (Gen 3, 8) ist nur ein indirektes Licht, sehr eindrücklich und erschreckend anzusehen und eine mächtige Stimme aus dem OFF, die Adam ruft „Mensch wo bist du“. Aber Gott hat kein menschliches Angesicht mehr, weder männlich noch weiblich, weder Mann mit weißem Bart, noch als weise Frau ohne Bart.
Die Bibelillustratoren von heute haben sich offensichtlich die biblische Kritik zur Herzen genommen, dass vergehen muss, wer Gott von Angesicht zu Angesicht sehen will. Sie zeigen Gott den Kindern nur noch hinten. So wie Mose in seiner Felsspalte Gott nur hinter sehen durfte, nachdem seine Herrlichkeit an ihm vorübergegangen war (2. Ex. 33, 23).
Ist das ein Fortschritt? Immerhin müssen sich heute Kinder, wenn sie erwachsen werden, nicht mehr von falschen Gottesbildern befreien, von Bildern, die zu eng werden, wenn die Kinder erwachsen geworden sind. Aber sie haben auch nichts mehr, kein Bild, von dem sie sich befreien können. Gott, der Vater bleibt so abstrakt wie der richtige Vater, der auch irgendwie da ist, aber selten greifbar wird.II. Gottesbilder in Kunst und Kino
Gott kann nur dann eine spirituelle Ressource sein, wenn wir in unserem Notfallkoffer Bilder von Gott finden, die uns überzeugen, die stimmig Ausdruck unserer Erfahrung von Transzendenz sind, die die Überschreitungen des Alltags und die Weitung unseres Daseins mit Gott verbinden.
„Herr, Deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ – ich fand das immer ein schön-schräges Bild, das Wind und Weite, Heimat und Zuhause, Aufbruch und Geborgenheit mit Gott zusammenreimt.
Natürlich wird die Arbeit an den Gottesbildern in den Predigten geleistet, in neuen Liedern und in neuen Gebeten in Kirchen und auf Kirchentagen. Aber, wenn ich ehrlich bin, begegnen mir emotional berührende und überzeugende Gottesbilder auch im Kino. Und Gottesbilder, die mich intellektuell beschäftigen begegnen mir in der Gegenwartskunst – beinahe häufiger als in der Kirche.
Ich möchte Ihnen einige exemplarische Beispiele nennen, zunächst ein Gottesbild aus dem Kino und dann einige aus der Kunst:
Da steht ein schwedischer Laien-Chor bei einem europäischen Chorwettbewerb in Innsbruck auf der Bühne. Aber der Chorleiter fehlt. Er fährt nach einer Liebesnacht mit einem Mädchen aus dem Chor selig auf dem Fahrrad durch Innsbruck. Der Glockenschlag vom Kirchturm weckt ihn aus seinen Träumen. Der Chor steht solange auf der Bühne, der Saal voll besetzt, tausende von Sängern bilden das Publikum, Sie warten, zunehmend unruhig. Der Chorleiter hetzt die Treppen hinauf, da greift er sich ans Herz, bricht zusammen, schleppt sich in die Toilette und bleibt auf dem Boden neben dem Waschbecken liegen. Blut läuft ihm aus der Nase. Oben auf der Bühne wird langsam allen klar, dass er nicht mehr kommt. Ein Jahr hat der Chor für diesen Auftritt gerabietet. Es ist der Höhepunkt im Leben vieler der Chormitglieder – und jetzt diese Blamage? Da beginnt mitten in diese furchbare Niederlage beginnt der behinderte Junge im Chor zu einen Ton zu singen. Die junge Frau, im Film von ihrem Mann geschlagen wurde, greift den Ton auf. So beginnt jeder seinen Ton zu singen unter dem Motto des Wettbewerb, das über ihnen hängt „Let the people sing“. Den eigenen Ton finden nannte das der Dirigent. Und das war auch symbolisch gemeint.
Den eigenen Ton zu finden, das ist die Aufgabe sich mit seinem Leben zu versöhnen. Davon handelt der ganze Film. Wie der berühmte Orchesterdirigent erfährt, dass er sterbenskrank ist und dann in sein Heimatort zurückkehrt, um mit den Menschen unter denen er als Kind auch gelitten hat, die aber zu seinem Leben gehören, einen gemeinsamen Weg zu finden frei und selbstlos miteinander zu leben. Und das Medium ist die Musik, der Gesang. „Finden Deinen Ton“. Er übernimmt den Kirchenchor in diesem Dorf und daraus entwickelt der Versöhnung und Transzendierung des Alltages dieser Menschen, das etwas himmlisches hat.
Einer nach dem anderen aus dem Chor stimmt mit seinen Ton ein. Und wie das Publikum merkt, was da vor sich geht, wie dieser Chor, ganz ohne den Dirigenten, ohne Noten, ohne Stück das Konzert beginnt, da erheben sie sich von ihren Plätzen und stimmen ein, jeder mit seinem Ton. Die Menschen sind das Stück, das im Konzertsaal zur Aufführung kommt, eine gewaltiger jubilierender Gesang. Und unten in der Toiletten stirbt derweil der Dirigent miteinem seligen Lächeln auf dem Gesicht. Denen über einen kleinen Lautsprecher an der Decke, hört er, was auf der Bühne passiert. Dass sich seien ganze Arbeit gelohnt hat und die Sänger in nicht mehr brauchen, weil sie ihren eigen Ton gefunden haben und miteinander teilen. Wie im Himmel heißt der Film und die Schluss-Szene ist in der Tat ein Bild wie im Himmel, wenn Gott alles in allem sein wird. Der Geist einer herrschaftsfreie Kommunikation, wo jeder it sich und seiner Geschichte versöhnt ist – der Film endet damit das der sterbende Dirigent sich als Kind im Weizenfeld findet und in den Arm nimmt – spontan, und selbstlos und beglückend.
Der Stuttgarter Maler Ben Willikens hat 1979 ein inzwischen berühmtes Abendmahl-Bild gemalt. Es zeigt die klassische Szene, die wir von Leonardo Da Vinci und anderen berühmten Malern kennen, der Tisch, in der Mitte Jesus, um versammelt sind die Jünger – nur ist die Szene vollständig leer. Ein klinisch nüchterner Raum, der OP eines Krankenhauses, ein vollständig leerer Tisch, eine vollständig leerer Raum, empty space, keine Personen, keine Gegenstand, der Tisch, sonst nichts. Es ist ein starkes Bild, ein Bild des Bildentzuges. Gerade so ist es ein starkes Bild von Gott. Ein Bild des sich entziehenden Gottes, des Gottes, der die Welt am Kreuz verlässt, um als der sich Entziehende mit uns zu sein (D. Bonhoeffer).
Orte der Bildererfindung zu sein und Ort der Bildüberwindung, das ist die Leistung von Kino und die Kunst in unserer Kultur, auch im Blick auf Gottesbilder. Damit wir in unseren spirituellen Notfallkoffern immer wieder neue Bilder von Gott finden, die uns überzeugen, und alte Bilder verabschieden, die nicht mehr unsere Erfahrung von Transzendenz Ausdruck verliehen.
Man könnte das eine religionstherapeutische Arbeit der Kunst an den Bildern von Gott nennen. Und so, religionstherapeutisch, sehe ich auch die Arbeit von Thomas Putze heute im Gottesdienst.
Auch ein Kirchenraum – hier die Kreuzkirche – gibt ein bestimmtes Bild von Gott wieder. Die Atmosphäre in alten Kirchen ist in der Regel feierlich und festlich, sie vergegenwärtigt einen Eindruck von Größe, Macht und Herrlichkeit Gottes, aber sie hat oft auch den Charakter einer starren, hierarchischen Ordnung, die keinen Raum lässt für alternative Spielzüge. Die Arbeit des Performancekünstlers Thomas Putze im Rahmen der Marburg Reihe „Liturgy Specific Art“ war eine Arbeit an dieser Tendenz mancher Kirchenräume Alternativen auszuschließen und die Gemeinde auf ein wahres und richtiges Bild von Gott festzulegen. Die Bilder der Immobilien Gottes, die Atmosphäre in Kirchenräume, die einst ein lebendiger Ausdruck gelebter Religion waren, werden leicht zum Gefängnis der Religion. Es sei denn die Räume werden mit Alternativen konfrontiert und die geschlossen Form wird wieder neu aufgebrochen.
Die erste Idee von Thomas Putze, bevor er die Kirche gesehen hatte, war eine passionale, heftige, laute, gewaltsame Performance gewesen, ein dramatisch-starker Ausdruck. Als er dann die Kirche sah, war klar, dass der Kirchenraum etwas anders braucht, weil er das shcon selber ist. Und so kam ihm die Idee die geschlossene Form des Raumes mit einer fragilen, leichten Bewegung auszubalancieren. Der machtvollen Glaubensgewissheit in diesem Raum ein Suchen und Tasten, immer auf Messers Schneide, zur Seite zu stellen. Und so verstehe ich auch den Titel der Performance „Durchzügler“ – als Arbeit des Künstlers an den verfestigten Bilder, die wir von Gott haben. Eine Bewegung, die bei keiner einmal erreichten Gewissheit, keinem festen Stand verharrt, sondern immer weiter balanciert, von dem einmal erreichten Bild zum nächsten Bild, das für diesen Augenblick des bestmöglichen Ausdruck Gottes bietet – und so weiter. Gott haben wir nur in Bildern, aber keine Bild erfasst die Sinnfülle, die wir mit Gott haben.
Nicht alle Bilder, die in der Kunst, im Kino und in der Werbung für Gott gefunden oder auch überwunden werden, haben allerdings mit der Sinnfülle zu tun, die aus Gott kommt. Manche Gottesbilder haben mit einer ganz anderen Sinnfülle zu tun, der des Geldes, das wie ein Zauberstab alles, was es berührt, auch die Symbol der christlichen Religion, in eine Ware verwandelt.
Werbefachleute, Drehbuchautoren und Regisseure fragen in der Regel nicht, ob ein Bild oder Film theologisch korrekt und mit der Lehre der Kirche übereinstimmt. Sie fragen, ob ihre Filme mit dem Geschmack des Publikums übereinstimmt, und sie entdecken so oft Bilder von Gott, die der spirituellen Sehnsucht der Menschen einen überzeugenden Ausdruck verleihen. Aber der Publikumsgeschmack kann sich irren, auch im Blick auf Gottesbilder. Es ist deshalb ein unverzichtbarer Beitrag der Kirche die Stilsicherheit in Fragen der Qualität von Gottesbilder zu kultivieren und das Kriterium ins Gespräch über die Bilder einzubringen, an dem sich alle Bilder von Gott, auch die aus Werbung, Kunst und Kino messen lassen müssen.
Der englische Künstler Mark Wallinger hat 1999 diese Christus-Figur gestellt: Ecce homo, Seht welche ein Mensch auf dem Trafalgar Square in London aufgestellt. Es war sein Beitrag im Rahmen einer Kunstaktion, bei der verschiedene Künstler ein leeres Podest gestaltet haben, das für eine der imperialen Statuen gedacht war, die von Englands Größe und Macht erzählen – Lord Nelson steht ja auf der Siegensäule in der Mitte des Trafalgar Squares. Das steht nur das Bild des gegeißelten Christus mit seiner Dornenkrone im Reigen der Symbolfiguren weltlicher Macht.
Genau dieses Bild des leidenden Christus ist das Kriterium aller Bilder von Gott. Es ist das Bild, das Eikon Gottes (2 Kor 4,4; Kol 1,15), in dem sich Gott selber als die Liebe offenbart. Der „Satz <Gott ist Liebe< muss daher alle Rede“ (E. Jüngel) und alle Bilder von Gott – die vom Zorn, vom Gericht, vom Humor, auch vom Coca-Cola Jesus, oder vom sich entziehenden Gott – begleiten können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit
Mein Problem in Großmutter Hedwigs Schlafzimmer war deutlich dramatischer. Ich dachte Ich bin das Küchlein das Jesus einnimmt, damit mich nicht der Satan verschlingt. Warum ich nun Jesus auch noch bitten sollte mich einzunehmen und was daran besser sein sollte als von seinem Gegenspieler, dem Satan, verschlungen zu werden, war mir überhaupt nicht klar. Es dauerte auch eine Weile bis ich auf die Idee kam die Großmutter zu fragen. Und sie mir dann klar machte, dass das Küchlein ein Küken ist, das die Henne zum Schutz vor seinen Feinden unter ihre Flügel nimmt.
Gottesbilder machen nicht nur glücklich. Jesus im Ährenfeld und das Paul Gerhard Gebet – ich das Küchlein, das Jesus einnimmt – haben mich als Kind zwar tief berührt, aber nicht gerade erheitert. In Marburg würde man sagen, die kindliche Erfahrung des Heiligen als einem Tremendum (R. Otto). Ein erschreckend- faszinierendes Bild einer höheren Macht. Transzendenz ist nicht nur schön. Aber es ist ein großes Glück, wenn man in seinem Notfallkoffer Gottesbilder findet, die auch die erschütternden Erfahrungen des Lebens überzeugend auf Gott beziehen.
Welche Gottesbilder finden sich denn in ihrem Notfallkoffer? Graben sie einmal tief in ihrem Koffer. Gibt es da ein Gottesbild der Kindheit? Ein Gottesbild, das sie als Kind durch die Nacht und den Tag gebracht hat. Ein Schlafzimmer-Bild? Ein Nachtgebet mit Eltern oder Großeltern?
Oder gibt es in Ihrer Kindheit eine Kinderbibel? Der berühmte alte Mann mit Bart auf einer weißen Wolke von dem Milan Kundera in seinem der Roman ”Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins” erzählt: „Als ich klein warund mir das für Kinder nacherzählte Alte Testament anschaute, das mit Radierungen von Gustave Doré illustriert war, sah ich den lieben Gott auf einer Wolke sitzen. Er war ein alter Mann, hatte Augen, eine Nase und einen langen Bart, und ich sagte mir, wenn er einen Mund hat, muß er auch essen. Und wenn er ißt, muß er auch Därme haben. Der Gedanke jedoch hat mich erschreckt, denn ich fühlte, obwohl ich aus einer eher ungläubigen Familie stammte, daß die Vorstellung von göttlichen Därmen Blasphemie ist.”
Es gibt auch Gottesbilder die außer Mode kommen, weil sie kein gültiger Ausdruck einer spirituellen Erfahrung sind. Für Konfirmanden ist Gott der alte Mann der Inbegriff einer kindlichen Gottesvorstellung, die man im Alter von 14 Jahren endgültig hinter sich gelassen hat.
Und für gendersensible Theologen und Theologinnen ist der alte Mann mit Bart der Inbegriff eines „penetrant männlichen Gottesbildes“. Wenn denn:„Gott den Menschen zu seinem Bilde schuf, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“ (Gen 1,27) – wie kann dann, so der katholische Theologe Ottmar Keel, das Original ausschließlich männlich dargestellt werden?
Ein solches Gottesbild kommt in modernen Kinderbibeln überhaupt nicht mehr vor. Gott, der Herr „wie er im [Paradies-]Garten ging als der Tag kühl geworden war“ (Gen 3, 8) ist nur ein indirektes Licht, sehr eindrücklich und erschreckend anzusehen und eine mächtige Stimme aus dem OFF, die Adam ruft „Mensch wo bist du“. Aber Gott hat kein menschliches Angesicht mehr, weder männlich noch weiblich, weder Mann mit weißem Bart, noch als weise Frau ohne Bart.
Die Bibelillustratoren von heute haben sich offensichtlich die biblische Kritik zur Herzen genommen, dass vergehen muss, wer Gott von Angesicht zu Angesicht sehen will. Sie zeigen Gott den Kindern nur noch hinten. So wie Mose in seiner Felsspalte Gott nur hinter sehen durfte, nachdem seine Herrlichkeit an ihm vorübergegangen war (2. Ex. 33, 23).
Ist das ein Fortschritt? Immerhin müssen sich heute Kinder, wenn sie erwachsen werden, nicht mehr von falschen Gottesbildern befreien, von Bildern, die zu eng werden, wenn die Kinder erwachsen geworden sind. Aber sie haben auch nichts mehr, kein Bild, von dem sie sich befreien können. Gott, der Vater bleibt so abstrakt wie der richtige Vater, der auch irgendwie da ist, aber selten greifbar wird.II. Gottesbilder in Kunst und Kino
Gott kann nur dann eine spirituelle Ressource sein, wenn wir in unserem Notfallkoffer Bilder von Gott finden, die uns überzeugen, die stimmig Ausdruck unserer Erfahrung von Transzendenz sind, die die Überschreitungen des Alltags und die Weitung unseres Daseins mit Gott verbinden.
„Herr, Deine Liebe ist wie Gras und Ufer“ – ich fand das immer ein schön-schräges Bild, das Wind und Weite, Heimat und Zuhause, Aufbruch und Geborgenheit mit Gott zusammenreimt.
Natürlich wird die Arbeit an den Gottesbildern in den Predigten geleistet, in neuen Liedern und in neuen Gebeten in Kirchen und auf Kirchentagen. Aber, wenn ich ehrlich bin, begegnen mir emotional berührende und überzeugende Gottesbilder auch im Kino. Und Gottesbilder, die mich intellektuell beschäftigen begegnen mir in der Gegenwartskunst – beinahe häufiger als in der Kirche.
Ich möchte Ihnen einige exemplarische Beispiele nennen, zunächst ein Gottesbild aus dem Kino und dann einige aus der Kunst:
Da steht ein schwedischer Laien-Chor bei einem europäischen Chorwettbewerb in Innsbruck auf der Bühne. Aber der Chorleiter fehlt. Er fährt nach einer Liebesnacht mit einem Mädchen aus dem Chor selig auf dem Fahrrad durch Innsbruck. Der Glockenschlag vom Kirchturm weckt ihn aus seinen Träumen. Der Chor steht solange auf der Bühne, der Saal voll besetzt, tausende von Sängern bilden das Publikum, Sie warten, zunehmend unruhig. Der Chorleiter hetzt die Treppen hinauf, da greift er sich ans Herz, bricht zusammen, schleppt sich in die Toilette und bleibt auf dem Boden neben dem Waschbecken liegen. Blut läuft ihm aus der Nase. Oben auf der Bühne wird langsam allen klar, dass er nicht mehr kommt. Ein Jahr hat der Chor für diesen Auftritt gerabietet. Es ist der Höhepunkt im Leben vieler der Chormitglieder – und jetzt diese Blamage? Da beginnt mitten in diese furchbare Niederlage beginnt der behinderte Junge im Chor zu einen Ton zu singen. Die junge Frau, im Film von ihrem Mann geschlagen wurde, greift den Ton auf. So beginnt jeder seinen Ton zu singen unter dem Motto des Wettbewerb, das über ihnen hängt „Let the people sing“. Den eigenen Ton finden nannte das der Dirigent. Und das war auch symbolisch gemeint.
Den eigenen Ton zu finden, das ist die Aufgabe sich mit seinem Leben zu versöhnen. Davon handelt der ganze Film. Wie der berühmte Orchesterdirigent erfährt, dass er sterbenskrank ist und dann in sein Heimatort zurückkehrt, um mit den Menschen unter denen er als Kind auch gelitten hat, die aber zu seinem Leben gehören, einen gemeinsamen Weg zu finden frei und selbstlos miteinander zu leben. Und das Medium ist die Musik, der Gesang. „Finden Deinen Ton“. Er übernimmt den Kirchenchor in diesem Dorf und daraus entwickelt der Versöhnung und Transzendierung des Alltages dieser Menschen, das etwas himmlisches hat.
Einer nach dem anderen aus dem Chor stimmt mit seinen Ton ein. Und wie das Publikum merkt, was da vor sich geht, wie dieser Chor, ganz ohne den Dirigenten, ohne Noten, ohne Stück das Konzert beginnt, da erheben sie sich von ihren Plätzen und stimmen ein, jeder mit seinem Ton. Die Menschen sind das Stück, das im Konzertsaal zur Aufführung kommt, eine gewaltiger jubilierender Gesang. Und unten in der Toiletten stirbt derweil der Dirigent miteinem seligen Lächeln auf dem Gesicht. Denen über einen kleinen Lautsprecher an der Decke, hört er, was auf der Bühne passiert. Dass sich seien ganze Arbeit gelohnt hat und die Sänger in nicht mehr brauchen, weil sie ihren eigen Ton gefunden haben und miteinander teilen. Wie im Himmel heißt der Film und die Schluss-Szene ist in der Tat ein Bild wie im Himmel, wenn Gott alles in allem sein wird. Der Geist einer herrschaftsfreie Kommunikation, wo jeder it sich und seiner Geschichte versöhnt ist – der Film endet damit das der sterbende Dirigent sich als Kind im Weizenfeld findet und in den Arm nimmt – spontan, und selbstlos und beglückend.
Der Stuttgarter Maler Ben Willikens hat 1979 ein inzwischen berühmtes Abendmahl-Bild gemalt. Es zeigt die klassische Szene, die wir von Leonardo Da Vinci und anderen berühmten Malern kennen, der Tisch, in der Mitte Jesus, um versammelt sind die Jünger – nur ist die Szene vollständig leer. Ein klinisch nüchterner Raum, der OP eines Krankenhauses, ein vollständig leerer Tisch, eine vollständig leerer Raum, empty space, keine Personen, keine Gegenstand, der Tisch, sonst nichts. Es ist ein starkes Bild, ein Bild des Bildentzuges. Gerade so ist es ein starkes Bild von Gott. Ein Bild des sich entziehenden Gottes, des Gottes, der die Welt am Kreuz verlässt, um als der sich Entziehende mit uns zu sein (D. Bonhoeffer).
Orte der Bildererfindung zu sein und Ort der Bildüberwindung, das ist die Leistung von Kino und die Kunst in unserer Kultur, auch im Blick auf Gottesbilder. Damit wir in unseren spirituellen Notfallkoffern immer wieder neue Bilder von Gott finden, die uns überzeugen, und alte Bilder verabschieden, die nicht mehr unsere Erfahrung von Transzendenz Ausdruck verliehen.
Man könnte das eine religionstherapeutische Arbeit der Kunst an den Bildern von Gott nennen. Und so, religionstherapeutisch, sehe ich auch die Arbeit von Thomas Putze heute im Gottesdienst.
Auch ein Kirchenraum – hier die Kreuzkirche – gibt ein bestimmtes Bild von Gott wieder. Die Atmosphäre in alten Kirchen ist in der Regel feierlich und festlich, sie vergegenwärtigt einen Eindruck von Größe, Macht und Herrlichkeit Gottes, aber sie hat oft auch den Charakter einer starren, hierarchischen Ordnung, die keinen Raum lässt für alternative Spielzüge. Die Arbeit des Performancekünstlers Thomas Putze im Rahmen der Marburg Reihe „Liturgy Specific Art“ war eine Arbeit an dieser Tendenz mancher Kirchenräume Alternativen auszuschließen und die Gemeinde auf ein wahres und richtiges Bild von Gott festzulegen. Die Bilder der Immobilien Gottes, die Atmosphäre in Kirchenräume, die einst ein lebendiger Ausdruck gelebter Religion waren, werden leicht zum Gefängnis der Religion. Es sei denn die Räume werden mit Alternativen konfrontiert und die geschlossen Form wird wieder neu aufgebrochen.
Die erste Idee von Thomas Putze, bevor er die Kirche gesehen hatte, war eine passionale, heftige, laute, gewaltsame Performance gewesen, ein dramatisch-starker Ausdruck. Als er dann die Kirche sah, war klar, dass der Kirchenraum etwas anders braucht, weil er das shcon selber ist. Und so kam ihm die Idee die geschlossene Form des Raumes mit einer fragilen, leichten Bewegung auszubalancieren. Der machtvollen Glaubensgewissheit in diesem Raum ein Suchen und Tasten, immer auf Messers Schneide, zur Seite zu stellen. Und so verstehe ich auch den Titel der Performance „Durchzügler“ – als Arbeit des Künstlers an den verfestigten Bilder, die wir von Gott haben. Eine Bewegung, die bei keiner einmal erreichten Gewissheit, keinem festen Stand verharrt, sondern immer weiter balanciert, von dem einmal erreichten Bild zum nächsten Bild, das für diesen Augenblick des bestmöglichen Ausdruck Gottes bietet – und so weiter. Gott haben wir nur in Bildern, aber keine Bild erfasst die Sinnfülle, die wir mit Gott haben.
Nicht alle Bilder, die in der Kunst, im Kino und in der Werbung für Gott gefunden oder auch überwunden werden, haben allerdings mit der Sinnfülle zu tun, die aus Gott kommt. Manche Gottesbilder haben mit einer ganz anderen Sinnfülle zu tun, der des Geldes, das wie ein Zauberstab alles, was es berührt, auch die Symbol der christlichen Religion, in eine Ware verwandelt.
Werbefachleute, Drehbuchautoren und Regisseure fragen in der Regel nicht, ob ein Bild oder Film theologisch korrekt und mit der Lehre der Kirche übereinstimmt. Sie fragen, ob ihre Filme mit dem Geschmack des Publikums übereinstimmt, und sie entdecken so oft Bilder von Gott, die der spirituellen Sehnsucht der Menschen einen überzeugenden Ausdruck verleihen. Aber der Publikumsgeschmack kann sich irren, auch im Blick auf Gottesbilder. Es ist deshalb ein unverzichtbarer Beitrag der Kirche die Stilsicherheit in Fragen der Qualität von Gottesbilder zu kultivieren und das Kriterium ins Gespräch über die Bilder einzubringen, an dem sich alle Bilder von Gott, auch die aus Werbung, Kunst und Kino messen lassen müssen.
Der englische Künstler Mark Wallinger hat 1999 diese Christus-Figur gestellt: Ecce homo, Seht welche ein Mensch auf dem Trafalgar Square in London aufgestellt. Es war sein Beitrag im Rahmen einer Kunstaktion, bei der verschiedene Künstler ein leeres Podest gestaltet haben, das für eine der imperialen Statuen gedacht war, die von Englands Größe und Macht erzählen – Lord Nelson steht ja auf der Siegensäule in der Mitte des Trafalgar Squares. Das steht nur das Bild des gegeißelten Christus mit seiner Dornenkrone im Reigen der Symbolfiguren weltlicher Macht.
Genau dieses Bild des leidenden Christus ist das Kriterium aller Bilder von Gott. Es ist das Bild, das Eikon Gottes (2 Kor 4,4; Kol 1,15), in dem sich Gott selber als die Liebe offenbart. Der „Satz <Gott ist Liebe< muss daher alle Rede“ (E. Jüngel) und alle Bilder von Gott – die vom Zorn, vom Gericht, vom Humor, auch vom Coca-Cola Jesus, oder vom sich entziehenden Gott – begleiten können.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit